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Donnerstag, 10. Februar 2011

Alte Liebe


Der sportlich emotionalste Moment des vergangenen Sonntags ereignete sich gegen 16:30 Uhr in Dettingen, als mein Neffe Timm im Spiel um Platz Sieben beim Lindighallen-Cup zum dritten Mal gefoult wurde - und den dritten Freistoß zugesprochen bekam. Der junge Mann mit der Nummer 13 auf dem Trikot der Spvgg Seligenstadt legte sich den Ball zurecht und zimmerte ihn ins Netz. Doch wider Erwarten zählte der Treffer nicht; ein Skandal, nachdem schon der zweite Freistoß ins Tor geflogen war - und gleichfalls nicht gewertet wurde. Onkel Beve hing auf der Tribüne und blickte ungläubig auf die Anzeigetafel. 0:0 stand es - und der Hallensprecher verkündete, dass auch in der G-Jugend Freistöße in der Halle indirekt auszuführen sind. Als ob die Kids wissen würden, was dies bedeutet; allzuviel schien es ihnen aber im Gegensatz zu mir nicht auszumachen. Mannhaft wurde die Partie zu Ende gespielt - und im Siebenmeterschießen siegreich entschieden.

Später rollten wir in die Alte Liebe um die Eintracht zu sehen. Dies ist kein Platz am Meer, sondern eine Wirtschaft unter neuer Leitung in Sachsenhausen. Da könnt ihr auch mal vorbeischauen, es ist ein netter Ort.
Wie ihr alle wisst, gab es ein torloses Unentschieden in Freiburg. Das Besondere dabei war die Tatsache, dass ein alter Bekannter während des Spiels Zeitung gelesen hat während ein anderer meinte, was würdet ihr sagen, wenn hier meinetwegen Hannover gegen Wolfsburg kicken würde. Gute Frage, ich hätte wohl meine Aufmerksamkeit anderen Dingen gewidmet; Ikebana oder so. Da wir aber nicht Hannover sahen, sondern die Eintracht, konnte ich gar nicht anders und blickte auf den Bildschirm. Und zum wiederholten Male betrachtete ich das ganze, wie man einen Menschen anschaut, der einem noch vor zehn oder zwanzig Jahren viel bedeutet hat, mit dem man nun aber überraschenderweise überhaupt nichts mehr anfangen kann, obgleich sich dieser Mensch nicht wirklich großartig verändert hat: man denkt wehmütig an alte Zeiten und weiß genau, dass diese unwiderruflich vergangen sind und fragt sich, was man eigentlich grade macht. Wenn man sich jedoch trennt, macht man aber gleich einen neuen Termin aus; wer weiß, vielleicht wirds ja wieder. Alte Liebe, die Lokalität zum Sein.

Die Vergangenheit wird verklärt, die Zukunft erhofft und die Gegenwart; naja, Schwamm drüber. So läuft das Leben im Allgemeinen und bei der Eintracht im Besonderen. Und das interessante dabei ist, dass sich eine gewisse Distanz zum Club der Herzen nicht nur bei mir eingestellt hat, sondern an allen Ecken und Enden ähnliches zu vernehmen ist. Ich meine, wie kann man im Ernst Zeitung lesen, wenn die Eintracht spielt?

Woran hängts, dass derzeit ne Menge Leute relativ emotionslos das Werden der Diva verfolgen, obgleich die Zeiten vom Ergebnis her gesehen meist viel schlechter waren? Klar, wenn langjährige Spieler mal eben überlegen nach Gelsenkirchen zu wechseln, nachdem kurz zuvor die Vertragsklausel mit der festgeschrieben Ablösesumme im Sommer publik wurde, steigert dies nicht gerade die Identifikation. Oder wenn ein junger Schweizer eine Vertragsverlängerung mangels Perspektive ablehnt, obgleich die Mannschaft in dieser Saison alle Chancen gehabt hätte, für eben jene Perspektiven zu sorgen - dann brüllt man nicht neunzig Minuten Hurra. Wenn dazu noch der langjährige Kapitän, dessen Spiel zwar nicht immer technisch perfekt, dafür aber stets durch Leidenschaft und Wille geprägt war nur zu Kurzeinsätzen kommt (wenn überhaupt) und ein anderer, der durch Einsatz zu überzeugen vermag, dies durch theatralische Falleinlagen nivelliert, dann hält sich mein Beifall in Grenzen. Sicher, Chris ist verletzt, Jung auf einem guten Weg, Kittel und Rode stehen in den Startlöchern - und die Eintracht wird demnächst halbwegs schuldenfrei sein. Zudem etabliert sich der Verein im Mittelfeld der Liga. Alles gut könnte man meinen, zudem auch in vergangenen Tagen merkwürdiges Verhalten der Spieler, eigenartige Trainerentscheidungen oder sonstige Veränderungen keinerlei Seltensheitswert hatten. Sicher, damals war der ganze Spaß billiger, man wurde nicht auf Schritt und Tritt überwacht und musste nicht während des Spiels Aerobic machen - das alles fällt aber definitiv beim Fernsegucken flach - und dennoch bleibt einem entweder Langeweile, Frust oder Galgenhumor: Was steht eigentlich auf den ganzen tätowierten Armen? Rechts - Links.

Was meint ihr woran es hängt, dass nicht nur bei mir so ein bisschen die Luft raus ist? Liegt es an einer Überdosis an allem; Blogs, Foren, Spiele, Zeitungen - die Welt ist voll von Meinungen und keine Szene hat eine Halbwertszeit, die länger als 24 Stunden ist. Spieler kickten eben noch für Bochum, Leverkusen, Hertha und nun halt mal hier - verschenken wir Narren selbstlos unsere Herzen an Wandervögel, Zweitagesfliegen und Karrieristen, bloß um neunzig Minuten Entzücken zu erhoffen, das alle Jubeljahre eintritt? Tritt einen solch Erkenntnis in bestimmten Lebenslagen, die ausschließlich mit einem selbst und nichts mit dem Objekt der Begierde zu schaffen haben. Woher kommt die vermeintliche Gleichgültigkeit - die einem dann doch nicht egal ist?


16 Kommentare:

  1. Hallo Beve,

    über deinen Beitrag muss ich echt erstmal nachdenken.

    Gruß

    Uli

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  2. Auweia Beve,

    das muss sacken. Gefühlt fühle ich genau das und bin genauso ratlos und emotionsgeladen emotionslos.

    Gruß
    korken

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  3. Hi Beve,

    mir geht es da ähnlich, ich hab mich am Sonntag weit mehr auf den SuperBowl gefreut als auf die Eintracht und auf Samstag hab ich irgendwie gar keine Lust (meistens wird's dann ja ganz gut wenn man nix erwartet :) ). Es liegt aber nicht nur an unserer Eintracht, Fußball im allgemeinen ist langweilig geworden. Die Mannschaften egalisieren sich meistens, es gibt kaum Torchancen. Keine Ahnung ob das zu belegen ist, aber ich empfinde es so. Vieeleicht hängt es aber auch mit der Üebrdosis Fußball in unserer heutigen Zeit zusammen? Jedenfalls macht Dein Beitrag nicht unbedingt mehr Lust auf Samstag :)

    LG
    Volker

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  4. Gleichgültigkeit ist es bei mir noch nicht, abgestumpft trifft es schon eher - auch aus den von dir genannten Gründen. Aber diese Abgestumpftheit ist mir egal, gleichgültig. Das ist bei mir aber nicht das erste Mal und kann sich wieder ändern.

    Gruß vom Kid

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  5. Schwerer Stoff Axel.

    Ob und wie die Spieler, Trainer oder sonstige Verantwortliche wechseln, ist mir relativ egal, da ich dem Verein (und halt auch der AG) mein Herz -übrigens unfreiwillig- geschenkt habe.

    Klar freut es mich, wenn Identifikationsfiguren am besten mit regionalem Touch spielen, entscheidend ist das aber für mich nicht.

    Gleichwohl geht es auch mir so, dass ich momentan emotional recht wenig berührt bin. warum weiß ich auch nicht so genau.

    Wenn ich darüber nachdenke, begann vielleicht die "Wurschtigkeit" mit Skibbes Trainertätigkeit. Den sinnlosen Ausbrüchen in der Öffentlichkeit, dem Kurzpasskreiselspiel ohne Raumgewinn, dem Verpflichten von älteren, sauteuren, anderen Ortes ausgemusterten Bundesligaprofis (Teber, Altintop, Gekas) und insbesondere der Art der Menschenführung.

    Vielleicht ist es auch die Perspektivlosigkeit, das gefühlte "wir landen eh irgendwo zwischen 9 und 15". Vielleicht kämen im Abstiegskampf die Emotionen zurück?

    Vielleicht aber auch ist es die langweilige, ewig gleiche Stimmung im Stadion, das mantraarige "Herunterbeten" irgendwelcher Lieder, das mich anödet?

    Wahrscheinlich ist es eine Mixtur der genannten und vielleicht auch mir gar nicht bewußter, weiterer Komponenten.

    Ich denke mal weiter darüber nach und vielleicht erfolgen noch Kommentare, bei denen ich denke "stimmt, das ist auch so ein Punkt".

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  6. sehr schön geschrieben!
    das was mich auch verwundert, dass es vielen zum selben zeitpunkt so geht.

    und jetzt habe ich gerade erfahren, dass ama bei skibbe keine rolle mehr spielt.

    und schon wieder einen dämpfer ...
    wann passiert mal was aufbauendes? was wieder lust auf mehr macht?

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  7. Jetzt hatte ich einen ca. 100 seitigen Kommentar verfasst ,-) – hier die Kurzfassung:

    Die äußeren Faktoren sind die eine Sache. Bei der Eintracht – wie von C-E geschildert – und im Großen und Ganzen. Die Welt an sich wird immer garstiger, da macht der Fußball keine Ausnahme. Auch persönlich wird jeder, der schon eine Weile dabei ist, auf seine ganz eigene Weise diese Wellen des Auf und Ab kennen - und sich in der Regel immer wieder berappeln. Geht ja nicht anders.

    Wir drehen alle an dem Rad selbst mit, dass uns am Ende ausspuckt und – was mich wirklich ärgert: Wir wundern uns auch noch darüber.

    Zauber braucht Distanz und Unbefangenheit, braucht eine gewisse Form von Kindlichkeit. Ich denke mal - nicht umsonst berichtest du in letzter Zeit häufig über deinen Neffen Tim.

    Ernest Hemingway wurde mal gefragt, was er, wenn er auf sein Leben zurückblickt, gerne noch einmal erleben würde. „Noch einmal ‚Krieg und Frieden‘ zum ersten Mal lesen…“

    Geht nicht. Eine ganze Welt in einem Satz.

    Lgk

    PS: Von wegen Ama „spielt keine Rolle mehr in den Planungen von Michael Skibbe.“ Sagt Michael Skibbe. Immer noch gleichgültig? ,-)

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  8. Winter Depression? Kopf hoch, es wird bald Frühling und hey vielleicht haut Caio am Samstag ja wieder einen raus wie letztes Jahr :)

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  9. ... mit Amanatidis wird der letzte in dieser Truppe gehen, der den Romantiker in mir am Leben gehalten hat...

    schreibt kid drüben in der klappergass. vielleicht brauchen wir dies, diese illusion der leidenschaft, dargestellt durch andere - als ama nicht mehr spielte, fehlte schon etwas. russ, köhler, meier - gut und schön; keine schlechten kicker, stets dabei, jdoch auf dem platz vermitteln sie nie das gefühl des unbedingten willens; das ungebändigte - für das amanatidis stets stand.

    wofür steht der trainer? wohlfeil kalkulierte worte, teure spieler, fußballerisch leichte fortschritte, nähe zur BILD und wankelmütige aussagen. wir alle müssen jeden tag ein bisschen besser werden - im ergebnis: 1 tor aus sechs spielen. dazu im endergebnis zwischen 3 und fünf millionen miese.

    concordia, ich bin da ganz bei dir.

    schöner satz von hemingway, doch der verlust der unschuld ist unwiderruflich. was war ist längst vergangen. gleichgültig lässt mich der heutige tag sicher nicht. schade, dass ich ob meiner arbeit darauf achten muss, was ich in der öffentlichkeit schreibe.

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  10. Liebe schmerzt! Skibbe raus!

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  11. Überdosis. Das triffts bei mir. Ich bin abhängig, seit Kindertagen. Doch früher hat man mir den Stoff rationiert.
    Die Omnipräsenz der Eintracht in meinem Inneren erzeugte dabei eine, sich stetig steigernde Spannung, die sich Samstags entlud und über die Woche wieder aufbaute. Glückliche Tage.
    Der heutige Überfluß führt zur Beliebigkeit und weiter zur Belanglosigkeit.
    Deine Texte sind nicht beliebig und schon garnicht belanglos. Das ist doch schon was, oder?

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  12. Hallo Axel,

    es bleibt auch mir nur schulterzuckend das gleiche für mich zu konstatieren. Und wenn mich mal meine Arbeit ein wenig loslässt an diesem Wochenende, dann werde ich mal versuchen, meine Gedanken zu ordnen.

    Bis dahin...ziemlich verloren sich mit seiner "Alten Liebe" fühlend.

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  13. Warum warst du nicht in Freiburg????????????????

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  14. ich musste tags zuvor arbeiten und verspürte wenig lust auf die eintracht. kein brandneuer zustand.

    michel66, danke für deine anerkennung der texte. das ist ne menge.

    thorsten, es wird andere zeiten geben, bessere.

    seid gegrüßt

    beve

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  15. Vielleicht war's früher auch schon so und bedeutet demnach keine Veränderung, aber die Erkenntnis der unglaublichen Korruption im Sport reduziert die Emotion doch maximal.
    http://www.howtofixasoccergame.com/blog/?p=117
    http://www.jensweinreich.de/2010/10/25/sepp-blatters-tafelrunde-das-ehrenwerte-fifa-exekutivkomitee/

    Das Gelaber, die erste Bundesliga sei nicht dabei, ist schieres Wunschdenken.
    http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=59673704&aref=image037/2008/08/30/ROSP200803601160122.PDF&thumb=false
    http://bazonline.ch/sport/weitere/Nicht-jedes-Eigentor-ist-ein-gewolltes-Eigentor/story/27578254
    http://www.zeit.de/online/2006/12/wettskandal
    http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,665327,00.html

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  16. @freiburg: ich als freiburger hätte gerne deinen bericht gelesen. naja nächstes mal!

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