Es folgt eine Antwort auf einen Blogbeitrag von Andy aka Rigobert_G, runtergerotzt ohne Anspruch auf Recht oder Applaus. Leider konnte ich aus technischen Gründen diesen Betrag nicht in Andys Blog unterbringen; so ist es also ratsam, zunächst den Blog zu wechseln, um später hierher zurück zu kehren:Ich habe meine ganze Jugend im Verein Fußball gespielt, wie so viele Jungs. Unsere Gegner haben wir auf dem Platz geschlagen - manchmal. Haare ziehen oder Pussygehabe gab es nicht, wenn sich jemand dreimal hat fallen lassen, gab es beim vierten mal einen Grund dazu. Wir wollten Spaß - lernten aber auch Fairplay und hockten nach Turnieren in Festzelten und feierten.
Musikgeschmack hatten wir, hörten Led Zeppelin, Pink Floyd und Motörhead - manchmal aber auch nicht, dann hörten wir Abba oder Barclay James Harvest.
Als ich neun war, wurde Deutschland Weltmeister mit Grabi und Holz, dennoch war Gerd Müller ein Großer, Overath, Netzer; auch Cruyff, Neeskens oder Rensenbrink, Lato oder Tomaszewski.
Später im Waldstadion haben mir die Großen immer die Sicht genommen; identifiziert habe ich mich nie mit den Eintrachtfans. Auch nicht mit den Hertha-Fröschen oder Schalke-Knappen. Meistens stand ich mit meinem meterlangen Schal irgendwo rum und freute mich über jedes Tor - wenn ich es denn gesehen hatte. Auf die Idee, dass mir jemand meinen Schal wegnehmen könnte, wäre ich nie gekommen. Da ich Samstags stets selbst kickte, kam ich nur selten in den Genuss, vor Ort zu sein; meist hing ich am Radio und zitterte.
Die Jahre kamen und gingen, mal war ich ein ganzes Jahr bei jedem Heimspiel (85/86) mal ein ganzes Jahr gar nicht (87/88); auswärts war ich selten, mir fehlte das Geld - und die Mitfahrer. Stimmung oder Neudeutsch
Support war mir völlig egal, wenn alle
Eintracht gerufen haben, hab ich mitgemacht - nur manchmal habe ich mich gewundert, woher die alle wissen, wann was gesungen wird.
Richtig regelmäßig ging ich dann ins Stadion, als ich Andi (aka kreuzbuerger) kennenlernte, ab 1994 bis heute war ich nahezu bei jedem Heimspiel; aber wir waren stets unter uns - noch mit ein paar Kumpels. Die anderen, das waren die Schnösel auf der Haupttribüne oder seltsame Assis, die mit New Model Army, Blue Velvet oder Thomas Mann wahrscheinlich genau so wenig anfangen konnten, wie ich mit dem Gemotze über die eigenen Spieler oder den ausländerfeindlichen Sprüchen. Dachte ich
Immerhin konnten wir uns im und ums Stadion frei bewegen, gegnerische Fans und deren Auftreten waren uns völlig egal; wir kannten keinen Support und kein Rumgehüpfe, wir feuerten unsere Mannschaft an; na gut, bei Schupp und Mornar hörte die Lust auf. Zehn Jahre und länger musste ich aber auch mit anhören, wie Bindewald beschimpft wurde.
Das habe ich nie verstanden.
Plötzlich kickte die Eintracht in der zweiten Liga - wir waren dabei, wir haben eine Niederlage gegen Oldenburg gesehen - aber auch später einen Sieg gegen Fortuna Köln. Wir haben uns im strömenden Regen bis auf die Knochen nass regnen lassen, um ein zähes 2:2 gegen Waldhof zu sehen, sind nach Schweinfurt gefahren. Wir brauchten kein Event, kein Maskottchen, kein Kasperletheater, keine Gruppendynamik; wichtig war, dass die Eintracht gewinnt. Mainz? Hatte und hat die gleiche Bedeutung wie Meppen.
Mit dem Einzug des Privatfernsehens hielten nicht nur merkwürdige Trikots Einzug in die Stadien, auch die Fankurven standen immer mehr im Brennpunkt. Zuvor war eigentlich nur die Katastrophe in Brüssel ein Thema, ansonsten waren wir uns selbst überlassen. Kein Mensch hat dir gesagt, wie du dich wo verhalten sollst, wozu auch, wir wollten Fußball gucken, wollten die Eintracht sehen.
Hooligans waren eine völlig andere Welt, wir hatten keine Berührung, wir brauchten sie auch nicht, genauso wenig wie die Berührung mit den Vip-Räumen.
Sportschau, Rundschau, Kicker - daraus wussten wir, was sich bei der Eintracht über das Spiel hinaus zutrug, die Finanzen, die Spielerwechsel. Bücher gab es wenig;
Neumann,
Scherzer; später dann der erste
Matheja - Großartig, wir lernten Spielernamen aus längst vergangenen Zeiten kennen; Pfaff und Kress und Loy.
Großen Respekt hatten wir vor Dietrich Weise, kein Mensch wäre auf die Idee gekommen,
Weise raus zu brüllen.
Über das Internet stellte ich zu Beginn des Jahrtausend fest, dass es noch andere Verrückte gibt; einen Stefan Minden, einen Frank Gotta, einen Andy Klünder um nur ein paar zu nennen - von da an begann eine andere Zeit; ich identifizierte mich mit der Fanszene, wurde Teil von ihr. Ich wurde Stadionsprecher bei den Amas, lernte immer mehr Leute kennen, Präsidenten und Abteilungsleiter, Spieler und ganz andere Fans, die im Hintergrund blieben, aber immer da waren; Kurt Schmidt oder Roland Gerlach oder Jürgen Gerhardt. Plötzlich kannte ich Armin Kraaz, Klaus Lötzbeier, Bernd Hölzenbein; wir machten Eintrachfans TV, stiegen auf und ab - und eines Tages war das Waldstadion weg. Ich habe mich bis heute nicht mit der neuen Arena angefreundet.
Fankurven sind Teil des Geschäfts geworden und mit der Inszenierung von Support und Choreos werden genau die Elemente des Eventfußballs bedient, die nur durch die Medienpräsenz bestand haben. Das Fußballspiel mutierte auf der einen Seite zur Grundlage inszenierter Reklame fußballfremder Firmen - aber auch die Kurve wand sich ab vom Spiel. Statt die Mechanismen des Kapitalfußballs zu torpedieren, sich den Bildern zu verweigern, behauptet man, gegen den modernen Fußball zu sein - interessiert sich aber nicht für das Spiel - sondern für die eigene Stimmung. Wussten wir früher, weshalb Möller oder Heynckes, Ritschel, Kahn, Weise oder Gelsdorf beschimpft wurden, so ist der Grund weggefallen. Das war bei Thurk so und auch nun bei Funkel.
Das ist Partyfußball, es ist egal, ob die Eintracht gewinnt oder verliert, Hauptsache, es passiert irgend etwas, was nachher auf youtube zu sehen ist. Anfeuern zum Zweck die Mannschaft zu unterstützen? In seltenen Fällen kann man es erleben, ansonsten wird gehüpft und geträllert - egal was gerade passiert. Ritualisierte Abläufe; immergleich und kaum noch auseinander zu halten. Spontan? Anarchisch? Witzig? Hintergründig?
Die Funkel Raus Rufe in Berlin, die ich auch nur im TV mitbekommen habe, weil ich derzeit weder auf Kommerzfußball noch auf Ballermanneske Massenparty stehe (aufstehen, setzen, hüpfen, links um, rechts rum blablabla), sind so dämlich wie nur was. Sie basieren auf keinem Hintergrund, stützen nicht das eigene Team, schütten auch keine Häme über den Gegner. Sie sind dumpf und respektlos gegenüber einem Mann, der die Eintracht über Jahre etabliert hat. Es ist die Lust an der eigenen Berauschung, der der Gegenstand egal ist. Für was stehen diese Rufe? Für
Kritik am modernen Fußball? Für "
unterstützen des eigenen Teams"? Sie stehen für meinen Geschmack für Blödheit. Gleiche Qualität wie Junggesellenabschied in Sachsenhausen. Einfach nur Scheiße. Unkorrekt ist in Ordnung, wenn eine Substanz dahinter steckt; Heynckes, Jones, Möller.
Sieht so das Auflehnen gegen den modernen Fußball aus? Nein, die Eintracht soll gefälligst den Fußball zaubern, wie einst Grabi, Nickel, Holz oder später Bein, Stein, Falke und Yeboah. Und wenn dies nicht mehr der Fall ist, dann wird halt kollektiv ein Sündenbock gesucht, in dem Fall Funkel und ein Erlöser dazu, im letzten Jahr Caio, heuer Skibbe. Man muss uns nur irgendwas erzählen und schon singen wir und hüpfen dazu weil das ja so originell ist. Genauso wenig, wie man mittlerweile die Arenen unterscheiden kannst, kann man heute die Fankurven auseinander halten.
Dass ein Grabi, ein Holz, ein Yeboah oder ein Bein nicht zu bezahlen ist, wird weitestgehend ignoriert.
Dann muss halt investiert werden ... lautet der Tenor. Dass dies aber noch mehr Plüschmaskottchen, Flackerwerbung, Logen und Sicherheitsmaßnahmen beinhaltet, fällt bei solchen Forderungen unter den Tisch.
Funkel Raus. Darauf kann man sich einigen; dann braucht es auch keinen Ansatz, sich zu überlegen, wie denn die nackte Realität aussieht.
Gegen die Verhältnisse, die den Kommerzfußball etabliert haben, wird nicht protestiert. Fußball soll Spaß machen, uns ablenken von den Schweinereien die uns tagtäglich das Leben schwer machen, von verlogenen und verkommenen Politikern, von der Macht der Banken, die Milliarden an Steuergeldern einstreichen, von den Werbeagenturen, die nichts als Lügen verbreiten und von dem Sicherheitswahn, der alles verbieten will - außer Massenarmut, Naturzerstörung und Krieg. Solange wir noch ein paar Kröten bekommen, machen wir mit. Und wenn nicht, dann fliegen wir raus aus der großen Zentrifuge - mit einem wilden Lachen und Funkel Raus auf den Lippen. Närrisch.
Dein Fußball hat nie existiert, Andy; es ist ein Lebensgefühl, das gegangen ist. Und seit Hoffenheim ist auch das meinige in Bezug auf Fansein Geschichte. Wirklich ändern müssen sich aber die Verhältnisse, die uns gemacht werden, damit einige aus den Speisekarten mit Goldrand bestellen können. Dazu braucht es mehr, als besoffen auf den Stehrängen rumzustolpern um am nächsten Montag wieder in einem Alltag zu stehen, der uns die Lust zum Träumen genommen hat.