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Sonntag, 17. Januar 2010

Ein Abend mit Christoph Preuß im Museum - Teil Zwei


Wurde Christoph Preuß in den ersten Partien der Saison 2006/07 jeweils eingewechselt, so setzten ihn schon im September 2007 Schmerzen im Knie außer Gefecht; der Meniskus wurde geglättet und während sich die Eintracht in den beiden Spielen gegen Brödby IF im Uefa-Cup durchsetzte, um in der Zwischenrunde gegen Newcastle, in Vigo, gegen Palermo und bei Fenerbahce Istanbul denkbar knapp auszuscheiden (sieben Minuten fehlten letztlich zum Weiterkommen) bereitete sich Preuß nach der Operation auf die Rückrunde vor.

Bereits am 19. Spieltag, am 30.01 2007 stand er wieder auf dem Platz, wenn auch nur für eine Minute; Trainer Friedhelm Funkel wechselte ihn in der 90. Minute für Takahara ein, kurz danach hatte sich die Eintracht den ersten Bundesligapunkt in Wolfsburg gesichert.

Den unvergessenen Höhepunkt des Jahres - und wohl eines der Highlights seiner Karriere - erlebten 51.500 Zuschauer am 17. März 2007 im ausverkauften Frankfurter Stadion eine Situation, die Rüdiger Schulz aka Kid Klappergass am Tag danach wie folgt beschreiben sollte: Zwei Frankfurter Buben und ein magischer Moment.

Bis zur 77. Minute hielt die Eintracht ein 0:0 gegen die Bayern als Patrick Ochs eine Flanke stramm in den Strafraum zog, wo Christoph Seit an Seit mit Lucio auf den Ball wartete. Wie aus dem Nichts sprang er aus dem Stand mit dem Rücken zum Tor dem Ball entgegen, und wuchtete ihn per Fallrückzieher unhaltbar für Oliver Kahn ins Netz; ein Treffer, der nicht nur den 1:0 Endstand bedeutete, sondern in der Sportschau zum auch Tor des Monats im März 2007 gewälht wurde - und zudem den zweiten Platz bei der Wahl zum Tor des Jahres 2007 belegte.

Noch am Morgen vor dem Spiel lagen Ochs und Preuß gemeinsam im Hotel auf dem Zimmer und sahen sich im TV die schönsten Tore Europas an. Wir waren beide der Meinung: Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Ich hab's damals probiert - und es hat geklappt.

Schon beim 2:5 in München hatte Preuß per Seitfallzieher zum zwischenzeitlichen Ausgleich getroffen - und sogar neulich im Training, als wir zufällig kibitzten, gelang ihm erneut ein Treffer per Fallrückzieher.

Zwei Wochen nach dem Sieg gegen die Bayern stand Christoph erneut im Blickpunkt; diesmal jedoch unter äußerst schmerzhaften Bedingungen: Bei einem Zusammenprall mit Torhüter Oka Nikolov im Spiel gegen Cottbus blieb Preuß im eigenen Strafraum liegen; sein erster Gedanke: Pferdekuss wurde schnell durch die traurige Gewissheit ersetzt, dass der Stollen Okas den Oberschenkel von Christoph Preuß zentimetertief aufgeschlitzt hatte. Beim Entknäulen der beiden platzte noch die letzte Schicht vor dem Muskel und das Blut spritzte nur so heraus.

Man konnte die Stille im Museum förmlich hören, als Christoph von den nun folgenden Momenten erzählte. Empfand er zunächst keine Schmerzen, so wurde er nach ärztlichen Sofortmaßnahmen durch Dr. Seeger umgehend in die Unfallklinik nach Seckbach gefahren. Schon auf dem Weg dorthin wurden die Schmerzen im Oberschenkel unerträglich, auch der Rücken meldete sich wieder. Im Krankenhaus wurde zunächst sogar ein offener Bruch befürchtet, erst die Röntgenbilder zeigten, dass es sich nur um einen aufgerissenen Oberschenkel handelte, der mit 50 Stichen genäht wurde. Drei Tage später wurde Christoph aus dem Krankenhaus entlassen, einige Wochen später stand er wieder auf dem Platz; eingewechselt in der 75. Minute in Bremen, als die Eintracht durch einen unerwarteten Auswärtssieg vorzeitig den Klassenerhalt sichern konnte - und Werder den Meistertitel verdarb. Im Nachhinein sagt Christoph, dass er - nach allem was danach geschehen ist - lieber noch eine Narbe am anderen Oberschenkel hätte, als die Erinnerung an die nun folgenden Erlebnisse.

In der Saison 2007/08, am neunten Spieltag in der Partie gegen Leverkusen, erlitt Preuß bei einem Zweikampf mit Sergej Barbarez einen Nasenbeinbruch; Barbarez selbst forderte am nächsten Tag die Handynummer von Christoph ein und erkundigte sich nach dessen Wohlergehen; ein nicht selbstverständliches Vorgehen unter Profis.

Wenig später, die Nase war noch nicht ganz ausgeheilt, erhielt Preuß bei einem Trainingsspiel einen Tritt ans Knie, dessen Folge zunächst als Prellung vermutet wurde, die alsbald nachließ. Medizinische Bilder zeigten keine größere Schädigung im Knie.

Kurz danach, nach dem Spiel gegen Dortmund, zwickte zunächst die Wade und ein Muskelfaserriss wurde in Betracht gezogen. Wenige Tage später zog der Schmerz ins Knie und eine erneute Untersuchung brachte die traurige Diagnose: Knorpelschaden. Ob der Tritt im Freundschaftsspiel dafür ursächlich war, ist bis heute unklar.

Der Versuch, das Knie konventionell zu behandeln wurde nach kurzer Zeit abgebrochen; eine Operation war unumgänglich, zumal Dr. Bönisch in Augsburg die Diagnose bestätigte. Letztlich entschieden sich die Ärzte für die Mikrofakturierung, eine Methode, welche zuletzt bei Vasoski und Amanatidis angewandt wurde, welche ebenfalls mit Knorpelschäden zu kämpfen hatten und haben. Am 4. Dezember 2007 kam Christoph Preuß unters Messer; der Plan sah vor, dass er bei optimalem Heilungsverlauf Ende April, Anfang Mai 2008 wieder auf dem Platz stehen könne, allein - es kam alles ganz anders.

Obgleich die Reha zunächst nach Plan verlief, merkte Preuß, als er wieder mit leichtem Training begonnen hatte, dass etwas nicht stimmt. Obwohl sich der Knorpel auf Röntgenbilder in guter Verfassung gezeigt hatte, wurde dass Knie bei Belastung wieder dick. Zu diesem Zeitpunkt konnte sich Preuß im Alltag normal bewegen; den Anforderungen des Leistungssports aber war er zu diesem Zeitpunkt nicht gewachsen.

Die Schale, die den Knorpel umfasst, bekam so einen großen Druck, dass der neugebildete Knorpel diese Belastung nicht aushalten konnte.

Schon bei der ersten Diagnose im Winter war klar, dass es sich um eine schwerwiegende Verletzung handelte, der erneute Rückschlag aber verdunkelte Christophs Welt: Dann ist alles für mich zusammen gebrochen. Gedanken an ein Karriereende überwogen phasenweise.

Nach dem ersten Rückschlag setzte sich Christoph noch intensiver mit der Verletzung auseinander - und kam unter Anderem zu der Erkenntnis, dass er zu früh mit der Belastung angefangen hatte - obgleich dies nach dem Heilungsverlauf damals nicht abzusehen war.

Christoph fuhr zunächst in Urlaub, um die neue Situation zu verarbeiten und den Kopf klar zu bekommen. Die Bilder des geschädigten Knies aber wurden nach Amerika zu Dr. Steadman geschickt; eine Koryphäe auf dem Gebiet und auch dieser kam zu dem Entschluss, dass die deutschen Ärzte bislang eigentlich richtig ge- und behandelt hatten.

Zu diesem Zeitpunkt packte Christoph das eigene Schicksal am Schopf und entschied sich, nach Amerika zu reisen, um sich von Dr. Steadman behandeln zu lassen. Als Teil des Mannschaft fühlte er sich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich.

Relativ kurzentschlossen setzte Christoph, den Gedanken, alleine nach Amerika zu fliegen in die tat um; unsicher ob er überhaupt operiert werden würde, suchte er das Gespräch mit dem Arzt. Nachdem er einen Tag im Büro verbracht hatte, bekam er abends um halb sieben das ok; schon am nächsten Morgen erfolgte die Operation - eine zweimonatige Reha schloss sich an; eine Zeit, die Preuß ohne Familie und Bekannte durchstehen musste. Dienstags war das Gespräch, Mittwochs die Operation und Donnerstags begann die Reha. Auf Krücken bewegte er sich die folgenden Tage und Wochen und kam im Laufe der Zeit immer besser zu Recht, auch verbesserte sich sein Englisch Tag für Tag. Dies führte dazu, dass er bei Telefonaten teilweise nach deutschen Worten suchen musste. Auch setzte sich Christoph intensiver mit dem Internet auseinander; heute hat er seine eigene Homepage und nutzt Dienste wie Twitter oder Facebook ganz selbstverständlich.

Anfang Oktober 2008 kehrte Christoph Preuß nach Deutschland zurück.

Es ist, wie es ist - aus den Augen, aus dem Sinn - könnte man meinen. Obgleich Christoph Preuß bei vielen Eintrachtfans nicht vergessen war, so erinnerten uns die Blogeinträge von Kid Klappergass an die Leidensgeschichte von Christoph. Auch für Christoph selbst waren die Beiträge von Kid von außerordentlicher Bedeutung; die Hoffnung und das Erinnern daran, dass man den Glauben nie aufgeben solle, motivierten unsere jetzige Nummer 20 auch weiterhin alles für das Comeback zu geben. Christoph bedankte sich nicht nur im Internet, sondern auch im Museum unter prasselndem Applaus bei Kid, der eigentlich gar nicht so gerne im Focus steht - sich diesen Dank aber redlich verdient hat.

Christoph wusste, dass er mindestens ein Jahr Pause einkalkulieren musste - und er dennoch keine Garantien besitzt, jemals wieder Bundesligafußball zu spielen. Entsprechend weiträumig wurde der Zeitplan terminiert. Der wesentlich Unterschied im Umgang mit dem Heilungsprozess bestand darin, dass Christoph nun mit amerikanischer Gelassenheit an die Sache heran ging und sich selbst nicht unter Druck setzte. Wichtig war nicht, wann ich zurück komme, wichtig ist dass ich es überhaupt noch einmal packe. So schaute ich von Tag zu Tag - wie ich es auch heute noch mache.

Derweil wurde bei Ioannis Amanatidis ebenfalls ein Knorpelschaden diagnostiziert; auch Ama wandt sich nach Gesprächen mit Preuß an Dr. Bönisch.

Bislang kam es bei Christoph zu keinerlei Rückschläge, einzig die Anpassung der Einlagen gestaltete sich über ein paar Tage etwas schwierig. Schritt für Schritt entwickelte Christoph ein Trainings- und Rehaprogramm und schaute von Tag zu Tag, wie sich die Dinge entwickeln - und dokumentierte die Entwicklung auch auf seiner Homepage. Über die ersten Gehversuche, das leichte Jogging, die Vertragsverlängerung bis zum Jahr 2010, die Freude auf den ersten Laktattest, das erste (noch geschützte) Mannschaftstraining, der erste Einsatz in einem Freundschaftsspiel in Eschersheim, der erste Auftritt bei der U23 in Ulm, das erste Heimspiel für die U23 am Bornheimer Hang - bis hin zur Einwechslung in Hoffenheim unter großem Applaus der mitgereisten Eintrachtfans. Über zwei Jahre nach der ersten Verletzung und nach einer unvorstellbaren Leidenszeit stand Christoph Preuß wieder in einem Bundesligaspiel auf dem Platz; Als die Hölle zufror schrieb Kid anlässlich dieses Anlasses.

Im Winter 2010 nahm Christoph zum ersten Mal seit Sommer 2007 an einem Trainingslager der Eintracht teil, diesmal in Belek, Türkei - ein weiterer Meilenstein, da die Belastung im Trainingslager die intensivste für einen Fußballer ist - und auch dieser Belastung hielt das Knie stand. Wohlwissend, dass ihn auch fürderhin das Knie beschäftigen und er auch weiterhin sehr sorgsam für die Gesundheit arbeiten wird, und spezielle Übungen absolviert, steht in der Rückrunde ein Neuangriff auf dem Plan - und wir können uns auf einen Neuzugang freuen, der ein alter Bekannter ist: Christoph Preuß.

Christoph stellte sich noch den freundlichen Fragen aus dem Publikum - und blieb noch lange nach Ende der Veranstaltung im Museum, um im kleinen Kreise noch aus seiner bewegten Geschichte zu erzählen.

Großartig war es, vielen Dank dafür.




Fotos: Stefan Krieger


Foto Fußballschuh: Pia Geiger

6 Kommentare:

  1. Ein unvergesslicher Abend. Ganz bestimmt.

    Danke, Beve.

    Gruß vom Kid

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  2. Danke für Teil I und II, Beve. Genau das Richtige an einem solchen Tag.

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  3. der abend war echt klasse. christoph war mit herzblut dabei, das war für ihn kein pflichttermin. schön, dass es solche spieler gibt!

    danke, christoph, und alles gute weiterhin!

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  4. danke beve, danke christoph, danke kid (reihenfolge zufällig). war ein schöner abend.

    wenn man dem leidensweg christophs etwas gutes abgewinnen kann, dann vielleicht die tatsache, dass er 2 jahre lang zeit hatte, sich dem medium internet zu widmen. irgendwie macht es spass, plötzlich eine mail von diesem feinen kerl im posteingang zu finden.

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