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Dienstag, 11. Mai 2010

Ihr Eintrachtler, lasst euch nicht zerbrechen - Teil 1


Ihr Eintrachtler, lasst euch nicht zerbrechen - so schrieb der ehemalige Vorsitzende Arthur Cahn der Eintracht aus dem chilenischem Exil im Jahr 1952. 1936 war er mit seiner Schwester nach Chile geflüchtet - und sollte niemals mehr in seine Heimat Frankfurt zurück kehren, obgleich das Heimweh ihn plagte; der Tod durchkreuzte das Vorhaben im Februar 1952. In Erinnerung an den ehemaligen Spieler, Vorsitzenden und Pressewart lief die Eintracht zum Oberligaspiel gegen 1860 München am 02. März 1952 mit Trauerflor auf.

Ihr Eintrachtler, lasst euch nicht zerbrechen - so lautete auch das Motto einer Veranstaltung im Museum am 05. Mai 2010 anlässlich der zweiten Stolpersteinverlegung im Gedenken an jüdische Eintrachtler, die von den Nazis ermordet wurden. Wurde 2008 in der Finkenhofstraße in unmittelbarer Nachbarschaft des früheren Wohnortes des jetzigen Eintracht Präsidenten Peter Fischer an den ermordeten Eintrachtler Emil Stelzer und dessen Frau Elsa gedacht, so galt das Gedenken nun dem Fußballer Hans Rosenbaum und dessen Eltern Frieda und David, die in der Unterlindau 74 eine florierende Metzgerei betrieben, welche in der Reichspogromnacht 1938 zerstört wurde.

Am Abend vor der Stolpersteinverlegung fanden sich annähend 50 Interessierte im Museum der Eintracht ein, um sich nicht nur die traurige Geschichte der Rosenbaums zu vergegenwärtigen, sondern auch in Erinnerung an den großen deutschen Fußballer Julius Hirsch, der im Trikot des Karlsruher FV und der Spvgg Fürth den Vorgängervereinen der Frankfurter Eintracht so manches Tor eingeschenkt hatte und zwei Mal deutscher Meister sowie Nationalspieler wurde, bevor er 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und aller Wahrscheinlichkeit nach dort ermordet wurde. Das offizielle Todesdatum wird wie bei so vielen auf den 08. Mai 1945 datiert, auf den Tag der endgültigen Kapitulation Deutschlands.

Der zweite Themenkomplex befasste sich mit der Schuhfabrik J.& C.A. Schneider genannt Schlappeschneider, deren Mäzenentum die Eintracht bis 1932 an die Spitze des deutschen Fußballs gebracht hatte - 1932 unterlag die Eintracht als süddeutscher Meister im Finale um die deutsche Meisterschaft in Nürnberg dem FC Bayern mit 0:2; es war die erste deutsche Meisterschaft der Münchner, deren Präsident Kurt Landauer ebenfalls jüdischen Glaubens war - auch er verlor im Jahr darauf seine Arbeitsstelle und trat als Präsident der Bayern zurück.

Zu Gast im Museum waren Eberhard Schulz von der Versöhnungskirche im KZ Dachau, der über das Schicksal von Julius Hirsch aufklärte, sowie Helga Roos und Bertan Tufan vom Sportkreis Frankfurt, welche von den Ergebnissen der Geschichtswerkstatt Schlappeschneider – Schlappekicker, in der sich Schüler aus dem Gallusviertel 2008 mit der Geschichte der Schuhfabrik I.C.A.S. Schneider auseinandersetzten, berichteten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Matthias Thoma, Museumsdirektor und profunder Kenner der Eintrachthistorie und Autor des Buches Wir waren die Juddebube über die Eintracht in der NS-Zeit.

Im Publikum befanden sich sowohl junge Leute als auch Zeitzeugen, auch Klaus Gramlich, ehemaliger Eintrachtpräsident und Sohn von Rudi Gramlich, einstiger Nationalspieler der Frankfurter Eintracht, Olympiateilnehmer 1936, Vereinsvorsitzender 1939-1942 und nach dem Krieg von 1955-1970 Präsident der Eintracht, in dessen Büro am Riederwald sogar Eintracht-Legenden wie Alfred Pfaff oder Jürgen Grabowski stramm standen.

In bewegenden Worten schilderte Eberhard Schulz den Lebensweg des Julius "Juller" Hirsch, der 1909 als 17-jähriger beim Karlsruher FV in der ersten Mannschaft debütierte und 1910 wenige Wochen nach seinem 18. Geburtstags erstmals deutscher Meister wurde. Den zweiten Meistertitel errang er 1914 mit der Spvgg Fürth. Sieben Mal trug er das Trikot der deutschen Nationalmannschaft - und erzielte am 24. März 1912 beim 5:5 gegen die Niederlande als erster deutscher Spieler vier Treffer in einem Spiel. Hirsch kam auch zu zwei Einsätzen bei den olympischen Spielen 1912 in Stockholm; beim 16:0 gegen Russland, dem bis höchsten deutschen Sieg war er allerdings nicht dabei, sein Teamkamerad Gottfried Fuchs schoss in jenem Spiel alleine 10 Tore - ein deutscher Rekord für die Ewigkeit. Fuchs, wie Hirsch Jude, emigrierte 1937 über die Schweiz nach Frankreich und 1940 nach Kanada, wo er 1972 verstarb. Beiden gemein war die Tatsache, dass ihre Namen während der NS-Zeit aus den Annalen des DFB getilgt wurden; wie auch die Frankfurter Eintracht in der Festschrift zum 40jährigen Bestehen 1939 die Namen jüdischer Vorsitzender unterschlug.

Wie viele deutsche Juden unterschätzte Julius Hirsch die drohende Gefahr; hatte er doch noch im ersten Weltkrieg als Soldat seinem Vaterland gedient und wurde dafür mit dem eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet. 1920 heiratete er die Christin Ella Karolina Hauser, 1922 wurde Heinold Leopold geboren, 1928 Esther Carmen.

Wirtschaftlichen Schwierigkeiten folgte 1933 das sportliche Aus. 14 Vereine, darunter der Karlsruher FV und die Frankfurter Eintracht unterzeichneten am 9. April 1933 die Stuttgarter Erklärung, die im Kicker abgedruckt wurde und beinhaltete, dass sich die Vereine freudig und entschieden der nationalen Regierung zur Verfügung stellten und die Mitarbeit insbesondere der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen anboten (Wir waren die Juddebube, Seite 48). Julius Hirsch erklärte daraufhin seinen Austritt aus dem Karlsruher FV. Wenn er fortan Spiele seines geliebten Karlsruher FV besuchen wollte, musste sich der einst gefeierte Star durch ein Hintertürchen auf den Sportplatz schleichen.

Sportlich durfte Hirsch nicht mehr tätig sein, Versuche in der Schweiz als Trainer unter zu kommen scheiterten und 1938 verlor er endgültig seine Arbeit, niedergeschlagen stürzte er sich auf der Heimreise nach einem Verwandtenbesuch in Frankreich aus einem fahrenden Zug - und überlebte. 1939 ließ er sich scheiden, um seine Frau und die Kinder vor Verfolgung zu schützen, wurde zur Zwangsarbeit verpflichtet und 1943 wohl nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Eine aus dem Zug geworfene Postkarte gilt als das letzte Lebenszeichen von Julius Hirsch: Meine Lieben. Bin gut gelandet, es geht gut. Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse euer Juller.

Seine Kinder wurden noch im Februar 1945 ins KZ Theresienstadt geschickt; das Kriegsende und die Befreiung durch die Rote Armee rettete ihnen jedoch das Leben.

2006 wurde für Julius Hirsch in Karlsruhe ein Stolperstein verlegt, auch in der Geschichte des DFB ist sein Name wieder präsent: 2005 wurde der Julius Hirsch Preis ins Leben gerufen; eine Auszeichnung zum Zeichen für Toleranz und gegen Rassismus. Erster Preisträger war der FC Bayern München, dessen damaliger Manager Uli Hoeneß noch 2003 auf eine Frage nach der Geschichte des 1933 zurück getretenen jüdischen Präsidenten Kurt Landauer sinngemäß geantwortet hatte, dass dies ihn nicht interessiere, da dies vor seiner Zeit gewesen sei. Einen kritischeren Umgang mit der Vergangenheit pflegten wie so oft die Fans, hier die Schickeria und so kam es, dass jener Uli Hoeneß sieben Jahre später den Kurt-Landauer-Platz in München einweihte.



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