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Montag, 3. November 2008

Heimspiel in Gladbach - 2-11-2008


Sonntagmorgen, neun Uhr in Deutschland. Der Rest der Republik liegt in den Federn oder macht sich bereit für den Gottesdienst - wir schälten uns aus dem Bettchen, um unserem Fußballverein hinterher zu reisen, die Tage wollen mit Leben gefüllt werden, nicht wahr? Draußen ist es mild und freundlich, überraschender Weise sogar trocken und nach einem schnellen Kaffee und der dazugehörigen Cigarette ging's los. Wir rollten durchs Nordend, holten Christian ab, der an der Berger Straße schon auf uns wartete und starteten über die Miquelallee Richtung A66 um dann auf die A3 Richtung Köln aufzufahren. Viel war nicht los um diese Zeit und so blubberte aus den Boxen die aktuelle Single der Killers, Human, - eine Mischung aus Franz Lambert und Alphaville - und sie fragten sich, ob sie human oder denser seien, worauf ich leider keine Antwort wusste, allerdings wippte ich mit - Pia hingegen fährt und mag das Lied nicht, Alles neu von Peter Fox kommt da schon besser. Alles glänzt, so schön neu.

Der Herbst hing noch immer blättrig grün orange braun an den Ästen der Bäume, während wir durch Hessen sausten, den Limburger Dom erblickten und dazu den ICE-Bahnhof, den auch Montabaur sein eigen nennt, nur wenige Kilometer dahinter - und doch in einem anderen Bundesland, Rheinland Pfalz. Da Christian noch kein Ticket fürs Spiel hatte, funkte ich Ina an, und tatsächlich konnte sie uns einen positiven Bescheid geben, somit waren die ogansiatorischen Eckdaten geklärt und wir so sorglos, wie man es in unserem Alter nur sein kann.

Ich bin stets fasziniert, wenn ich aus dem Fenster träume und das vorbeiziehende Land beobachte. All dies, was wir morgen in den Zeitungen lesen, spielt sich heute hier ab; aus der Ferne hat das etwas heimeliges; der Spaziergänger mit Hund, was mag er denken; der Autofahrer, der an der Bahnschranke wartet, vielleicht fährt er nach Hause, zum kleinen Häuschen am Waldrand, vielleicht schaut er später DSF und freut sich auf das heutige Spiel. Vielleicht ist er morgen tot.

Die letzten Wochen haben es uns schmerzhaft nahe gebracht, dass nichts für ewig ist, dass die Katastrophen aus dem Nichts kommen und dass die Zeit weit mehr an Traurigkeit bereithält, als die Kinderbücher einem jungen Menschen vermitteln. All die Hoffnungen, mit denen wir ins Leben hinein gestiefelt sind, gerinnen zu Tränen, denen wir bisweilen wenig entgegen zu setzen haben, vielleicht freuen wir uns deshalb auf die Fußballspiele, weil wir im Torjubel alle Sorgen und alles Leid wenigstens für einen Moment vergessen können. Wehe dann, wenn die Eintracht nicht trifft.

Irgendwo in Nordrhein-Westfalen hielten wir an einem Rastplatz, tranken Tee, die Gespräche drehten sich um vergangene Fußballspiele und um günstige Wohnungen, wir biegen bei Köln auf die A4 und wenig später auf die A61. Hinter uns liegt ein Land, in dem die Orte Puderbach oder Quadrath-Ichendorf heißen, wir überquerten den Rhein, rechter Hand schickte ein Kraftwerk dicke weiße Wolken in die Luft und Christian vermutete, dass anhand der Rauchentwicklung die ersten Frankfurter schon vor Ort seien, Pia hingegen meinte, dass ihr Jüngster jetzt sagen würde: seht her: hier werden die Wolken gemacht.
Gott segne die kindlichen Gedankenwelten, die so harmlos und weise zugleich daherkommen.

The Gaslight Anthem wummerten nun ihr boomboxes & dictionaries aus den Boxen und wir verließen die Autobahn bei Rheydt, rollten am dortigen Stadtwald vorbei in Richtung Zentrum, wir hatten Zeit und Hunger. Die Häuser links und rechts erweckten nicht den Eindruck überbordenen Reichtums, leerstehende griechische Restaurants mit dem Namen El Greco, kleine Imbisse dazu und im Zentrum war der Teufel los - wow, dachten wir, alles Borussen, und das, obwohl das Stadion noch eine ganze Ecke entfernt liegt.

Mit Müh und Not fanden wir einen Parkplatz vor dem Plus-Markt am Bahnhof, ich realisierte, dass dieser Markt geschlossen ist, welch Wunder am Sonntag Nachmittag - und so wurden wir unsicher, ob wir nach Spielende den Parkplatz noch verlassen können, auf dem eigenartiger Weise kaum Wagen mit Gladbach-Devotionalien parkten. Währenddessen rollte der Sonderzug aus Frankfurt ein, Shuttle-Busse sollten die Fans zum Stadion bringen und über den Bahnsteig hörten wir die ersten Schlachtgesänge Hurra, hurra, die Frankfurter sind da.

Das wussten wir und so fragten wir einen umstehenden Polizisten, ob der Parkplatz noch abends geöffnet und ob noch eine andere Veranstaltung an diesem Tage hier sei. Ersteres wusste er nicht, zweiteres aber schon: 2.November 2008 - verkaufsoffener Sonntag in Rheydt. Daher wehte also der Wind, nix Fußball - Shoppen. Pias Augen bekamen einen leichten Glanz, doch sie war tapfer und widerstand der Versuchung, zumal wir ja auch was futtern wollten.

Wenig später hockten wir in einer gemütlichen sympathischen KöPi Kneipe, rauchten und tranken ein Alt, während wir auf Bratkartoffeln, Bratwürstchen oder Leberkäse warteten. Wir hätten auch eine Fohlenmilch trinken können, verzichteten aber leichten Herzens darauf. Im Ernst, es war gar keine Milch, sondern Schnaps.
Die Bildschirme vor uns zeigten den Anpfiff diverser Zweit-Liga-Partien und hinter uns wachte der Joste Harry müt dr Selverbleck, ein Original, der noch im Alter von 80 Jahren auf einem Stuhl sein Bier im Kopfstand trank.

Wir fragten die freundliche Bedienung noch nach dem Weg Richtung Stadion, erhielten Auskunft und verabschiedeten uns. Möge der Bessere gewinnen sagten sie und wir antworteten frankfurterisch charmant: nö, möge die Eintracht gewinnen, egal wie. Wir lachten und liefen zurück zum silbernen Golf, der uns im Laufe der Zeit schon etliche Kilometer durch die Republik kutschiert hat und so verließen wir Rheydt, passierten den Stadtwald und landeten in Mönchengladbach-Rheindahlen, dem Geburtsort vom legendären Joste Harry, der schon 1979 verarmt gestorben war.

Da es uns meist lieber ist, etwas außerhalb der großen Parplätze zu parken und ein wenig zu laufen, (wir umgehen damit das Verkehrschaos nach Spielende und sehen meist noch etwas von der Gegend, in der wir uns eh nur für einen Tag aufhalten) hielten wir auch heute fernab vom Stadion nahe der Kirche in Rheindahlen. Im hiesigen Eiscafe gab es Nachtisch für Pia, während ich an einer Dönerbude ein paar Fläschken Diebels für den langen Marsch organisierte, freundliche Rheindahler erklärten uns den Weg zum Stadion, den wir flugs trockenen Fußes in Angriff nahmen.

Und so wanderten wir zu dritt mit einem Schöppchen in der Hand an einer recht ordentlich befahrenen Straße entlang, blickten auf kleine Wäldchen zur Seite und waren eigentlich ganz guter Dinge. Während Christian und Pia mit einem Unentschieden schon zufrieden waren, setzte ich auf Sieg, von mir aus knapp und unverdient - aber Sieg. Immerhin hatten die Kölner in Stuttgart gewonnen, Hannover gegen den HSV und bei einer Niederlage hätte die Eintrachtwelt eher düster ausgesehen und die Liga sich in zwei Hälften geteilt, auch so klafften schon vier Punkte Differenz zwischen dem 12. Hannover und dem 16. Köln.

Bald verschwanden wir im Strom der Menschen Richtung Stadion, erkannten die Spitzen des Borussenparks und wanderten am dortigen Fanhaus (lautstark erklang der Song über die Elf vom Niederrhein) vorbei in Richtung Süd-Ost-Tribüne, die wir bald erreichten. Einige Busse parkten schon am Gelände, bekannte Gesichter lungerten am Parkplatz herum, begrüßten sich und beschwatzen all die Dinge, die es rund um die Eintracht so zu beschwatzen gibt. Bald rollten auch die Geiselgangster ein, wir kauften Ina das Ticket ab, während Busi gestand, sich das Spiel im Gladbacher Fanhaus angucken zu wollen. So etwas würde mir nicht im Traum einfallen, 250 km durch die Republik zu gondeln, um dann in einem Kneipchen die Eintracht zu gucken - aber so sind die Geschmäcker verschieden - und das ist auch gut so. Wir erfuhren, dass die Amateure in Darmstadt mit 3:1 gewonnen hatten - später sollte uns Roland noch die Torschützen via SMS mitteilen und unsere Laune trübte sich dadurch keineswegs, weshalb auch, wir hatten die Tabellenführung in der Regionaliga zurückerobert.

Der Einlass ging relativ flott und unkompliziert, vor dem Blockaufgang trafen wir auf Jens, der wie viele noch immer nicht begreifen kann, was in der letzten Woche mit seinem Kumpel Carsten geschehen war. So ganz wirst du die Traurigkeit nie los und so ganz wirst du dieses Leben nie verstehen können. Das Leben, das immer weiter geht.

Wir marschierten in den Block, der schon ganz ordentlich gefüllt war, die Aufstellung verkündete, dass Ljubicic an Stelle von Toski ins Team gerutscht war und auf dem Rasen tummelte sich ein menschliches Plüschfohlen, eines jener Maskottchen, die so überflüssig sind, wie Hoffenheim in der ersten Bundesliga.

Die Eintracht, ganz in schwarz, traf schon nach 12 Minuten, blöderweise ins eigene Netz, und da wir Rückstände in dieser Saison gewohnt sind, störten wir uns nicht weiter daran, sondern feuerten unsere Jungs weiter an. Prompt wuselte sich Korkmaz über rechts in den Strafraum, legte zurück zu Fenin, welcher schnurstracks den Ausgleich erzielte. Wir hatten's doch gewusst.

Von den Gladbacher Rängen war relativ wenig zu hören, von uns umso mehr - und sogar die komplette Pause schallte es unentwegt "Jadijadiesgejadiesge" von den Rängen. Als Fink nur wenige Minuten nach Anpfiff der zweiten Hälfte zum 2:1 für die Eintracht traf, kannte der Jubel keine Grenzen mehr, High Five, Eintracht, Eintracht, Umarmungen wildfremder Menschen waren die Folge. Der ehemalige Frankfurter Marko Marin trieb das Gladbacher Spiel an, Oka hielt, was zu halten war und als wenige Sekunden vor Abpfiff auch das letzte Bällchen an Nikolovs Kasten vorbeigerauscht war, hatte die Eintracht drei Punkte im Sack, zumal Tsoumou kurz vor Schluss noch einmal auf Außen durchgebrochen war. Dessen Hereingabe landete letztendlich bei Toski, der jedoch in die Arme von Gospodarek schoss. Egal, Abpfiff. Auswärtssieg.

Die Mannschaft freute sich überschwänglich, hüpfte vor unserer Kurve beseelt umher, Tsoumou schwang die Arme in die Luft und wir feierten die Eintracht, die es nach trostlosem Start geschafft hatte, drei der letzten vier Spiele zu gewinnen. Zwölf Punkte stehen nun zu Buche, der zwölfte Tabellenplatz wurde behauptet und die Distanz nach hinten auf einen erstmal beruhigenden vier-Punkte-Vorsprung ausgebaut. Fenin versenkte sein Trikot in der Kurve, die sich peu a peu leerte, während die Gladbacher schon lange draußen waren. Es wäre schade, sollte die Borussia absteigen - aber im Falle des Falles wäre Marin sicherlich nicht zu halten, vielleicht hat Heribert Bruchhagen ja noch seine Telefonnummer.

Wir verließen als Letzte das Stadion und liefen zurück zum Fanhaus, das im Gegensatz zum Unsrigen direkt am Stadion liegt und gut besucht war. Gladbacher wie Frankfurter standen bei einem Schoppen beisammen und ließen das Spiel Revue passieren - oder Paroli laufen, wie wir Fußballer sagen. Aufkleber des legendären Gladbachers Manager Helmut Grashoff pappten an Stromkästchen, die Erinnerung an Zeiten, als Gladbach mit Allan Simonsen oder Günther Netzer die Republik begeisterten und den schon damals meist übermächtigen Bayern die Stirn boten. Erinnerung an Zeiten, in denen Fußball Samstags um halbvier stattfand und kein Mensch an Wolfsburg, Gazprom oder Hoffenheim dachte.

Wir selbst dachten an den Auswärtssieg und wandelten zurück nach Rheindahlen, zurück in die Nicht-Fußball-Wirklichkeit und stellten dabei fest, dass es wahrlich seltsame Ortsnamen gibt, die noch in keiner Eingemeindung aufgegangen sind, sondern bis heute Bestand haben. Wie mag es klingen, wenn dieser Ort in die Bundesliga aufsteigen sollte:

Hurra, hurra, die Kothausener sind da?

Seltsam ist die Welt fürwahr, wir erstanden am Büdchen noch ein Bier und eine Cola, betrachteten die Gebäude am Straßenrand und erkannten eine Normalität, die in ihrer Selbstverständlickeit beinahe etwas rührendes hat - vor allem angesichts der derzeitigen After-Hour-Wellness-Event Generation. Hier heißt der Friseur nicht Hairstylist oder Hair-Berlin, hier heißt der Friseur schlicht und ergreifend: Friseur. Und das ist auch gut so.


Zurück gings über die A61 am Kerpener Kreuz auf die A4, Köln Ost auf die A3, wir überquerten standesgemäß den Fluß SIEG! und überholten sogar laut hupend den Eintracht-Bus, Pias Schal flatterte grüßend aus dem Fenster. Amy MacDonald untermalte die Rückfahrt musikalisch, und nach einer Weile etwas eintönig, bis Pia feststellte, dass wir seit einer halben Stunde unbemerkt das gleiche Lied hörten - aus Versehen wurde die Song-Repeat-Taste gedrückt: tja, wenn Deppen unterwegs sind, kann das schon mal passieren. Was blieb war ein Grinsen, ein Halt am Rasthof Limburg und Snow Patrol, die uns dann bis Frankfurt begleiteten.

Um 22:30 Uhr rollten wir über die Miquelallee wieder im Herzen von Europa ein, verabschiedeten uns von Christian und sahen im Fernsehen noch einmal die beiden Tore der Eintracht, die den Trip an den Niederrhein krönten.

Auswärtssieg!



6 Kommentare:

  1. am nächsten verkaufsoffenen sonntag bist du fällig :-)

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  2. Schön war es! Du hast übrigens einen Schoppen gewonnen.

    Bis Donnerstag

    PS: Pia hätte ja einkaufen dürfen. Mit Abholservice nach dem Spiel. Man muß eben nur Prioritäten setzen. ;-)

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  3. ich seh schon, das nächste mal gehts mit peter fox in die zone. fußgängerzone.

    die lage ist prekär.

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  4. Die Lage ist, wie sie ist. Auswärtssieg!

    PS: Verkaufsoffene Sonntage sind gar nicht so schlimm, Niederlagen der Eintracht sind schlimmer.

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  5. Ja, gestern war auch in dortmund samstag. 0:4.

    Ich bin bedient.

    VieleGrüße

    Beve

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