Der Regen ersetzt langsam den Schnee und was eben noch klar und kalt daherkam, scheint nun trübe und feucht. Geschichte das Weiß der Straßen und Wege.
Immerhin war das Wasser der Scheibenwaschanlage getaut, als Pia und ich uns gegen halbzwei in Richtung Museum aufmachten - kurzer Wahl-Zwischenstopp an der Gruneliusschule in Oberrad inbegriffen. Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz, man sollte es bleiben lassen, aber dies ist ein anderes Thema.
Als wir vor dem Museum ankamen, entführte Vorstandsmitglied Dr. Thomas Pröckl gerade eine größere Gruppe, die zuvor in einer geschlossenen Veranstaltung im Museum gespeist hatte, zum Gottesdienst in die im Stadion integrierte Kapelle - und wir bauten das Museum vom Speisesaal wieder in ein Museum um. Derweil trudelten schon die ersten Gäste ein, deren Besuch dem erwarteten Auftritt unserer ehemaligen Nummer 13 galt, nämlich Uwe "Zico" Bindewald.
Es bildeten sich zunächst kleine Grüppchen, die relativ schnell zu großen Grüppchen anwuchsen. Pia hatte alle Hände voll zu tun, die Eintrittstickets auszuteilen und so ganz nebenbei den ein oder anderen erfolgreich davon zu überzeugen, Mitglied im Förderverein zu werden. Bald stellte sich heraus, dass nicht zuletzt Kids Aufruf in seinem Blog oder auch im Blog-G auf fruchtbaren Boden gefallen war - das Interesse an Zico war sehr groß und so sollten an diesem Sonntag an die Hundert Eintracht-Fans der Veranstaltung beiwohnen.
Dies stellte mich vor kleinere logistische Probleme. Üblicherweise beginnen wir unsere sonntagnachmittäglichen Veranstaltungen mit ehemaligen Spielern mit einem Rundgang durch die bald 110-jährige Geschichte der Eintracht und verweilen dann in der Zeit, in der der Spieler aktiv war. So geschehen beispielsweise mit Ronny Borchers, Thommy Rohrbach, Adolf Bechtold, Edgar Schmitt oder Bakary Diakité. Nun weiß jeder, der schon einmal im Museum gewesen ist, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, mit hundert Menschen durch die Ausstellung zu wandern - und somit entschieden wir kurzfristig, die Veranstaltung im Foyer durchzuführen. Das hieß für mich, von der ersten bis zur letzten Minute Präsenz in Bezug auf Zico zu zeigen, keine Meisterschaft 1959, kein Uefa-Cup-Sieg und keine Pokalsiege konnten mir helfen, Zeit zu gewinnen - und also gingen wir es an. Matze Thoma sprach ein Begrüßungswort und wies auf das ausliegende Kondolenzbuch zu Ehren des Todes von Alfred Pfaff hin und so begaben wir uns auf die Zeitreise und beleuchteten Leben und Karriere von Uwe Bindewald.

Zico wurde mit großem Applaus empfangen, die Fans standen auf, applaudierten und stimmten den Gesang an, den wir sogar immer noch von Zeit zu Zeit im Stadion hören: U-we Bindewald, Schalalalala, U-we Bindewald, Scha-lalalalala und Uwe war davon eher berührt als geschmeichelt. Etwas zurückhaltend stand er vorne und umklammerte das Jäckchen seines Sohnes, als gäbe es ihm Halt. Ihm, der 386 mal im Trikot der Eintracht in Erst- und Zweitligaspielen auf dem Platz stand, 28 DFB-Pokalspiele absolviert hat und dazu in 23 Uefacupmatches antrat.
1987 kam er zur Eintracht - ausgerechnet vom Erzrivalen Kickers Offenbach, für die er von 1983 an spielte. Als Knirps trat er zuvor in seiner Heimat gegen das runde Leder; zunächst beim FSV Dorheim, später bei der SG Melbach-Södel. Zico betonte, dass er stets in seiner Heimat geblieben ist, in der Nähe der Familie und in der Nähe der Freunde. Schon 1983 hatte Eintracht Frankfurt seine Fühler nach ihm ausgestreckt, doch er wechselte mit einem Kumpel zum OFC, der beide Spieler aufnehmen wollte. Klaus Gerster, damals Jugendtrainer der Eintracht bearbeitete anschließend Uwe solange, bis er gar nicht anders konnte, als dann doch an den Riederwald zu wechseln. Er kam an einen Riederwald, dessen 1952 errichtetes Tribünendach noch die Zuschauer bedeckte und der dennoch schon arg am Modern war. Dort spielte er, der als Kind Sympathien für Mönchengladbach hegte, noch für kurze Zeit in der A-Jugend und wurde vom damaligen Amateur-Trainer Hubert Neu gefördert. 1988 spielte Uwe dann das erste Mal in der Bundesliga, Trainer Pal Csernai berief Zico in den Kader, es sollten in der Saison, die mit den Relegationsspielen gegen Saarbrücken endete noch zwei weitere Einsätze folgen.
Zur Erinnerung, wir reden von einer Zeit, als es die DDR noch gab und die Eintracht traditionell schneller die Trainer wechselte, als die Trikots.
Große Stücke hielt Zico auf Manni Binz, der stets eine professionelle Einstellung vorlebte; der der Erste auf dem Trainingsplatz war und als Letzter ging. Manni, der auch schon im Museum zu Gast war und über 300 Spiele für die Eintracht absolvierte und der in der Nachbetrachtung bei vielen Fans meiner Meinung nach zu schlecht wegkommt.
Es ist interessant, wie ehemalige Spieler mit Hochachtung von Kameraden reden, die in der Wahrnehmung der Öffentlchkeit eher schlechter wegkommen bzw. eher in Vergessenheit geraten. Wie Istvan Sztani auf die Leistung von Ivica Horvat verwies, der sich vor den Endrundenspielen 1959 leider verletzte und krank wurde - und deshalb bei der Nennung der Helden von Berlin eher hinten ansteht, so legte Zico großen Wert auf Manni Binz. Auch auf Ralf Falkenmayer, der den definitiven Spitznamen Zico erfand, den sich ursprünglich Uwe als Sico selbst gegeben hatte, eine ironische Anspielung auf die Tatsache, dass Bindewalds Spiel eher von der Kampfkraft, dem Willen und der Schnelligkleit lebte als von technischen Finessen. Edgar Schmitt erwähnte jedoch bei seinem Besuch im Museum ausdrücklich, dass in der wunderbaren Mannschaft des Fußballs 2000 jeder großartige Fähigkeiten am Ball hatte und Fußball spielen konnte, eben auch ein Uwe Bindewald. Und viel zu selten würde das spielerische Vermögen Uwes gewürdigt.
Csernai, Berger, Stepanovic, Heese, Toppmöller, Körbel, Heynckes, Körbel, Stepanovic, Bommer, Ehrmantraut, Lippert, Fanz, Berger, Magath, Dohmen, Rausch, Andermatt, Kraaz, Reimann - so hießen sie, die Übungsleiter, die all die Jahre bis 2004 nicht an Zico vorbeikamen, eine illustre Liste - auch wenn Bommer oder Lippert nur als Interimstrainer fungierten.
Mit der steigenden Zahl der Einsätz von Uwe ging es mit der Eintracht bergauf, vom Fastabsteiger 1989 bis hin zum Fußball 2000, inbegriffen das Drama in Rostock, den Betriebsausflug, der von zu vielen Feiernden begleitet wurde und der zum Desaster geriet. Im Spiel zuvor hatte die Eintracht ja die Möglichkeit, durch einen Sieg gegen Europapokaltrunkene Bremer die Meisterschaft quasi einzutüten, es reichte jedoch nur zu einem mageren 2:2, was vielleicht auch daran gelegen haben könnte, dass dieses Spiel eines von zweien in dieser Saison war, an denen Zico nicht mitwirken konnte.
Zico vermied es, auch bei hartnäckigerem Befragen, einzelne Trainer oder Spieler an den Pranger zu stellen und sah seine Rolle bei der Eintracht eher als neutral; er war keiner, der das große Wort führte und die großen Gesten liebte, ähnlich wie Falke oder Binz, die auf dem Platz auffielen und sich durch ein forscheres Auftreten vielleicht noch größere Möglichkeiten hätten sichern können. Nicht zuletzt sind alle drei im Frankfurter Raum geblieben.
Zicos Vertragsverlängerungen gingen geräuschlos vonstatten und ein Vereinswechsel war selbst bei späteren Abstiegen kein Thema, allenfalls ein Wechsel zu Otto Rehagels 1.FC Kaiserslautern war eine Überlegung wert, die alsbald verworfen wurde.
Weder Toppmöllers Adler, dessen Präsentation im Hotel die Mannschaft beflügeln sollte, noch die Trainerwechsel hatten Zico nachhaltig beeindruckt, ihm nimmt man es ab, wenn er sagt, dass jeder, der auf den Platz geht kaum Mätzchen braucht, um Spiel zu gewinnen, zumindest jeder, der einen gewissen Charakter an den Tag legt.
Highlights waren für ihn sicherlich die internationalen Auftritte der Eintracht, Napoli, Turin, La Coruna - auch wenn die Partien gegen Salzburg eher weniger Ruhm brachten, als wir uns alle erhofften. Die UI-Cup-Kicks hatten weniger Glamour, auch nach Bordeaux ging es morgens hin und abends zurück - selbst wenn in deren Reihen Spieler wie Dugarry, Lizarazu oder Zidane standen.
Sympathien hegte Uwe seinerzeit für die Entscheidung von Heynckes, den Spielern Gaudino, Okocha und Yeboah im Sinne der Kameradschaft nicht alles durchgehen zu lassen; fragte sich aber auch, ob die finalen Verkäufe von Gaudino und Yeboah nicht zu weit gegangen waren.
Der Abstieg 1996 nagte auch an ihm, trotz guter Einzelkicker kam keine Mannschaft zusammen, und während insgeheim noch nach oben geschaut wurde, raste der Fahrstuhl bergab; wir haben ja noch zehn Spiele, noch neun, noch acht - und dann war's zu spät, die Eintracht sauste nach unten, zunächst auch in der zweiten Liga, bis Horst Ehrmantraut das Zepter übernahm, und dem Team wieder Leben einhauchte.
Im letzten Spiel der Saison 97/98, als der Aufstieg schon besiegelt war, traf die Eintracht auf
Er hielt viel vom akribisch arbeitenden Hotte, dessen Entlassung für ihn unverständlich war. Zu dessen Nachfolger Reinhold Fanz verloren wir nicht viele Worte, eher über Jörg Berger, dessen laute Stimme, dem Megaphon, wie Zico sagte, die Mannschaft wachrütteln sollte, die dann am letzten Spieltag mit dem legendären 5:1 gegen Lautern tatsächlich den Klassenerhalt schaffte.
Weniger spektakulär dann der Ligaverbleib im Jahr darauf, als die Eintracht unter Berger etliche Spiele knapp verlor und mit Felix Magath erneut am letzten Spieltag durch ein 2:1 gegen Ulm Bundesligist blieb. Magath, dessen Trainigsmethoden zwar kurzzeitig Kräfte freisetzten, auf Dauer jedoch vor allem diejenigen in die Knie zwangen, die auch im Training alles gaben. Irgendwann ist dann der Akku leer - und auch im Spiel geht dann nichts mehr. In der Saison 2000/01 unterlag die Eintracht vor der Winterpause nach einem Auswärtssieg in München nacheinander gegen die Hertha, in Bochum, gegen Wolfsburg, in Suttgart und in Unterhaching. Nach der Winterpause setzte es ein 1:5 gegen die Kölner (auch dieses Spiel ohne Zico) und auch Magath war Geschichte bei der Eintracht, Dohmen übernahm und nach anfänglichen Erfolgen setzte er der den Abwärtstrend fort, vielleicht kam er zu jovial daher.
Es folgten zwei weitere Jahre in Liga zwei, die mit dem sensationellen 6:3 gegen Reutlingen ihr Ende fanden, ein Spiel das zu den absoluten Highlights Zico zählt, auch deshalb, weil er neben Jens Keller und Alexander Schur als einer der Garanten des Sieges benannt wurde - und da merkte man, wie gut es Uwe tat, öffentlich gelobt zu werden - und wie sehr dazu im Gegensatz all die Kritik nagte, die von Seiten der Medien und Fans all die Jahre auf die Spieler einprasselt.
Das folgende Jahr sollte das letzte in Zicos Karriere bei der Eintracht werden, kurz vor Saisonende wurde sein Vertrag nicht verlängert und Uwe war derartig enttäuscht, dass er kurzfristig sogar überlegte, in den letzten beiden Spielen nicht aufzulaufen. Immerhin zeigte das Spielankündigungsplakat vom letzten Heimspiel Uwes gegen den VfL Bochum unsere Nummer 13 - und Bindewald wäre nicht Bindewald, hätte er tatsächlich nicht gespielt. Bei strahlendem Sonnenschein besiegte die Eintracht den VfL mit 3:2 und hatte noch eine kleine Chance auf den Klassenerhalt, die dann am letzten Spiel Uwes leider nicht genutzt werden konnte, der ewige Kontrahent Lautern holte selbst die nötigen Punkte und so stieg die Eintracht im Sommer 2004 in Hamburg zum bislang letzten Mal ab.
Während Zico seine Karriere in der Oberliga bei Eschborn ausklingen ließ und er selbst noch einmal am Riederwald gegen die Amateure der Eintracht spielte, so sorgten die Fans der Eintracht zum Saisonauftakt 04/05 mit einer Choreo zu Zicos Ehren für dessen Aufnahme in den Eintracht-Olymp, neben Grabi und Holz, neben Bein und Yeboah. Seither weht eine große Fahne mit der Nummer 13 im Block - als Erinnerung an einen Spieler, der stets und ständig alles für die Eintracht gegeben hatte.

Anfang 2008 kehrte Bindewald an den Riederwald zurück, übernahm als Co-Trainer die U19 und erkannte in den Kabinen noch die Schimmelflecken, die er 21 Jahre zuvor schon endeckt hatte. Leider wurde dessen Vertrag im Sommer nicht verlängert, doch ich bin sicher, dass wir Zico demnächst wieder in irgendeiner Funktion bei Eintracht Frankfurt sehen werden.
Mit Standing Ovations wurde Uwe verabschiedet, fast verschämt nahm er den Beifall entgegen und zeigte sich als das, was er immer war: als fairer Sportsmann und als sympathischer Kerl, der nicht frei ist von Emotionen, - ein Tränchen der Rührung im Auge konnte dem nahen Betrachter nicht verborgen bleiben.
Uwe stand im Anschluss noch für etliche Fotos und Autogramme bereit, hielt noch den ein oder anderen Schwatz und verabschiedete sich von uns mit dem Versprechen, auch im Museum wieder einmal vorbei zu schauen.

Danke Zico, für all deine Einsätze im Trikot der Eintracht und danke für den Besuch im Museum, es war großartig. Und danke auch an euch, die ihr so zahlreich erschienen ward. Ihr habt es nicht bereut. Oder?
Nachtrag:
Dank Kids Erinnerungsvermögen möchte ich noch eine der früheren Erfahrungen des Uwe Bindewald mit einfließen lassen. Im Training unter Csernai fanden sich Kostner und Bindewald zu einer Übung zusammen. Während Zico brav trainierte, alberte Michael Kostner herum. Trainer Csernai, der solch Larifari nicht dulden konnte reagierte prompt. Den Anschiss jedoch kassierte nicht Übeltäter Kostner, sondern eben Zico. Herzlich Willkommen bei den Profis :-)
Die Autogramkarte habe ich Franks Eintracht-Archiv entnommen, welches auch massiv dazu beitrug, dass ich mich vorbereiten konnte; das Foto vom Abschiedsspiel fand ich auf meiner Festplatte, von wem auch immer es stammt; Zico und mich hat Ergin Selenga fotografiert und Zico beim autogramm- schreiben Pia Geiger. Vielen Dank.
Und noch ein paar Worte in eigener Sache: Da ich bei Veranstaltungen die ich selbst moderiere mein Augenmerk auf die Moderation richte, den kurzfristigen Moment, fällt es mir schwerer, mich im Nachhinein an Details zu erinnern, als wenn ich Zuhörer bin. Sollte also das ein oder andere im Bericht unter den Tisch gefallen sein, so füllt dies mit euren eigenen Erlebnissen - und wenn ich Dinge falsch wiedergegeben habe, so korrigiert mich.
Bleibt mir gewogen, euer Beve.