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Dienstag, 20. Juli 2010

Ein Gefühl für die Ewigkeit

Eben noch saßen wir draußen, der Fernseher lief und die Weltmeisterschaft in Südafrika beherrschte die Gespräche und manch Zeitplan; an den Fenstern und den Außenspiegeln flatterten Schwarz-Rot-Goldene Fähnchen und keinen Atemzug später scheint alles tiefste Vergangenheit, neue Themen beherrschen und erhitzen uns - und von Bestand und Tiefe ist nur der Tod könnte man meinen.

Und manchmal flattert eine Erinnerung vorbei, setzt sich draußen auf die Fensterbank und schaut hinein in dein Zimmer und in dich und du weißt, dass etwas hinter dir liegt, ein Etwas, was in dir arbeitet und auf Morgen verweist oder Zusammenhänge aufweist, die du selbst gar nicht kennst. Now on the street tonight the lights grow dim / The walls of my room are closing in / There’s a war outside still raging / You say it ain’t ours anymore to win / I want to sleep beneath peaceful skies / In my lover’s bed / With a wide open country in my eyes / And these romantic dreams in my head sang Bruce Springsteen im Song No Surrender. Eine Version davon höre ich seit ein paar Tagen und habe sie mir gestern auf eine Sommer CD gebrannt, darunter auch einen Song der neuen Gaslight Anthem CD American Slang, nämlich das unglaubliche Orphans.

Heute entdeckte ich auf Fritschs wunderbarer Seite ein Foto, unterlegt mit eben jenen Zeilen von No Surrender: With a wide open country in my eyes - und die Erinnerungen schweifen haltlos durch Zeit und Raum.

1985 - Kurz zuvor war Born in the USA erschienen, das Album welches Springsteen den endgültigen Durchbruch in Europa verschaffte; es war das Jahr in dem zum ersten Mal das Festival Rock am Ring an den Start ging, Springsteen gehörte zwar nicht zum Line-Up, aber aus allen Autoradios und Cassetten-Recordern der Besucher erklang das gleiche Lied: You can't start a fire without a spark, This gun's for hire, even if we're just dancing in the dark.

Nur wenige Wochen später gastierte der Boss höchstselbst in Frankfurt - es war das erste Mal, dass ich den Boden des Waldstadions betreten durfte, in der Hand einen 5-Liter Kanister Apfelwein - der nach über drei Stunden unglaublicher Performance Springsteens natürlich leer war - und was waren wir glücklich, überglücklich - es war einer einer Abende, die niemals enden dürfen und die natürlich doch vorbei gingen, so wie alles endlich ist - außer der Endlichkeit und der Traurigkeit vielleicht.

Zehn Jahre später fahre ich durch England, wir hatten einen alten Strich-Achter-Diesel und oben auf unsere Fahrräder gepackt, Springsteen war ein bisschen in den Hintergrund getreten, statt dessen gaben Pearl Jam oder DanceIITrance den Ton vor; wummerten Trance-Sounds aus den Boxen. Wir campierten in Salisbury, besuchten Stonehenge und machten uns dann auf nach Glastonbury. Den Mercedes parkten wir etliche Kilometer vor dem Gelände und radelten, bepackt mit Zelt und Schlafsack zum Festival - drei Tage voller Musik, Freaks, Technonächte, und Freiheit warteten auf uns. Nachmittags spielten unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Toten Hosen, The Cure gaben eines ihrer legendär schlechten Konzerte; Oasis, Prodigy und Portishead waren ebenso dabei wie Pulp und mein Highlight war sicherlich der Auftritt von Mike Scott, Sänger der Waterboys, der im Accoustic-Zelt mit Gitarre und Klavier die Menschen verzauberte, das Tape von dem Auftritt habe ich heute noch; mit dem Glastonbury-Song. Es waren heilige Tage, die mit einem Spaziergang auf den Glastonbury-Tor ausklangen; their's a green hill far away, I'm going back there one fine day.

Seither war ich nicht mehr dort.

Das Zeitenrad drehte sich weiter, die Jahre kamen und gingen und ist es knapp zwei Jahre her, als ich eine neue Band entdeckte, deren Sound mich von den Socken holte - obgleich er eigentlich völlig unspektakulär ist: The Gaslight Anthem aus New Jersey, der Heimatstadt von Bruce Springsten und wenn man genau hinhört, dann klingt Brian Fallon ein wenig nach dem Boss. Einer meiner Lieblingssongs ist The 59sound - nicht nur deshalb, weil 1959 die Eintracht letztmalig Deutscher Meister geworden ist; davon jedoch erzählt der Song nicht. Er verhandelt vielmehr den Verlust eines Freundes, der bei einem Autounfall ums Leben kam, als die Band einen Auftritt hatte und dazu von der Frage, welcher Song der letzte ist, den du in diesem Leben hörst. 1959 - das Jahr, in dem die Musik starb, the day, the music died.

And I wonder which song they're going to play when we go.
I hope it's something quiet mannered, peaceful, and slow.
When we throw out into the ether.
Into the everlasting arms.

Von mir aus, kann in einem Falle dieses Lied gespielt werden, auch der Glastonbury Song oder Dancing in the Dark. Aber das spielt hier keine Rolle. Letztes Jahr spielte Gaslight Anthem in Glastonbury und zum Song 59 Sound kam tatsächlich Bruce Springsteen auf die Bühne - und obgleich ich nicht dabei war, standen mir beim Anschauen des Videos die Tränen in den Augen. Springsteen, Glastonbury, The Gaslight Anthem - der Kreis ist geschlossen. Was für ein Gefühl muss es sein, wenn dein Idol plötzlich auf der Bühne mit dir steht und deinen Song singt. Ein Gefühl für die Ewigkeit.



Und dann sitzt du hier, schaust in den Sommer, versuchst zu begreifen, weshalb Fritschs Blogeintrag, Springsteen, das Waldstadion, Glastonbury und The Gaslight Anthem zusammenhängen, zusammenkommen und welche Bedeutung dies alles für dich hat; diese Schönheit gepaart mit der Vergänglichkeit - als wäre manches Augenzwinkern des Weltenrades nur für dich gemacht - und der ganze Irrsinn des Alltages ein tumbes Älterwerden; gesponsert von der Verblödungsindustrie, die uns eingemeindet und uns vorgaukelt, dass Glück darin besteht, Dinge zu kaufen und zu produzieren die uns im Grunde unseres Herzens einen Scheiß interessieren und von denen wir doch alle glauben, so und nicht anders müsste es sein weil wir kaum noch auf den Gedanken kommen, das Leben könnte auch anders sein. With a wide open country in my eyes / And these romantic dreams in my head.

Goodbye circus wheel
May you rest along the sea
I have given you the fire of my youth
And the triumph o're my enemies
Goodbye fair weather home, and your faithless factories
I have given you the blood and the truth
from the wounds they laid onto me
And whatever they left, well, I kept it for my own heart.

Dienstag, 3. Februar 2009

Heimspiel in Berlin - Januar 2009


I'm Outlaw Pete!

I'm Outlaw Pete!
- can you hear me?

Oh ja, wir konnten ihn hören, den ersten Song des neuen Albums von Bruce Springsteen; langsam drehten die Gitarren-Riffs in den Song hinein, und langsam rollte ein vollgetankter mit Öl und Wasser versehener silberner Golf auf die Autobahn, hinter uns lag eine Zeit ohne Fußball und vor uns ein Ausflug nach Berlin, traditionell ein Auswärtsspiel im Winter, Kälte und Frost - und dennoch ist Berlin immer eine Reise wert, auch wenn diesmal meine Freunde Susi und Thomas aus unterschiedlichsten Gründen verhindert waren. Pia und ich hatten so im hinteren Teil von Kreuzberg in der Fabrik ein Zimmer gebucht und dort sollte unser erster Halt sein, alles weitere würde sich ergeben; was willst du planen, wenn Gott eh nur über die Pläne lächelt und alles ganz anders kommt, als du dachtest. So hatte ich zum Beispiel meinen alten Telefonvertrag gekündigt und hoffte auf ein sanftes Übergleiten in den neuen, allein die Dinge liefen seltsam und hatten zur Folge, dass am Freitag Morgen mein Telefon und Netzanschluss keinen Mucks mehr machten - und bis auf Weiteres lahm gelegt sind. Es ist Freitag.

Where the cold wind blows
Tomorrow never knows
Where your sweet smile goes
Tomorrow never knows

Die ersten Kilometer zeigten blauen Himmel und wenig Verkehr, wir flossen die A5 entlang, passierten die 10km Baustelle mit den Kinderplakaten an der Seite, die uns sanft darauf aufmerksam machten, die Geduld nicht zu verlieren; besonnen zu bleiben in der Hatz des Alltages. Die Bäume zur Seite, blattlos, wie es sich für den Winter gehört waren bald überzogen von einer kristallinen Schicht, eisweiß harrten die Äste in der Kälte der Tage, weißer Kandis am Stengel - der Tee dazu in der Thermoskanne und Musik obendrein; The Rifles, Rod Stewarts begnadete Version von Gasoline Alley, gesungen in einem Hamburger Hinterhof und immer wieder Springsteen, auch wenn ich zugegebenermaßen lauter mitsang als Pia.

Hessen, Thüringen, die drei Gleichen, Kilometer um Kilometer spulten wir ab und freuten uns auf ein paar unbeschwerte Tage, auf all die Gesichter der vergangenen Jahre und auf die Second Hand Shops in der Hauptstadt, worauf sich zugegebenermaßen Pia mehr freute als ich.

Zwischen Schorba und Magdala legten wir unseren traditionellen Zwischenstopp ein; eine kleine Bude am Hügel, Handwerker wie Reisende warteten auf Thüringer Bratwürstchen, Gulaschsuppe oder Vita-Cola, draußen wars kalt und drinnen günstig.

Willkommen im Land der Frühaufsteher grüßten die Sachsen-Anhaltiner, Leipzig, Halle, später Brandenburg, wir kamen gut durch und verpassten allerdings unsere Abfahrt bei Berlin, so dass wir eine kleine Ehrenrunde drehten und urplötzlich über Marienfelde in die Hauptstadt einrollten, statt auf dem Avus dem Berliner Begrüßungs-Bär zuzuwinken. Immerhin, wir hatten es geschafft; über Tempelhof ging es gemächlich Richtung Kottbusser Tor, dann Schlesisches Tor am Rande zu Treptow, Endstation in der Schlesischen Straße, einchecken - chillen.

Andi hatte uns zum Essen eingeladen und so marschierten wir nur wenig später durch den Görlitzer Park zum Landwehrkanal in Richtung Kreuzberg 61, dem ehemals alternativeren Teil von Kreuzberg. Dort, wo wir im Sommer noch mit T-Shirt und kurzen Hosen am Ufer gesessen hatten klirrte nun eine Kälte, Enten hockten auf einer Eisfläche am Wasser und wir achteten streng darauf, den Hinterlassenschaften der Berliner Hunde auszuweichen, eine Übung, die zu den Klassikern der Hauptsadt zählt, von den Straßen her hupten die Autos und nach einem ordentlichen Fußmarsch schlugen wir bei Andi auf, der gerade dabei war, lecker Börek zu verarbeiten. Arne war schon da, hatte literweise Äppelwoi aus Frankfurt mitgebracht, und wir schwatzten oder spielten mit Klein-Lola, die ordentlich was erzählen kann. Nach dem Mahl dackelten wir in eine Kneipe ums Eck, tranken Astra-Bier - und ich glaube, dass Yvonne, Andis Frau, ganz froh war, dass wir dies nicht bei ihr zuhause taten, bald füllte sich der Tisch mit den kleinen Fläschchen und ebenso bald stieß noch David zu uns, der seit Jahren in Norwegen lebt und extra für das morgige Spiel eingeflogen war. Die Zeit drehte ihre Runden und spät in der Nacht sausten Pia und ich mit einem Berliner Taxi in Richtung temporärer Heimat. Einige Mühe brachte noch die Order eines Sandwiches in einem Subway-Laden. Froh, meine Bestellung aufgegeben zu haben, war ich dann doch bei den Details überfordert. Welcher Käse, welches Gemüse, welche Soße, warm oder kalt, geschnitten oder am Stück - Wahnsinn, was es alles gibt. Am End aber lachten die Bedienung und ich - und ich kaute frohgemut mein erstes Subway-Sandwich.

Über Nacht hatte es geschneit, die Straßen waren weiß und glatt, glatt waren auch meine Stiefel und so rutschten wir nach einem Milchkaffee in Richtung U-Bahn, die an manchen Punkten eine Hochbahn ist. Ein paar Jungs checkten Fahrkarten, wollten günstige Tagestickets verkaufen, wir aber zogen brav ein Einzelticket und hockten uns in einen der gelben Wagen, deren Fenster mit tausenden kleinen Brandenburger Toren verziert waren

... Alle vier Minuten kommt die U-Bahn hier vorbei
und alle dreieinhalb Minuten kommt ein neues Bier
und ich sage dir das ist ungesund
Weil es nämlich irreführend und gefährlich ist
wenn etwas U-Bahn heisst das über unsren Köpfen rattert
schließlich steht das U für Untergrund ...

... sangen Element of Crime vor Jahren; Görlitzer Bahnhof, Kottbusser Tor, Prinzenstraße, Hallesches Tor bis hin zum Wittenbergplatz wo wir umstiegen, noch einen Milchkaffee orderten und später mit der U2 durch Charlottenburg in Richtung Olympia-Stadion rollten. Den ersten Frankfurter, den wir trafen war Adi, der gutgelaunt in Richtung Stadion marschierte, immer wieder seinen Kumpel verlor und dennoch nicht verloren ging. Adi geht nie verloren - und das ist gut so.

Da wir keine Tickets für das Spiel hatten, schlugen wir uns zur S-Bahn am Gästeeingang durch und harrten der Dinge und Menschen, die da kommen würden - und alsbald kamen Christian und Uwe des Wegs, später auch Gerd, Andi, Arne und David, hier stieß noch Rainer zu uns und überhaupt war's ein Guude und Hallo, Tausend kleine Schwätzchen, ab und an ein Schöppchen dazu und da Ina uns noch ein paar Tickets organisieren konnte und wir uns also nicht am Kassenhäuschen anstellen mussten, wanderten wir von Platz zu Platz und babbelten mit Frankfurtern jeglicher Couleur, die einen waren mit dem Zug hier, die anderen mit dem Bus und im Großen und Ganzen war die Stimmung recht gelöst. Good Butcher erzählte mit leuchtenden Augen von einem Bericht, den er über seinen Tag schreiben wollte - und er hat es dann ja auch tatsächlich geschafft. Zwischenzeitlich erreichte uns die Kunde, dass eventuell einige Auseinandersetzungen nach dem Spiel geplant waren und deshalb die Bembelbar auf der Kippe stand, das hätte grad noch gefehlt.

Der Einlass ging halbwegs zügig von statten, alleine direkt vor dem Block mussten wir noch einmal warten; wir schlängelten uns an die Seite und fanden ein Plätzchen rechts neben dem Marathontor, vor uns stand Roland, auch der Bernemer Adler, unten die Ultras und die Mannschaftsaufstellung verkündete, dass Caio für uns überraschend im Kader war und ebenso überraschend Steinhöfer statt Mahdavikia auflief. Auf der blauen Laufbahn lag ein Schneehäuflein, weiße Flocken schwebten zu Boden - und wer erinnerte sich nicht an die Szenerie vor einem Jahr, als Martin Fenin drei Tore schoss und die Eintracht bei leichtem Schneefall mit 3:0 als Sieger vom Platz ging.

Wer auf eine Wiederholung gehofft hatte, wurde in der 17. Minute schwer enttäuscht, der erste Torschuss der Hertha landete im Netz, und es dauerte nicht lange, bis Berlin einen Elfer zugeprochen bekam, aus meiner Sicht völlig unberechtigt und nahezu skandalös (allerdings sollten die Fernsehbilder mich eines besseren belehren). Unser Torhüter Markus Pröll hatte sich bei der Aktion verletzt, was ihn allerdings nicht davon abhielt, den Elfer zu halten, was uns wiederum natürlich Auftrieb gab, leider nicht unseren Jungs auf dem Platz: als der Halbzeitpfiff ertönte, hatte ich den Eindruck, dass die Eintracht nicht statt gefunden hatte, leider nicht zum ersten Mal in dieser Saison.

Und wer gedacht hatte, dass die zweite Hälfte mit mehr Schmagges angegangen wurde, wurde zunächst enttäuscht; keine drei Minuen waren gespielt, als Pantelic zum zweiten Mal traf und wie stets den Aff' machte beim Torjubel. Kurz darauf bugsierte Benny Köhler die Kugel zum Anschlusstreffer ins Netz und ab dann war die Eintracht am Drücker, spielte sich frei, so dass die Hertha lediglich zu einigen Konterchancen kam, immerhin kickten dort Voronin und Pantelic - richtig gefährlich wurde es jedoch nicht mehr - was auch an Jan Zimmermann lag, der den verletzten Pröll ab der 58. Minute ausgezeichnet vertrat.

Später kam Kweuke zu seinem ersten Einsatz und sorgte gleich für Gefahr im Herthastrafraum, wie auch unser zweiter Neuzugang in der Winterpause, Petkovic, als linker Verteidiger eine gute Figur machte - und auch offensiv einige Akzente setzen konnte.

Eigentlich waren wir am Ausgleich dran im kalten Olympia-Stadion. Dort wo die Werbebanden flackern, dass es ein Graus ist und der Stadionsprecher verzeifelt versucht, das Berliner Publikum zur Stimmung zu erkaspern; die Zuschaueranzahl wird von irgendeinem Sponsor präsentiert wozu ein Zählwerk eine gefühlte viertel Stunde braucht, um den Stand anzuzeigen - auf dass du ja genug lange auf den Namen des Sponsors guckst, denn ich schon wieder vergessen habe. Bei aller Liebe, wenn dies die Zukunft des modernen Fußballs ist, dann ohne mich - die grinsen dir doch ins Gesicht und verarschen dich sehenden Auges, vor lauter Geflacker siehst du den Ball nicht mehr. Die Hertha-Fans verhielten sich ruhig - und wir? Nuja, dafür, dass der Ausgleich in der Luft lag, war wenig Peitschendes aus dem Block zu vernehmen, vorne ein bisschen SingSang, in der Mitte Schweigen und sonst ab und an ein Eintracht, Eintracht, zuwenig um zu zünden. Als dann ein Kopfball von Meier in den Armen des anfangs relativ unsicheren Drobny landete, Pantelic bei einer Attacke getroffen wurde und sich anschickte auf dem Platz zu versterben, als die Balljungen mal einen Ball auf das Spielfeld warfen, obgleich noch gespielt wurde, mal einen Ball nicht sofort an die Eintracht rausrückten und zu allem Überfluss der Stadionsprecher ins Spiel eingriff, um die stummen Herthaner Zuschauer dahingehend zu bewegen, den Torhüter zu beklatschen, schwanden die Hoffnungen, hier zu punkten. Nachdem Ochs noch einen Sinnlosball in den Strafraum gekickt hatte, war's dann endgültig vorbei, und die Eintracht hatte verloren. Immerhin, der Auftritt in der zweiten Hälfte machte Mut, ärgerlich war die Niederlage dennoch - und unverdient dazu.

Was folgte war eine weitere Nummer aus Absurdistan. Wir verließen unseren Block und wollten zur U-Bahn marschieren, als wir feststellen mussten, dass sich eine ganze Reihe Polizei inclusive Wagen dazwischen gestellt hatten und kein Durchkommen war. Fantrennung - manchmal eine gute Idee - aber doch nicht, wenn auf beiden Wegen sowohl Frankfurter und Berliner marschierten - und nicht dorthin konnten, wo sie hinwollten. Schön war sicherlich, dass einige Cops auf dem Rücken die Zugnummer 1312 spazieren trugen, buchstäblich A C A B. Lustig. Der Clou aber folgte nach wenigen Metern, dort endete die Sperre und wir liefen auf der anderen Seite wieder zurück und landeten genau dort, wo wir hin wollten; das ganze erinnerte stark an Biathlon und die Strafrunden. Als Pia einen leitenden Cop ansprach, war dieser auch nicht ganz glücklich mit der Situation, immerhin erzählte er uns von geplanten Drittortauseinandersetzungen - und dem Versuch die strömenden Massen ein bisschen zu trennen. Nehmt's sportlich meinte er, was bliebe auch sonst zu tun. Aber habt ihr es gelesen, mein Lieblingswort? Drittortauseinandersetzung. Das wird ab jetzt fester Bestandteil meines Vokabulars. Drittortauseinandersetzung. Doll. Da lobe ich mir doch die Herthaner die vor dem Stadion in einem Wohnwagen mit dem Kennzeichen B-SC ... hockten, eine fette Box angeschlosen hatten und in dem Gefühl des zweiten Platzes in der Tabelle sicherlich eine Kiste Schultheiss platt machten. Drittortdrinking - auch gut.

Kälte und Hunger nahmen uns in deren finstere Klauen und so definierten wir unser Ziel präzise: Öko-Burger futtern im Kreuzburger in der Oranienstraße nahe des Franziskaners, dem Ort der Bembelbar und so ruckelten Andi, Arne, David, Pia und ich Richtung Kreuzberg und marschierten mit klammen Fingern in den Laden, wo wir die nächsten Stunden bei Burger, Bier und Heizung verbrachten, bis wir aufgetaut und frisch für die Bembelbar waren. Zwischenzeitlich enterten etliche Gäste den Laden, viele davon trugen lustige Mützen und bei manch einem wussten wir nicht, ob es sich um eine Mütze oder die Frisur handelte: Dit is Balin, wa?

Schon vor dem Franziskaner standen jede Menge Eintrachtler, Hilde drückte uns zwei Schöppchen in die Hand und so endete die Nacht bei Musik und Tanz, bei Getränk und Gespräch, hier war Bernie, dort Carola, hier Jens und dort Matze, bis spät in die Nacht hockten wir beisammen, trafen viele alte und neue Gesichter und rockten gutgelaunt in den Morgen ... this is the ace of spades, the ace of spades ...


Winternacht in Kreuzberg. In der Eiseskälte marschierten Pia und ich durchs Berliner Dunkel, erstanden noch einen Döner und fielen bald müde aber glücklich in die Falle und ratzen mehr oder weniger durch den Vormittag, wo wir erfuhren, dass sich Prölls Verletzung als weit weniger schlimm herausstellte, als am Abend kolportiert wurde und wir schon befürchtet hatten, ihn zum letzten Mal im Tor der Eintracht gesehen zu haben.


Es folgten ein langer Spaziergang am Sonntagnachmittag mit schönen Berlinbildern und eisigem Wind, ein gepflegter Nachmittag bei Holger und Ryke, ein entspanntes Abendessen beim Griechen und eine letzte U-Bahnfahrt durch die Kälte der Hauptstadt.


Montags standen nach einem ausgiebigem Frühstück die Second Hand Laden auf dem Programm, wir durchstöberten die Lädchen nach brauchbarem Material, tranken noch so manchen Kaffee, trafen Andi an der Bergmannstraße, holten Klein-Lola vom Kinderladen ab und futterten zum Abschied bei Curry 36 noch den obligatorischen Fleischspieß und näherten uns dem Abschied aus Berlin; einer Stadt, die im Sommer pulsierend und lebendig daherkommt, im Winter aber kalt, schmutzig und unwirtlich erscheint - vor allem, wenn die Eintracht verliert. Trotzdem blitzen zwischen Bio-Läden und Hundkot immer wieder die Bilder auf, die du mit dem alten Berlin verbindest, die Freiflächen, die Bolzplätze inmitten der Altbauschluchten, die Graffitis an den Häuserwänden oder die etwas andere Haltung zur bundesdeutschen Vergangenheit.

Wir verabschiedeten uns von Andi, Yvonne und Lola, warfen den Golf an und nach einem kurzem Zwischenstopp an einer Tanke kurz vor der Autobahn am Tempelhofer Damm sausten wir auf den Highway, winkten dem Berliner Bär zum Abschied und wussten: Wir kommen wieder. Radio Motor FM rockte noch eine ganze Weile, später Muse oder Placebo; Kilometer um Kilometer näherten wir uns dem Herzen von Europa, du fährst schneller, wenn es dunkel ist - und knappe 550 km später erhob sich die Skyline von Frankfurt; A661, Friedberger Warte, Nordend. Wir parkten den Golf, der uns so tapfer etliche Kilometer durch Deutschland kutschiert hatte und nahmen noch einen Absacker bei Silke im Backstage. Frankfurt, du hast uns wieder. Aber frage nicht, wie lange.

You and me we've been standing here, my dear
Waiting for our time to come
Where the green grass grows
Tomorrow never knows.




(Fast) alle Fotos sind von Pia Geiger. Schön, gell? Und Danke!

Freitag, 28. November 2008

Dum spiro, spero – Eine kurze Geschichte der Hoffnung


Dieser Tage erreichte mich ein Text vom Fritsch. Ihn kennt ihr durch den Blog des
Hobokollektivs, das ich neulich verlinkt hatte. Es ist ein Text, der von einem vergangenem Spiel handelt und so scheinbar gar nichts mit heute zu tun hat. Oder doch?

Lest selbst:



Es war ein klarer und schöner Maitag des Jahres 1999. Ich erinnere mich genau: Es war der 29. Mai 1999. An diesem Tag lernte ich etwas über Hoffnung, unbedingten Willen, die Diva und hundert kleine Tode, die man überlebt.

Es gibt Tage, an denen wacht man auf und weiß, es wird ein ganz besonderer Tag werden. Früh schien die Sonne und die Luft war klar und voller Frühling. Läge Berlin im Süden, würde man sagen, man kann die Berge sehen. An diesem Tag sollte der große Bruce Springsteen mit der wiedervereinigten E-Street Band in der Berliner Wuhlheide spielen. Eine Tatsache, die jeden Tag golden erscheinen läßt, zumindest meinen Tagen einen tieferen Sinn gibt. Vorher galt es das Überleben der Diva – der Eintracht aus Frankfurt, die nicht nur im Herzen Europas spielt, sondern seit den seligen Tagen eines Jay-Jay Okocha und Uwe Bein auch mein Herz eroberte und die Seele dieses Exil-Hessens mitregiert, zu sichern. Auch und gerade aus dieser Entfernung!

Um 15 Uhr waren alle Einkäufe erledigt, das Gesamtwerk des Bruce Springsteen gehört und die Spannung stieg, je näher die Radioübertragung der Bundesligakonferenz aus den Stadien dieser Republik rückte. Es war und blieb ein enge Kiste, dieser Klassenerhalt, den es am letzten Spieltag der Saison zu sichern galt. Die Tordifferenz sollte am Ende entscheiden. Diese Vorahnung ließ die Hände schon vor Anpfiff schwitzen.

Die Spannung des Körpers, die Anstrengungen der Seele waren nicht auszuhalten. Selbst der schnellste Radiokommentator hätte niemals mit der Geschwindigkeit meines Herzschlages und dem Wunsch nach aktuellen Informationen mithalten können. Im Fernsehen, verschlüsseltes Bild der Premierekonferenz ohne Dolby Surroundsound. Der Videotext mit Tabellen ständig aktualisiert und im Radio die beruhigende Meldung über das erste Tor der Eintracht. Etwas über zwanzig Minuten später folgt sogleich die Ernüchterung: Der Ausgleich. In Sekunden fiel das fragile seelische Gebilde in sich zusammen. Doch nur eine Minute später die erneute Führung. Was passiert auf den anderen Plätzen? Was machen die direkten Konkurrenten?

Hier schwindet die Erinnerung auf Grund der tiefen inneren Wechselbäder, dem nicht mehr sitzen können, dem Fingernägel kauen und der Schweißausbrüche. Immer wieder Verzweiflung und Hoffnung, Leere und Hoffnung. Zwanzig Minuten sollten es noch dauern, bis Jan-Aage Fjörtoft diese bereits aufgegebene Seele retten würde. Mit dem Schlusspfiff und dem legendären Satz: „Von der Bank kam das Signal, dass wir noch ein Tor brauchen. Also habe ich noch eins gemacht.“ Eintracht 5, Kaiserslautern 1. Gerettet! So lange ich atme, hoffe ich.

Ein Sieg für die Geschichtsbücher und doch habe ich keine Zeit für die Fernsehbilder. Es geht gleich ab ins Auto und hinaus zur Wuhlheide. Die halbe Stadt später strebt ein schöner Maitag der Vollendung zu: Bruce Springsteen betritt die Bühne und eröffnet ein grandioses Konzert mit My Love Will Not Let You Down. Treffender kann man es fast nicht formulieren.

Duplizität der Ereignisse: Jahre später werde ich mir Christoph Preuß Traumtor zum 1 zu 0 Sieg meiner Eintracht über den FC Bayern München nicht im Fernsehen ansehen können, da ich in die Passionskirche zum Konzert des Großmeisters Bonnie „Prince“ Billy gehen will. Jahre später werde ich meine Instrumente auf einer Bühne aufbauen, auf der kurz zuvor auf einer Großbildleinwand die demütigende 5 zu 1 Niederlage meiner Eintracht gegen Nürnberg gezeigt wird.

Diese Diva und ich führen eine Wochenend- und Fernbeziehung über knapp 600 Kilometer: You Can Look (But You Better Not Touch). Und diese Wochenenden sind selten Spaziergänge. Nein, sie sind der sprichwörtliche Ritt auf der Thunder Road: Unberechenbar, deprimierend, beflügelnd, immer anstrengend und manchmal auch grandios. Wiedervereinigt mit den alten Freunden und Kollegen singt, spielt und arbeitet der Meister der ehrlichen Hymnen und Geschichten der kleinen Leute auf der Bühne. Jedes Lied an diesem Abend spricht tief aus der eigenen Seele: „Now I believe in the love that you gave me / I believe in the faith that could save me / I believe in the hope and I pray that some day / It will raise me above these / Badlands... „ Lektionen in Sachen Hoffnung. Langsam weicht die Anspannung unglaublicher Freude und der Erkenntnis, daß manchmal etwas geht, wenn man zusammen arbeitet und füreinander einsteht. „Well the night's busting open / These two lanes will take us anywhere“. Noch ein Bier und eine Zigarette, denn der nächste Ritt wird sicher schwieriger werden und diese verdammten Täler wollen uns doch nur beweisen, daß es immer einen Weg hinaus gibt.

Ein Tag, ein Abend, der nicht zu Ende gehen sollte und dieses doch unweigerlich tut. Musik ist ein Mannschaftsspiel und so treten Sie alle nach einander an das Mikrophon und singen über Solidarität an den guten und den schlechten Tagen:

„We swore we’d travel darlin’ side by side
We’d help each other stay in stride
But each lover’s steps fall so differently
But I’ll wait for you
And if I should fall behind
Wait for me“

Morgen wird ein langer Tag, denn die Nacht wird kurz. Doch er sollte nicht allzu lange auf sich warten lassen, denn dieser überlebte Tod ist wie Benzin im Blut und lässt einen laufen und träumen. Spät abends, Berlin liegt schemenhaft im Mondlicht und der weit entfernte Liebhaber gelobt immer zu warten, denn selten befinden wir uns im Gleichschritt, doch treffen wir uns immer wieder in Eintracht. Und die verdammten Täler sind für eine kleine Ewigkeit ganz weit weg.

Gute Nacht & viel Glück auf der Straße!