Spätherbst, die Sonne lacht und vor dem Eiscafé in der Martin Luther Straße sitzen die Menschen im Licht; bald wird hier die Winterleere herrschen und das ist schon der erste Hinweis auf unsere Eintracht. Der silberne Golf parkt ein paar Meter weiter oben; er hat heute frei. Leider auch Pia, die heute unabkömmlich ist - und so radele ich mutterseelenalleine in Richtung Bahnhof Südseite. Gegen halb vier soll die Reise mit den Geiselgangstern in Richtung Leverkusen losgehen; mein Handy zeigt kurz nach halb drei. Ich rolle durch die untere Günthersburgallee, vorbei am Friedberger Platz durch die Scheffelstraße in Richtung Anlagenring und gehe gedanklich den Tag durch; was habe ich, was brauche ich? Handy? Ist da. Foto? Ist da? Geld? Ist da? Eintrittskarte? Ist da. Scheiße, ist doch nicht da. Also gehts wieder zurück, vorbei am Eiscafé, wo sich in den letzten Minuten nicht viel geändert hat. Ein Griff auf die Kommode - und da liegen sie, die Tickets - also auf ein Neues - vorbei am Eiscafé usw.
Im Anlagenring lassen sich Frühfeierabendler die Sonne auf den Pelz scheinen; durch die Blätter der Bäume ragen die Türme der Banken in den blauen Himmel; die Phallussymbole einer Wirtschaft, die sich Mitarbeiterboni aus dem Staatssäckel bezahlen lässt und deren Geschäfte stets im Verborgenen gedeihen, versteckt hinter Spiegelglas im Herzen von Europa. Im Bahnhofsviertel Gewimmel und Gewusel.
Im Flur von Pias Firma stelle ich mein Rad unter, verabschiede mich von ihr und wandere in Richtung Unterführung zum Bahnhof. Am Irish-Pub weht neben einer Eintrachtfahne auch eine von Bayern und Gladbach; ich überlege kurz, diese anzuzünden, lasse es bleiben - doch: was ist denn dies für ein Empfang für ankommende Zugreisende? Wie auch immer, für die Gastronomie sind Fußballfans Kunden, Geld kennt keine Vereinsfarben. Immerhin werden hier zahlende Gäste wie zahlende Gäste behandelt; das ist nicht überall selbstverständlich.
An der Südseite warteten schon etliche Eintrachtfans; auch Marc ist schon da - und das ist gut, denn er nimmt Pias überzählige Karte; als wir diese gekauft hatten, war das Spiel noch nicht terminiert. Wenig später tuckert der Bus der Frankfurter Jungs an; Marc und Oli steigen ein, während der Geiselgangsterbus noch zu uns unterwegs ist. Ich quatsche mit André und Sandy, die Zeit vergeht, der Bus kommt und dann gehts los. Am Fenster hängt die Eintrachtfahne, an der Tür - weshalb auch immer - eine Palästinaflagge und zwischendrin hat Holger eine Anlagenkonstruktion aufgebaut, welche die Grundlage für die Sounds der nächsten Stunde werden wird, kleine Boxen hängen mit Kabelbindern am Gestänge. Geiselgangster. Bembelbar. Bembelgangster. In Medenbach steigt Tom dazu, in Montabaur Hans, die Fahrt verläuft zunächst reibungslos; ich quatsche mit Stefan und Hans über dies und jenes, ab und and ploppt ein Schöppchen auf und wir sind gut in der Zeit.
Bis kurz vor Köln; dann steht alles . Aus den Boxen erklingt zur großen Freude vieler ein Lied über das Fälschen von Banknoten; neben den Songs von Adam und die Mickys und Eintrachtlieder der große Hit der Hinreise, später wummern Motörhead Overkill.
Es sind harte Zeiten für Auswärtsfans, vor allem für die Raucher unter ihnen - doch immerhin dürfte der Geiselgangsterbus eine letzte Bastion sein - der Preis ist ein Linienbus ohne Toilette. Doch wo ein Stau, da ist ein Weg - exakt bei Kilometer 140.7 auf der A3 öffnet sich die Tür und wie Perlen auf der Kette stehen die Buben an der Leitplanke; gewesenes Bier verlässt die geschundenen Körper. Die Zeit verrinnt ebenso, es wird sieben, halb acht und wir bewegen uns immer noch im Schneckentempo in Richtung Leverkusen - in gut 30 Minuten ist Anpfiff. Ein Lieferwagen fährt an uns vorbei, der Adressaufkleber kündet von seiner Heimat: Am Krausen Bäumchen 115 in Essen. Putzig.
Plötzlich macht die Meldung die Runde, dass sich weibliche Frankfurter Besucher des Fußballspiels beim Einlass in einem Zelt am Eingang entblößen müssen - es sollen Hinweise vorliegen, dass Pyro von Frauen eingeschmuggelt werden soll. Wie das mit Hinweisen so ist, wissen wir spätestens seit dem Aufstiegsspiel gegen Burghausen vor Jahren, als die Polizei mit der abstrusen Begründung "im Internet hätte gestanden, dass nach Spielende der Rasen gestürmt werden soll" den Frankfurter Block stürmte. Was damals noch Fingerübungen für die kommende WM waren, ist nun in der aktuellen Wirklichkeit fest verankert.
Wenige Minuten vor acht erreichen wir den Busparkplatz; Polizisten lungern herum, während ich einen Platz für mich ganz alleine suche, das Bier will raus. Einer der Cops quatscht uns an, dass wir noch etwas warten sollen, sie würden uns begleiten. Da ich darauf dankend verzichte, marschiere ich erst ins Gebüsch, hole mir anschließend eine Wurst und wandere unbehelligt Richtung Stadion. Vor dem Gästeeingang zeichnen sich Menschentrauben ab; denke ich zunächst noch, dass dies an den zu spät eintreffenden Bussen liegt, so bringen einige Gespräche schnell Klarheit: Am Rande des Eingangs steht tatsächlich ein rotes Zelt; Frauen und wohl auch Kinder sollen sich peinlichst genau untersuchen lassen; der Fußballfan unter Generalverdacht, die Würde des Menschen ist antastbar - von Ordner(Innen) mit Gummihandschuhen im Schutze der Staatsmacht, die in vermummten und behelmten Gruppen gerne bereit ist, ihr antrainiertes Feindbild zu pflegen. Eingang weiblich zeigt ein Schild und kündigt die Schikane an.
Aus dem Stadion schallt es: Fußballfans sind keine Verbrecher; draußen stehen die, die sich mit den Frauen solidarisiert haben. Viele Ultras, aber auch Fans jeglicher Couleur; empört, verärgert. Da soll die Eintracht mal was machen. wird geschimpft. Mit Recht. Ich gehe kurz rein (normales Abtasten), schaue mir das Szenario näher an, telefoniere mit Pia, gebe Bescheid. Klar ist, dass sie sich nicht diesem unwürdigem Schauspiel unterwerfen würde; ich gehe wieder raus, hake das Spiel gedanklich ab.
Währenddessen verhandelt die Fanbetreuung mit Verantwortlichen, aus dem Stadion erklingt ein Torschrei, kurz danach ein weiterer. 1:1 Gekas. Soll mir recht sein. Kurz danach kommt die Meldung, dass die Kontrollen nach Intervention seitens unserer Fanbetreuung auf ein normales Maß runtergeschraubt werden sollen. Wir entscheiden, das Stadion zu betreten; immerhin können bereits entwertete Karten wieder benutzt werden. Diesmal habe ich ein besonders arrogantes und konsequentes Ordnerexemplar erwischt; ich darf die Schuhe ausziehen, beschwere mich - was der unterdrückte und geknechtete Halbunformierte dazu nutzt, rein schikanös das ganze Programm durchzuziehen; Tabakpäckchen raus, aufmachen, Foto raus, Geldbeutel raus; Wixgriffel am Arsch. Dauert ewig, aber es sind ja auch nur knapp vierzig Minuten gespielt. Hoffentlich entdeckt er meine Panzerfaust nicht. Dann kurzes Sammeln vor dem Blockaufgang; Hurra hurra die Frankfurter sind da. Oben im Block treffe ich Marc, erzähle ihm die Vorkommnisse und konzentriere mich auf das Spiel; Chris für Meier ansonsten wie gehabt. Halbzeit.
Die zweite Hälfte bringt ein hin- und herwogendes Spiel; Leverkusen in Ansätzen flotter; Rolfes absolviert sein erstes Spiel nach längerer Verletzungspause, die Eintracht hält dagegen. Mal liegt Franz im Strafraum, mal liegt ein Verdacht auf Leverkusener Hand vor, mal wirft sich Nikolov dazwischen, mal holt Köhler ein Freistoß heraus. Nicht zwingend, nicht überragend - ordentlich allemal, doch wird es reichen?
Nein, es wird nicht reichen. Wenige Sekunden vor Schluss hat Ochs den Ball im Mittelfeld - doch anstatt ihn nach vorne zu schlagen, verliert er die Kugel; Bayer rückt auf, ist im Strafraum - und irgendwas ist passiert. Hoffe ich noch auf Abschlag oder Freistoß für die Eintracht, so werde ich Sekunden später eines Besseren belehrt: Elfmeter für Leverkusen und gelb-rot für Ochs, der wütend vom Platz marschiert, die Binde fliegt auf den Boden (Zuvor war Caio für Chris gekommen, der anders als ich von Beginn an dabei war). Und es kam, wie es kommen musste, Vidal versenkt den Elfer in der 90., und die Eintracht hat wieder einmal ein Spiel in den letzten Minuten verloren - und dass, obgleich ich vorher sicher war, dass die SGE gewinnt. Es ist zum kotzen.
Enttäuscht und zornig verlasse ich das Stadion, der Weg zum Bus scheint etwas länger, da die Herren mit Helm den kürzeren versperren - und erfahre unterwegs, dass die Behelmten wohl vor dem Spiel auch ein Mädchen zu Boden geschubst und getreten haben; Pfefferspray gabs allem Anschein nach noch dazu.
Bedröppelt hänge ich im Bus, bald rocken die ersten Lieder, andere singen dass sie heiß wie ein Vulkan seien - mir ist noch nicht nach feiern. Gabi meint, Fußball ist nicht alles, es gibt so viel wichtigere Dinge im Leben - Recht hat sie, doch im Moment beschäftigen mich neben dem Spiel die Gedanken über das Szenario Fußball; Gedanken über die Dreistigkeit seitens der Staatsmacht und Sicherheitsverantwortlichen je nach Gusto zahlenden Gästen a priori alles erdenklich Böse zu unterstellen und wie Kriminelle zu behandeln. Sicher, es sind nur Stehplätze, unser Bier bringen wir selbst mit und laut sind wir auch manchmal. Ein Unding in der gelackten Fußballwelt, die sich zahlungskräftige Kunden wünscht, die jeden Scheiß mitmachen und ihren Unmut über dürftige Leistungen und ähnliches maximal in der großen weiten Welt des Internets kund tun sollen; da stört es niemanden, da darf er sich wichtig nehmen, der Kunde, und der Rubel rollt und wer schikaniert wird, ist irgendwie selbst dran schuld.
Nach einem weiteren Schoppen verlaufen sich die Gedanken; REM singen it's the end of the world as we know it - and I feel fine. Später heißt der Meister Eintracht aus Frankfurt am Main, noch später stehen wir an einer Raste an der A66, säubern den Bus, während einer sich noch völlig sinnfrei mit einem schlafenden Autofahrer anlegen will, aber von einem Kumpel zurück gehalten wird.
Die Nutten stehen sich an der Messe die Füße platt, als wir nachts um halb zwei in Frankfurt einrollen; ich packe meinen Krempel zusammen, schwinge mich verabschiedend aus dem Bus, während irgendwo einer am Boden liegt; Zivilpolizei dabei. Ein paar rennen dazu - ich entschwinde ins Dunkel der Nacht. Einer hebt eine Kippe nach der anderen vom Boden auf, aus dem U60311 wummern Technobeats und ich radel nach Hause. Pia wird kurz wach und wie war's? fragt sie. Beschissen sage ich. Bis auf die Fahrt.
Mit Äußerungen wie "habe ich erfahren dass sie ein kleines mädchen zu boden geworfen haben" solltest du etwas vorsichtig sein. Sicherlich gibt es Polizisten und Ordner die nur schikanieren wollen, aber sie sind auch keine Monster. Grüsse aus Freiburg.
AntwortenLöschenich war vorsichtig, von klein steht im text nämlich nichts. und von monster auch nicht.
AntwortenLöschengruß
beve
Schön geschrieben. Wie immer. Nur der Inhalt lässt mich nachdenklich werden. Aber dafür kannst Du ja nichts.
AntwortenLöschen"It´s the end of the world as we know it" passt ja ganz gut...die Jüngeren allerdings werden irgendwann nichts mehr anderes kennen und damit auch nicht auf die Idee kommen, sich dagegen zu wehren.
AntwortenLöschenSollte das Schild nicht eher lauten
AntwortenLöschen"Verehrte [hohn]Gäste[/hohn]
Wir bitten Sie, Ihre Arschlöcher zwecks Kontrolle freizuhalten!"
fragt sich
Schnellinger, nach Diktat zu 8 ColaBier verreist
Es ist zum Kotzen und damit meine ich nicht die Niederlage und schon gar nicht deinen Bericht, für den ich dir - wenig genug - wieder nur danken kann. Was in Leverkusen passiert ist, ist eine Schande, ein Skandal, eine unglaubliche Zumutung - wieder einmal. Und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Fußballfans, beim Versuch ein Bundesligaspiel zu besuchen, menschenunwürdig behandelt werden. Auf einen Teil seiner Rechte verzichtet man als Stadionbesucher / Auswärtsfahrer ja ohnehin. Gruß vom Kid
AntwortenLöschenWie schon im Forum auch hier noch einmal: Danke dir und allen anderen fürs Hinschauen, Berichten, Öffentlich machen und Rückgrat zeigen (also: angezogen Rückgrat zeigen!). Wir werden diese Scheiße nicht wirklich aufhalten können, aber wir können da, wo sie uns begegnet, dagegen angehen und verdeutlichen, auf welcher Seite wir stehen.
AntwortenLöschenein "heimspiel", bei dem ich froh bin, dass ich es verpasst habe. schade.
AntwortenLöschenauf jeden fall müssen wir versuchen uns zu wehren. auch wenn die aussichten auf erfolg gering sein dürften ...
"Beschissen sage ich. Bis auf die Fahrt."
AntwortenLöschenGenau das habe ich zu Hause angekommen auch gesagt. :-)
Danke fürs Feedback. Wehrt euch!
AntwortenLöschenviele Grüße
Beve
Der Vollständigkeit halber - und weil es an anderer Stelle nicht verlinkt wurde (oder ich es an den Augen habe) - sei erwähnt dass Uwe Marx in einem Kommentar im Regionalsport Teil der FAZ die Maßnahmen als gerechtfertigt klassifiziert.
AntwortenLöschenEs geht auf der anderen Seite nämlich um Knallkörper "mit der Lautstärke von Bomben" und "Rauchentwicklungen wie bei einem Großbrand" [Zitate erfolgen aus dem Gedächtnis].
Nichts verstanden, aber es ist eben die Eintracht und nicht Mainz.
Wobei es ja eigentlich etwas Grundsätzliches ist.
ppp