Es war so gegen halbvier, ich rollte grade an meinem Lieblingsimbiss in Frankfurt vorbei, um mir noch zwei Burger zu gönnen, als mich Matze anrief: Beve, stell dir vor, draußen auf dem Trainingsplatz spielt die Eintracht gegen die Nationalmannschaft von Aserbaidschan.
Aserbaidschan? Mit Torwarttrainer Uli Stein?
Ich ließ Burger Burger sein und startete durch. Wie immer rollte ich durch Tor 3 in Richtung Stadion; selbst wenn du ohne Auto kommst, musst du durch dieses Tor, welches für den Ortsunkundigen nur schwer zu finden ist. Aus unerfindlichen Gründen bleibt der Haupteingang unweit der Straßenbahnendhaltestelle Stadion während der Woche geschlossen, so dass der Nutzer des RMV einen unwirtlichen Fußweg vor sich hat.
Gegenüber des Museums befinden sich die Trainingsplätze der Eintracht - und tatsächlich: auf dem hinteren spielten unsere Jungs gegen Aserbaidschan; eine Handvoll Zuschauer kibitzten, die meisten per Zufall, da sie etwas im Stadion zu tun hatten. Die Nieder Buben hatten dem Museum den Fußballschuh von Michael Fink überreicht, den dieser trug, als er in der Saisonvorbereitung gegen Paderborn zum Tor des Monats traf, GoodButcher hatte ebenso wie Doreen, die mit ihrem Kleinen anwesend war, etwas zu erledigen und so schaute ich ein bisschen zu und schwatzte mit den Menschen, die ich kenne.
Auf der andren Seite standen sowohl unsere drei Trainer Funkel, Reutershahn und Menger als auch Aserbaidschans Chefcoach Berti Vogts. Uli Stein plauderte mit Holz und ich nutzte die Gelegenheit, um Uli auf unser Museum hinzuweisen. Leider musste die Mannschaft direkt nach Spielende abfahren, da sie im Hotel und nicht im Stadion duschen sollten; aber ich bin mir sicher, dass wir Uli Stein in nicht allzuferner Zeit ins Museum locken können.
Die Eintracht-Kicker, welche nicht auf dem Feld standen, hockten mit schwarzen Kappen am Rande des Spielfeldes und beobachteten den 1:0 Sieg der Eintracht gegen die Mannen von Berti Vogts. Auf dem Rückweg wünschte ich dem Trainergespann viel Erfolg (vor allem für das anstehende Bielefeld-Spiel) und die Herren bedankten sich artig.
Alsbald begann ich mit Pia das Museum zu dekorieren; wir schnitten Farbfolien zurecht und schoben sie vor die Spots; legten rote samtimitatene Decken über die Tische und verteilten Kerzen. Nachdem Matze noch die Beleuchtung von den beiden Mannschaftsbildern im Vorraum abschaltete wirkte das Museum plötzlich ganz anders, als gewohnt. Aus dem klaren hellen Vorraum wurde mit kleinen Mitteln ein gemütliches Plätzlein und nachdem wir uns doch dazu entschieden hatten, eine Anlage inclusive Mikrofon aufzubauen harrten wird der Dinge die nun folgen würden und vor allem der Menschen, die sich aufraffen konnten, den weiten Weg ins Museum zwecks Lesung aus einem Buch, welches so gar nichts mit der Eintracht zu schaffen hat, anzutreten.
Zur Einstimmung lief auf dem Monitor eine DVD meiner Lieblingsband And also the trees, die zwar kaum jemand kennt, aber deren Musik hervorragend zur Stimmung des Buches und der Lesung passt.
Und peu a peu kamen dann tatsächlich die ersten Gäste, und als ich gegen viertel vor acht begann, hatten sich annähernd dreißig Menschen eingefunden; und das wegen eines Buches, das ich geschrieben hatte; wie gesagt: es ging ganz und gar nicht um die Eintracht. Um nicht einen einzigen zu vergessen, verzichte ich auf die Namensnennungen, sondern stelle fest, dass sowohl ganz alte Freunde dabei waren, die mit der Eintracht nur am Rande zu tun haben, Eintrachtfans die ich über das Forum kennen gelernt hatte, waren ebenso anwesend wie Leute aus dem Umfeld des Blog-G oder aus meinem Fanclub Schwarze Bembel, wie auch der ein oder andere aus dem großen Eintracht-Umfeld; ich freute mich über jede(n) einzelne(n), der/die gekommen war und wollte niemanden enttäuschen. Kid und Stefan hatten dankenswerterweise die Lesung in ihren Blogs beworben, in der Fan geht vor wie auch im Stadionmagazin wurde darauf aufmerksam gemacht und sogar auf dem Videowürfel wurde während der Partie gegen Schalke auf die Veranstaltung hingewiesen.
Matze sprach wie immer ein paar einleitende Worte und alsbald las ich aus meinem seltsamen Büchlein, vor mir auf dem Tisch brannte ein Kerzlein vor einem Spiegel und wir tauchten ein in die dunkelschöne Welt einer scheinbar lang vergessenen Zeit.
Das Buch trägt zwar den Titel Der Andermacher, eine handelnde Hauptfigur ist jedoch der Johannes Cüßnacht, der als Knabe als einziger einem Rattenfänger entkommt, der dem Mythos nach ein Dorf von einer Rattenplage befreit hatte aber nicht entlohnt wurde. Daraufhin kehrte er zurück und nahm die Kindlein des Dorfes mit sich, allein der Cüßnacht überlebte und verdüsterte vor der Zeit, ja er wuchs sogar keinen Zentimeter mehr seit jener Nacht. Einzig der Andermacher, ein etwa gleichaltriger Junge, der aus dem Nichts auftauchte und stets ein freundlicher, lebenslustiger Geselle blieb, begleitete ihn auf seiner Reise durch die Zeit.
Auf dem Monitor hinter mir präsentierten wir die Illustrationen von Kerstin Alexander, die auch im Buch zu finden sind und diese begleiteten uns auf dem Lebensweg des Johannes Cüßnacht, der mit einem Scharlatan, genannt der Silbermichel über das Dorf in die nahe gelegene Stadt führte und von dort auf die finstere Burg Rabenstein. Allerlei Gedanken und Erlebnisse formten den früh vergreisten bis hin zu einem Ende, welches hier nicht vorweggenommen werden soll, - stets war der Andermacher in dessen Nähe, obgleich dieser sich frohgemut durch die Weltgeschichte abenteuerte.
Auch wenn als Narren wir belächelt werden,
als Sommertraum, als Springinsfeld,
so spiegeln unsre Seelen nur
eure eigne Seelenwelt.
Drum handelt klug, benehmt euch weise
und öffnet eure Herzen vor der Zeit.
Allein Bestand in diesem Leben
hat nur der Traum und die Vergänglichkeit
doch bedenkt dabei,
der Traum vom Glück
ist nichts – als bloß ein Schelmenstück.
Mit diesen Worten endete die Lesung, die mit Pause knapp zwei Stunden dauerte und es war sehr ruhig im Museum der Eintracht, ich glaube - und dies zeigten mir auch die Reaktionen im Anschluss, dass es für alle Anwesenden ein Erlebnis war, ein runder Abend sozusagen und dass niemand sein Kommen bereut hatte. Ich selbst war völlig zufrieden, zum Einen ob der Atmosphäre und zum Anderen darüber, dass ich es abgesehen von ein paar Holperern geschafft hatte, mich über die Dauer zu konzentrieren.
Ich blies das Kerzlein aus, nahm den Beifall des Publikums ebenso dankbar entgegen wie eine Flasche Sekt von Matze, signierte etliche Bücher und so klang ein Abend bei vielen Gesprächen rund um die Lesung, die Eintracht und über das Leben aus.
Ich fand den Abend großartig und bedanke mich bei allen, die diesen Abend möglich gemacht haben, bei meinem Verlag, insbesondere bei Roman Pliske, der den Mut hatte und an mein Werk über die Jahre hinweg geglaubt hatte; bei Erdmute Hufenreuter, meiner Lektorin, ohne sie der Andermacher bei weitem nicht so gut geworden wäre, bei Kerstin Alexander, deren Illustrationen den Andermacher punktgenau getroffen haben, bei Matze, dass ich im Museum lesen durfte, bei Pia, die immer an mich geglaubt hat und bei denjenigen, welche die Veranstaltung so tatkräftig beworben haben. Und natürlich bei euch, die ihr anwesend wart und somit eine Lesung erst sinnig machtet.
Wer weiß, wo und wann wir uns wiedersehen. Bis dahin: Gute Reise.
Die Illustrationen sind von Kerstin Alexander, das Foto von Stefan Krieger. Danke.
Ja, Beve, es war für alle Anwesenden ein Erlebnis. Für mich war es ein beeindruckendes Erlebnis und ein Abend, den ich nicht missen möchte. So wie ich den Andermacher und den Cüßnacht nicht missen möchte, die so grundverschieden sie auch sind, doch ebenso gut zwei Seiten einer Persönlichkeit sein könnten und für mich auch sind. Tag und Nacht könnte ich nicht unterscheiden, wenn mir eines von Beiden fehlen würde. Unsere dunkle, schwermütige Seite ist ein Teil von uns, so wie der andere Teil, der sich am Leben erfreut anstatt daran zu verzweifeln.
AntwortenLöschenDanke für den Abend und danke für den "Andermacher"!
Gruß aus der "Klappergass"
Kid
Danke Beve. Für das Buch. Für den Bericht für die Exilanten. Danke, daß ich auf diese Weise dabei sein durfte.
AntwortenLöschenIch wusste nicht, daß and also the trees Deine Lieblingsband sind. Aber es scheint mehr als nur die digitale Zwischenwelt zu geben, die uns verbindet. Eine große Band, die ich seit Jahren, um nicht zu sagen seit Jahrzehnten gerne höre. Schön trotz der Distanz, diese Dinge entdecken & dabei sein zu können.
Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
Fritsch.
ja, das war in der tat ein besonderer abend. eine wunderbare stimmung und viele nette menschen, die durch axels stimme auf eine dunkelschöne reise geschickt wurden.
AntwortenLöschenich persönlich hab mich besonders darüber gefreut, dass meine beste freundin (mit der ich schon zusammen die schulbank gedrückt hab) dabei war. es waren aber weitere da, die mir sehr nahe sind und mir in den letzten jahren in meinen dunklen stunden beiseite standen. danke für euer licht.
…und vielen Dank zum Zweiten für diese Nachbetrachtung, aus der man auch jetzt, eine Woche danach, noch herausliest wie schön und erfüllend der Abend für dich gewesen sein muss. Ich nehme mal an, du warst vor diesem Abend zumindest ein bisschen aufgeregt und nervös? Der Text klingt jedenfalls als ob du den Abend einfach nur genossen hättest. Es hat halt doch was auf sich mit Fußball UND Kultur **gg. Schwarzrote Nacht-Atmosphäre ins Museum gezaubert, schwarze Bembel im Publikum – das passt doch. Und – wow – finde sehr beeindruckend, dass du mit deinem Buch so unterschiedliche Lesergruppen ansprichst. Konntest du dir die Illustratorin deines Buches eigentlich selbst aussuchen oder hat das der Verlag für dich gemacht? Sind das Zeichnungen oder Linolschnitte – sieht (zumindest auf den Fotos hier) ein bisschen so aus. Schön!!! Habt ihr hinterher auch noch ein bisschen über das Buch gesprochen oder die Geschichte einfach nur wirken lassen? Nehme an, du stellst dich ganz bewusst in eine bestimmte literarische Tradition? Hab den Andermacher (noch) nicht gelesen, und dachte zunächst an E.T.A. Hoffmann – ist aber wohl eher Poe? von den neueren Eco?? Cüsnacht ist ein sprechender Name, klar. Aber gibt es auch einen Bezug zum (literarischen) Ort Küssnacht, zum Tell, zu Thomas Mann? Oje – das ist jetzt ja mehr ein Fragenkatalog als ein Kommentar geworden. Deswegen zum Schluss: Freue mich für dich und wünsche dir und deinem Buch weiterhin viel Erfolg und viele Leser!
AntwortenLöschenkid, ich glaube, du hast einen richtigen weg in der analyse eingeschlagen - sozusagen :-)
AntwortenLöschenes gibt keinen tag ohne die nacht, keine nacht ohne den tag - auch wenn wir manchmal nicht wissen, was was ist :-)
fritsch, auch ich höre die trees seit jahrzehnten beinahe - und wenn sie einen der relativ seltenen auftritte in deutschland haben, ist es meist eine offenbarung - in relativ leerer halle.
pia, danke, dass es dich gibt :-)
kerstin, nervös war ich eigentlich nicht, dazu kannte ich sujet und ort zu gut und bin zudem durch meine jahre als stadionsprecher und moderator abgehärtet; ich habe gott seis gedankt keine angst. meine reifeprüfung war der grabi/pfaff-abend. was soll mir jetzt noch passieren, wenn ich die situation ernst nehme? mittlerweile weiß ich, was ich kann. und was nicht. hat ja lange genug gedauert :-)
hoffmann, poe, mann - jawoll - und trakl, schneider robert und hauff und grimm und vieles mehr, inclusive beve.
danke und viele grüße
axel
Diese Auftritte kenne ich, Beve. Auftriite in leeren Hallen & Räumen waren jahrelang ein fester Bestandteil meines Lebens. Und es waren meistens besondere Auftritte. Je leerer, umso intensiver das Erlebnis & die Kommunikation mit den Zuhörern. Auch wenn and also the trees vielmehr Zuhörer verdient hätten. Ich mach mir jetzt ein Fläschen auf & lege die alte Scheibe noch einmal auf.
AntwortenLöschenViele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
Fritsch.