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Montag, 8. Februar 2010

Heimspiel in Dortmund


Vielleicht wurde der Grundstein für eine erfolgreiche Auswärtsfahrt schon in der Nacht zuvor gelegt, als Pia und ich mit der Straßenbahn vom Nordend nach Sachsenhausen ruckelten um im Fritsche dem Jugendtreff für Erwachsene beizuwohnen. DJ Ergänzungsspieler aka Murmeltier hatte gerufen und wir waren dem Ruf vertrauensvoll gefolgt: Punkrock, Ska, OI, Psychobilly, Rockabilly, Indipendent - so hieß es vielversprechend in der Vorankündigung und da zudem das Versprechen Klassenfahrt zum Titisee aufzulegen im Raume stand enterten wir erwartungsfroh die Spelunke - und wurden nicht enttäuscht. Im Raucherbereich drehte sich tapfer eine Discokugel an der Decke, während der Ergänzungsspieler sich nicht lumpen ließ und einen Kracher nach dem nächsten auflegte. Neeko wippte fröhlich mit, Charly schneite vorbei; später auch Christian und Tanja, direkt aus der Oper. Frank, ein alter Bekannter Pias, saß am Tresen und so goss sich eine lustige Runde ein paar Schöppchen hinter die Binde. Zwischen ZaZas Zauberstab, Clashs Guns of Brixton oder dem Coffinshakerschen Phantoms of the night sauste die Zeit dahin (Wir sind die Turnschuhgeneration) - und später als gedacht wir durch die Nacht. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal in Frankfurt mit dem Nachtbus gefahren bin; der Blick zu den anderen Fahrgästen hätte vermuten lassen, dass die Klassenfahrt zum Titisee unmittelbar bevor stand. Bis in die Puppen kramte ich dann in meiner Musiksammlung, um derart inspiriert den Soundtrack für die Fahrt ins Ruhrgebiet zusammen zu stellen.

Sekunden später wachte ich auf. Pia war schon draußen gewesen, während ich den finalen Akt der Musikproduktion vollzog und die gesammelten Files auf CD brannte. Dortmund, wir kommen.

Diesmal waren alle dabei; Golf (silber), Pia (Chucks), Beve (Adidas), Ente (schwarz), während auf der Rückbank unter anderem Sad lovers and giants, Rumble on the beach, The Krewmen, Los Carayos, Red Lorry yellow lorry, Editors, Nim Vind oder Mary goes round Platz nahmen.

Eine illustre Runde machte sich auf den Weg nach Dortmund, an einem grauen Sonntag gegen 10:30 Uhr. Der letzte Sieg beim BVB lag 19 Jahre zurück; es gab finstere 1:6 Klatschen, einen schubsenden Trainer oder dämliche Pokalniederlagen; gefühlter Höhepunkt der letzten Jahre war ein fulminanter Treffer Du-Ri Chas der zu einem Remis gereicht hatte - ansonsten hängende Köpfe. Sechs Siege seit 1963 - das war's.

Schwarz-weißer Schnee türmte sich am Rand der Autobahn, Schmelzwasser spritzte an die Scheibe und weite Teile des Landes lagen unter einer weißen Schneedecke, von Zeit zu Zeit sahen wir in der Ferne Wanderer auf den Feldern, erinnernd an Brueghels Jäger im Schnee.

Siegerland. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Jahren hier auf dem Weg zum Fußball durchgefahren bin und mir wie ein Depp vorgekommen bin, weil die Eintracht vom Siegen so weit entfernt war, wie ich von gesunder Ernährung; Sauerland passte da schon eher.

Ein Auspuff lag am Straßenrand und erzählte schweigend eine Geschichte, schwarz-gelbe Windanzeiger schlafften an der Seite während wir stoisch Meile um Meile abspulten und frohgemut mit den Crackers um die Wette sangen: Mama, schick mir noch Taschengeld. Der Himmel riss auf, die Sonne brach durch und seit gefühlten Ewigkeiten glitt ein Hauch von Frühling durch die Zeit - bis es kurz vor Dortmund wieder grau wurde. Talk about the weather.



Dortmund. Wir gondelten die Ruhrallee hinab, hielten uns links und parkten in einem Wohngebiet nahe des Bahndamms. Da unsere liebgewonnene Kneipe Big Boss am Borsigplatz das Zeitliche gesegnet hatte, mussten wir uns einen neuen Unterschlupf suchen und so spazierten wir durch das Wohnviertel, ausweichend der Hundescheiße und trugen stolz unsere Eintrachtmützen auf dem Kopf; Pia weiß, ich schwarz: Hurra, hurra, die Frankfurter sind da.

Von einem Fenster hing eine BVB-Fahne nebst Schal herunter, in einem anderen jubelte ein schwarzgelber Gartenzwerg und ob der äußeren Ungemütlichkeit landeten wir innen; in den Wilhelm Busch Stuben Ecke Saarlandstraße/Chemnitzer. Eiche rustikal, passt.
Obgleich die Küche schon geschlossen hatte, gab es für uns die Speisekarte von der freundlichen Bedienung, während uns die übrigen Gäste - Männer, alleinstehend, traumlos - etwas irritiert anblickten, es wird wohl nicht oft vorkommen, dass Gästefans an einem Bundesligaspieltag hier einfallen; wir aber bestellten ein Pilsken und freuten uns, dass wir rauchen durften.

Wenig später kam unser Essen - und ich war begeistert: Futtern wie bei Muttern; Rouladen feat. Kartoffeln, Rotkohl und einer Soße wie es in Gottes großem Rezeptbuch steht. Glücklich schaufelte ich mein Glück in mich hinein und auch Pia war durchaus angetan vom Dortmunder Sonntagmittag in einem Wirtshaus der unprätentiösen Art. Heimlich zückte sie den Fotoapparat und hielt einige still lebenden Momente für die Ewigkeit fest, darunter einen aus einem Baumstamm geschnitzten Hasen.

Ein älter Dortmunder, im Munde glänzte ein einziger metallener Zahn, fragte uns, wann denn das Spiel begänne - früher sei er ja immer hin gegangen, die Zeiten seien aber vorbei meinte er und lachte, wünschte uns viel Glück und marschierte zu seinen Kumpels - irgendwo in Deutschland, Sonntagmittag, halb drei.

Wir zahlten, wurden mit viel Spaß im Stadion bewünscht und machten uns auf den Weg eben dort hin. Unterwegs sprach uns ein nächster älterer Herr an, was wir denn mit Altintop wollten, dieser sei ja wohl ein Altinflop und überhaupt, Funkel die Flöte, der reißt ja auch bei der Hertha nichts. Er selbst sei ja Bochumer, und erinnere sich noch gut an das letzte Spiel der Eintracht dort, als Pröll sich wütend das Trikot zerrissen hatte. Naja, Funkel war uns wurscht, Altintop bliebe abzuwarten. Immerhin wollte der Bochumer uns heute Abend die Daumen drücken, das war ja schon mal was.
Dortmunder waren gleichfalls unterwegs, viele davon besuchten auf dem Messegelände die Messe Jagd und Hund, eingepackt in ein wärmendes grünes Wams kamen uns jede Menge mit Tüten und Päckchen bepackt aus der Halle entgegen. Nebenan warteten die ersten auf den bevorstehenden Rammstein-Auftritt in der Westfalenhalle: wer am hiesigen Sonntag als Jäger auf Rammstein stand und zudem Stadiongänger ist, der hatte volles Programm.

Unser Weg führte uns schnurstracks ins Borusseum, dem Museum des BVB, der ja vor kurzem sein Hundertjähriges gefeiert hatte. Wie in Frankfurt liegt es im Stadion und sechs Euro später wanderten wir durch die Geschichte des Vereins, der in der Gaststätte Zum Wildschütz nahe des Borsigplatzes gegründet wurde. Dass der BVB zunächst in den Vereinsfarben Blau und Weiß spielte, hat einen ganz speziellen Charme.

Das Museum ist weiträumig und in einzelne offene Parzellen gegliedert. Die Ausstellung beginnt mit einem Nachbau der historischen Gründungs-Gaststätte und führt über die ersten Jahre hin zur Oberligageschichte. Über die Bundesligajahre, die Stadiongeschichte, der Europapokalwand, kamen wir zu einem Kino, bestückt mit Schalensitze des alten Stadions. Viele Monitore zeigen zudem Filmausschnitte historischer Spiele, der Europapokalsieg 1966 sicherlich als Höhepunkt der Vereinsgeschichte, deren Helden Siggi Held und Lothar "Emma" Emmerich eigene Vitrinen gewidmet wurden, Fanchoreographien werden in einem großen Fanbereich ebenso gezeigt wie ein Modell des alten Westfalenstadions; eine eigene Station ist der Derbygeschichte gewidmet und bei unserem ersten, notgedrungen oberflächlichen, Besuch fiel uns die Eintracht nur ein einziges Mal auf. Wir entdeckten den Adler in den Tabellen des 37. und 38 Spieltages der Saison 1991/1992. Bedankt.

Ein weiter Skandal schloss sich unmittelbar an. Gedankenverloren betrachtete ich eine Vitrine als ich einen Klapps auf dem Hintern verspürte. Als ich mich umdrehte erkannte ich wider Erwarten nicht Pia, sondern ... Emma.

Emma ist das Dortmunder Plüschmaskottchen, benannt nach Lothar Emmerich und stellt die Biene Maja da. Sieht kreuzdämlich aus und befand sich auf dem Weg zum Spiel. Und haute mir mirnichtsdirnichts auf den Hintern. Ich war zu verdattert, um zu reagieren und gab den Fall weiter an unsere Adler - mit der Bitte um Rache.

Die Schatzkammer mit Kopien der wichtigsten Pokale durfte nicht fehlen, überflüssig die Fan-Karaoke-Box, nett das Quiz: 6 von 10 Fragen richtig beantwortet - seit gestern bin ich offizieller Nachwuchs-Borusse.

Lasst mal stecken. Witzig waren die Kickertische; während so ziemlich jeder Kicker mit dem klassischen 2-5-3 agiert, konnte man hier auch mit einem 5-4-1 oder 4-4-2 spielen. Pfiffig.

Vielleicht schreibe ich die Tage noch mal einen ausführlichen Bericht über das Borusseum, in dem man sich schon die Zeit vor dem Spiel vertreiben kann; jetzt aber betrachteten wir aus einem Fenster den Einmarsch der Frankfurter Zugfahrer und verließen die Historie, um uns der Gegenwart zu widmen.

Vor unserem Eingang trafen wir auf Max und Dominik sowie einige andere Ultras und unterhielten uns über den letzten SAW, die Aktionen in Nürnberg: Gut: Mütze. Schlecht: Böller, während Kroni und Celi, Ben und ZoLo zu uns stießen. Ruckzuck näherte sich der Anpfiff und wir schoben uns durch die unspektakuläre Eingangskontrolle. Mit Entsetzen sahen wir, dass sich Menschentrauben um den Eingang 61 scharten; der Block schien voll. Wir quetschten uns dennoch hinein - wurden zunächst durch die Massen hin und her geschubst, trafen Daniel um uns dann nach links oben zu verkrümeln. Prompt trafen wir auf Suse und Mülli sowie propain, der den sonst mitreisenden Arne ersetzt hatte. Auch Donna hatte sich in die Ecke verzogen. Die Sicht war gut, die Hütte ziemlich voll und Emma wackelte über das Spielfeld, als wäre nichts geschehen. Auf dem Platz, der arg ramponiert aussah, schwenkten Hundertschaften Fahnen; aus den Boxen blubberte das unvermeidliche you'll never walk alone, die überschätzteste Kurve der Welt, die gelbe Wand, war auch da und dann ging's los: Die Eintracht ganz in Rot, wobei das Rot der Hosen nicht exakt zum Rot der Trikots passte. Dankenswerter Weise hatte Trainer Skibbe nicht an der Aufstellung des letzten Wochenendes festgehalten. Franz war nach Innen gerückt, Chris auf die Sechs, Jungs nach rechts hinten und Liberopoulos auf die Bank.

Bissig ging es zur Sache, nach acht Minuten schlug Nikolov einen langen Ball nach vorne, Meier verlängerte zu Altintop, dieser passte ihn zu Ochs und dessen gefühlvolle Flanke wuppte Benny Köhler, der sich clever in Stellung gebracht hatte, per Kopf zur Frankurter Führung ins Netz. Wir lagen uns unverhofft in den Armen. Jawoll. Es ging nun Schlag auf Schlag, Altintop hatte eine Chance, doch Ziegler holte ihm den Ball vom Fuß - in der 17. Minute dann der Ausgleich. Zidan hatte abgezogen, der Ball kam zum wenige Meter vor dem Tor völlig frei stehenden Hummels und dieser ließ Nikolov keine Chance.

Köhler hatte die erneute Eintrachtführung auf dem Fuß, Ziegler konnte noch so eben klären, doch nur Sekunden später lag der Ball eigentlich schon im Tor, Altintop hatte alles richtig gemacht, Ziegler war geschlagen und urpötzlich erstarb der Torschrei auf den Lippen; artistisch hatte Hummels einen Ball, der ins Tor gehen musste, noch auf der Line rutschend erwischt.

Kurz danach segelte Altintop durch die Luft, doch leider auch der Ball am Tor vorbei. Nikolov musste dann noch einmal gegen Barrios klären - und so ging es nach einem klasse Spiel mit dem 1:1 in die Pause. Höhepunkt des Dortmunder Support war ein Banner gegen Stadionverbote, ansonsten war die steile Südkurve wie immer schön anzusehen - aber leise.

In der zweiten Hälfte sorgte zunächst der zweite Dortmunder Treffer für Frust. Spycher konnte den Ball nicht gescheit klären, die folgende Flanke von Zidan wurde von Nikolov unterschätzt und im Rücken von Sebastian Jung konnte Barrios einhämmern. Doch wer gedacht hatte die Partie sei gelaufen, der wurde fortan von einer starken Eintracht eines Besseren belehrt. Ochs machte Dampf auf Rechts, Altintop wuselte in der Mitte und Franz trieb die Jungs an, Nikolov rettete gegen Valdez und Chris wurde von jenem Valdez dermaßen rüde gelegt, dass nach Schwegler (Nürnberg) und Korkmaz (Köln) der dritte verletzungsbedingte Ausfall nach einem üblen Foul zu befürchten war. Wieder erhielt der Übeltäter nur Gelb, Chris aber konnte Gott sei Dank weiter machen.

Nach einer Ecke wurde der Ball aus dem Dortmunder Strafraum geköpft - dort hatte Jung viel Platz und dessen strammer Schuss schlug - leicht abgefälscht - zum verdienten Ausgleich ins Netz. Der erste Treffer von Jung in der Bundesliga - wir konnten unser Glück kaum fassen. Doch damit nicht genug: Kurz danach setzte sich Altintop schön mit der Hacke durch, der Ball kam zu Teber, der sofort zu Meier passte. Owomoyela trat über den Ball und im Fallen gefühlvollte Alex Meier die Kugel zur erneuten Eintrachtführung ins Dortmunder Herz. Wahnsinn, wir drehten schier durch, von den Dortmundern war jetzt nichts mehr zu hören, umso mehr von uns. Wo ist denn die gelbe Wand donnerte es durchs Stadion und Eintracht, Eintracht. Und tatsächlich, es galt zwar noch ein paar bange Minuten zu überstehen, die Dortmunder verließen in Scharen das Stadion - aber dann war es vollbracht. Der erste Auswärtssieg beim BVB seit 19 Jahren war Wirklichkeit geworden - und zum ersten Mal musste ich meiner Dortmunder Freundin Susi nach einem Spiel hier nicht gratulieren.
Wie geil.
Franz hüpfte vor Freude wie Rumpelstilzchen auf dem Acker herum und wir skandierten Auswärtssieg - nicht als Wunsch, sondern als Gewissheit.
Wie geil.

Wir blieben noch eine ganze Weile im Stadion, genossen das seltene Gefühl des Triumphes und freuten uns über die Rache der Eintracht an Emma. Kein Maskottchen der Welt haut mir ungestraft auf den Hintern. Danke Eintracht.

Auf dem Rückweg warteten lange Schlangen auf den Einlass zu Rammstein, wir verschenkten ein paar Blättchen an ein paar Dortmunder denen zunächst gar nicht auffiel, dass wir Frankfurter sind und marschierten gut gelaunt Richtung Auto. An der U-Bahnstation enterten die Frankfurter den Eingang, ein paar Dortmunder pöbelten von Oben herunter und einer davon war gerade dabei seinen Schniedel auszupacken, als ihm Pia zurief: Lass mal stecken. Der Rudeboy gehorchte aufs Wort.

Kalt war's nur außen, innen wärmte das Glück über einen unerwarteten Auswärtssieg. Der Golf parkte noch brav dort, wo wir ihn verlassen hatten; wir warfen die Jacken auf den Rücksitz und starteten durch. Kurz vor der Autobahn staute sich der Verkehr, doch schon bald ging es zügig weiter. Dunkel die Nacht, die Lichter der Gemeinden neben der Autobahn funkelten wie Glückssterne in die Finsternis, während wir zufrieden als Sieger durchs Siegerland rauschten. Wir überholten hupend den Bus des EFC Stadtallendorf, drehten einem Dortmunder Fanbus eine lange Nase, überquerten die Grenze zu Hessen und sangen zur Musik von Cock Sparrer It's time to make your move.

Frankfurt hatte uns gegen Elf wieder. Zu allem Überschwang hatte ich im Tippspiel des Blog-G das erste Mal den Tagessieg errungen. Ein geiler Tag. Pia konnte sich gar nicht mehr einkriegen, im DSF lief die Zusammenfassung des Spiels und sie hüpfte durch die Wohnung: Wie geil.

Genau das war es.



Fotos: Pia und Beve