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Sonntag, 22. August 2010

Heimspiel in Hannover

Rückblende: Während die Eintracht letzte Woche durch ein relativ ungefährdetes 4:0 in Wilhemshaven die zweite Pokalrunde erreicht, muss Hannover 96 in Elversberg nach verlorenem Elfmeterschießen die Segel streichen. Noch während der Woche wird der Spieler Jan Schlaudraff wegen mangelndem Trainingseinsatz von Trainer Slomka aus dem Kader gestrichen, allenthalben rauschen die Roten bei Tippspielen auf einen Abstiegsplatz. Slomka selbst scheint mit Sportdirektor Schmadtke nicht auf der selben Wellenlänge zu funken - kurz: Hannover 96 beginnt die Saison wie ein taumelnder Boxer, der auf sein finales KO wartet. Da trifft es sich gut, dass zum Auftakt der Saison unsere Eintracht zu Gast im Niedersachsenstadion sein wird - immerhin besagt die Tradition, dass es kaum bessere Aufbaugegener für solch einen Fall gibt. Während ich also noch am Donnerstag in kleiner Runde im Backstage etwas von einem 1:0 Hanke in der 90. gemurmelt habe und mir dabei böse Blicke einfing, träumten andere von einer optionalen Tabellenführung - der Eintracht.

Pia hingegen träumte vom Baggersee und plante für Samstag einen Ausflug mit den Kids, während ich die Gelegenheit hatte, einen Platz bei Suse und Muelli im Auto zu ergattern. Da Uli noch ein Kärtchen für mich übrig hatte, marschierte ich früh am Spieltag brav zur Rothschildallee, während der silberne Golf darauf wartete, nachmittags nach Groß Krotzenburg zum See zu rauschen. Es sollte die weisere Entscheidung gewesen sein - so stand es zumindest Stunden später um 17:15 fest.

Es sollte ein heißer Tag werden; zur verabredeten Zeit rollte ein schwarz-roter Audi vor, sammelte mich ein und schon rollten wir über den Alleenring auf die Autobahn. Aus der feinen Anlage rockten wahlweise die Kings of Leon, die Beastie Boys oder Volbeat, immer wieder überholten wir PKWs mit Eintracht-Aufkleber und spulten Kilometer um Kilometer ab. Bei einer Zigarettenpause entdeckten wir riesige plattgewalzte Scheißhaufen auf dem Parkplatz - doch noch vermochten wir die Zeichen der Zeit nicht adäquat zu deuten. Ein Stau wenige Kilometer vor Hannover gab uns Gelegenheit, das Verdeck zu öffnen - die Sonne, der Highway, die Eintracht, die Musik - es hätte so schön sein können.

Wir gondelten durch Hannover, stellten fest, dass es hier einen Stadtteil namens Mittelfeld gibt und parkten auf dem Festplatz vor den Toren des Stadions, nachdem wir einen Hinweis der Ordner, die uns um das Gelände herum schicken wollten, dezent ignorierten - nicht als einzige übrigens: Weshalb sollen wir fürs Parken Geld bezahlen, wenn es auch günstiger geht? Genau.

Alsbald marschierten wir ums Stadion, landeten vor dem Gästebereich und begrüßten die ankommenden Eintrachtler. Die UF schleppte Choreobestandteile ins Stadion, die Fanbetreuung beobachtete das muntere Treiben und alle naslang ein großes Hallo und ein herzhaftes Guude. Christian und Uwe waren mittlerweile auch eingetroffen, und während Suse und Muelli sich in Richtung Sitzplatz aufmachten, organisierte ich ein Stadionmagazin und spazierte zum Eingang für Stehplätze. Der Ordner tastete mich penibel ab, sogar meinen Geldbeutel musste ich öffnen (Münz- und Scheinfach) und auf meine Frage hin, ob er das Einkommen der Eintrachtler überprüfen wolle, klärte er mich auf, dass er Aufkleber suche. Hätte er was gesagt, ich hätte ihm welche besorgen können. So stand ich da (streng auf die fünfzig zugehend) und musste mit ansehen, wie mein Portemonnaie befingert wurde. Es wird Zeit, dass man Sie zu mir sagt.

Angekommen in den Stehrängen suchte ich Christian und Uwe, gesellte mich zu ihnen, traf auf Lars und entdeckte jede Menge Papptafeln, ausgelegt für die erste Choreo der Saison 2010/11, es war angerichtet.

Die Eintracht begann erstaunlicher Weise exakt mit der Aufstellung, die ich vor wenigen Wochen vorher gesagt hatte - für den verletzten Chris stand Russ in der Innenverteidigung und im Gegensatz zum Pokalspiel durfte Gekas an Stelle von Altintop neben Amanatidis stürmen. Ein paar Fahnenschwenker wedelten auf dem Platz damit herum, an den verstorbenen Torhüter Enke erinnerte weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick etwas und dann begann sie, die sechste Bundesligasaison der Eintracht in Folge. Mit Einlaufen der Mannschaften hielten wir die Papptafeln in die Höhe und schon nach wenigen Sekunden blieb ein Hannoveraner verletzt liegen, Neuzugang Carlitos musste ausgewechselt werden - die Diagnose lautete später: Kreuzbandriss.

Die Eintracht übernahm das Kommando, vor allem Köhler hatte einige gute Szenen und Amanatidis verzog nur knapp, raufte sich in altbekannter Manier die Haare, was ich kurz darauf gleichfalls machen sollte. Quasi aus dem Nichts hatte 96 in weinroten Trikots den Führungstreffer erzielt. Sieben Minuten später war alles wieder im Lot, Köhler hatte zum Ausgleich getroffen und das Spiel auf eine vernünftige Basis gestellt. Noch vor der Halbzeit konnte Nikolov spektakulär den Rückstand verhindern; Schulz stand frei vor ihm und brachte die Kugel nicht im Netz unter.

Nach dem Seitenwechsel kombinierte die Eintracht phasenweise recht gefällig, doch Torchancen blieben Mangelware - die größte Aufregung gab's, als ein Handelfmeter für die Eintracht nicht gepfiffen wurde - und so musste Gekas nach einer Stunde vom Platz, für ihn kam Altintop. Tzavellas auffälligste Tat folgte auf dem Fuß, er konnte seinem Gegenspieler nicht folgen und riss ihn einfach um, dafür gab's zu Recht gelb und kurz darauf die Quittung - Auswechslung gegen Korkmaz. Skibbe wird ihm sicherlich erklären, was es heißt, linker Verteidiger zu spielen. Links ist links und Verteidiger bedeutet: Hinten.
Hannover merkte plötzlich, dass sie ja eigentlich mitspielen können und so düpierte Ya Konan die gesamte Frankfurter Hintermannschaft und zog im Strafraum ab; glücklicherweise knallte der Ball an die Latte. Unterdessen hatte Lars den Spielstand unserer zweiten Mannschaft aus Ulm erfahren: 5:3 in Ulm gewonnen, na also; es geht doch - obgleich in den letzten fünf Minuten vier Tore gefallen sind.

Die Eintracht larifarite sich durchs Spiel und so konnte 96 zwei weitere Warnschüsse abgeben; die Einschläge kamen näher und es kam, wie es kommen musste: Korkmaz hampelte irgendwo an der eigenen Auslinie herum, irgendwie flog der Ball in den Strafraum, Nikolov machte irgendwas und Ya Konan das Tor. 2:1 für Hannover.

SMS an Pia: 2:1 Hannover.
Antwort: Fuck!

Und wer gedacht hatte, die Eintracht würde wild entschlossen das Heft wieder in die Hand nehmen, der wurde aufs Gröbste enttäuscht, daran änderte auch die Einwechslung von Caio für Schwegler nichts - wobei Attribute wie wild entschlossen mit Caio nicht das Geringste zu schaffen haben. Wenn irgendjemand fürderhin auf die Idee kommen sollte, in den leiernden Singsang Caio, Caio einzufallen, muss er acht geben, dass ich ihm nicht kommentarlos eine schaller. Sei's drum: Weder Ochs noch Amanatidis vermochten das Ruder herum zu reißen; erst in den letzten Sekunden bäumte sich die Eintracht auf; Russ köpfte ans Gestänge und Amanatidis konnte den Ball gleichfalls nicht im Tor von Fromlowitz unterbringen.

SMS an Pia: Aus!
Antwort: Shit.

Es war wie gehabt, die Eintracht war nicht in der Lage, gegen eine schwächelnde Mannschaft zu punkten und ziert fürs Erste die hinteren Regionen der Tabelle. Russ wirkte in der Innenverteidigung überfordert und dürfte nach Chris Genesung auf der Bank landen; Gekas spielt nicht wirklich mit, Schwegler hatte einen gebrauchten Tag erwischt und die Einwechselspieler bestätigten auf eindrucksvolle Weise, weshalb sie nicht von Beginn an auf dem Platz standen. Spielerisch gefällig, fehlte der Eintracht Druck und Wille, solch ein Spiel zu gewinnen. Positiv vielleicht noch Jung und Köhler, während Meier für meinen Geschmack zu weit hinten agierte. Und Nikolov - Weltklasse gegen Schulz und Kreisklasse gegen Ya Konan - so kennen wir ihn. Das macht es nicht besser.

Völlig überflüssig die erste Niederlage eingefangen - in Hannover. In HANNOVER.

Enttäuscht und verärgert marschierten wir zum Parkplatz, verabschiedeten uns von Christian und Uwe und rollten Richtung Autobahn. Einem kurzen Stopp bei einer Burgerbraterei, der sich zu einem längeren entwickeln sollte, weil die Burgerbrater nicht mit dem Burgerbraten nachkamen, folgte ein unspektakulärer Ritt über die A5. Die Sonne versank und zauberte mit den Himmelswölkchen ein freundliches Bild eines Sommerabends, der in mir gar nicht so freundlich arbeitete. Die Musik übernahm die Hauptrolle, ich betrachtete den vorbeiziehenden Abendhimmel bis Muelli irgendwann unvermittelt von sich gab: Ich ärger mich immer noch. Das ging mir genauso.

Wir überholten den Eintracht-Bus, keine Hupe, kein Winken dafür aber die Info von Pia, dass die Auslosung im DFB-Pokal den HSV als Gegner brachte, während der FSV gegen Schalke und der OFC gegen Dortmund ran dürfen; ein entspanntes Fußball Wochenende wartet auf uns und so rollten wir gegen halb zehn, zwölf Stunden nach dem morgigen Aufbruch in Frankfurt ein. Ich bedankte mich für die freundliche Fahrt; der schwarz-rote Audi verschwand in der Nacht und ich im Dunkel des Nordends.

Später lief im HR noch ein Frankfurter Tatort von 1985; der Ehemann der Toten kam - es wurde mehrfach betont - aus Hannover. Ach leck mich.

8 Kommentare:

  1. Schön geschrieben. Wie immer. Die Niederlage war nicht nur überflüssig, sondern auch unnötig. Ein unentschieden wäre für beide Mannschaften verdient gewesen. Hannover bleibt trotz der grottigen Leistung der Eintracht ein schmeichelhafter Sieger.

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  2. Ack leck mich. Wi Recht Du dich hast, Beve. Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen könnte. Das einzig Gute an diesem Tag ist die nächste Folge der Heimspielserie dieses geschätzten Autors. Vielen Dank!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

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  3. Ich fasse mal zusammen: "Fuck." "Shit." "Ach leck mich." Bringt's ziemlich genau auf den Punkt. Scheiße, das. Gruß vom Kid

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  4. Eigentlich unnötig, es noch zu schreiben, aber mal wieder ist dein Bericht (leider) das Highlight dieser Auswärtsfahrt.
    Wobei ich deinen Unmut bezüglich Caio diesmal nicht ganz nachvollziehen kann, für mich hat diesmal Ümit den Vogel der Einwechselspieler abgeschossen..

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  5. Sehr schön Axel, sehr klug war Deine Entscheidung mit dem Auto und nicht mit dem Bus zu fahren. Ansonsten ist leider festzuhalten: Vorbereitung ist Vorbereitung (so schön dieser Sommer auch war), aber Bundesliga ist eben dann doch komplett was anderes.

    In diesem Sinne: Doppelter Heimsieg gegen den HSV !

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  6. Ach Beve, das einzig angenehme an diesem Fußball-Nachmittag war eure Gesellschaft. Hatten wir nicht alle nach 15 Minuten in Hz 2 geglaubt, dass die Eintracht gewinnen würde. Es sah ein bisschen so aus, bis Korki kam. Er erinnert immer mehr an einen tragischen Helden.
    Es fehlte Biss, der Wille, die Agressivität.
    Was für ein Elend.
    LG
    Uwe

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  7. Schöner Text Beve.

    @ThorstenW: Doppelter Heimsieg gegen den HSV? Mir fehlt da im Moment etwas der Glaube...

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  8. genau, kein biss, kein wille und dazu taktische fehler neben unvermögen im abschluss.

    abuzze, auf caio bin ich nicht saurer als auf die anderen. mich nervt nur das völlig sinnfreie caio caio gerufe.

    schön verkackt. dennoch bin ich gegen den hsv optimistisch, da wissen die jungs, dass sie arbeiten müssen.

    viele grüße

    beve

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