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Sonntag, 17. Mai 2009

Ein kleines bisschen Horrorshow - Ralf Weber im Museum der Frankfurter Eintracht


182 Bundesligaspiele, 32 Zweitligaspiele, 21 Europapokaleinsätze, neun Länderspiele und eine defekte Kamera
- dies ist die nüchterne Bilanz eines Spielers, der das Trikot der Eintracht von 1989 bis 2000 trug und im Jahre 2001 nach etlichen Verletzungen seine Karriere beenden musste.

Ralf Weber, gekommen aus dem Nachbardorf nach deren Lizenzentzug, war lange Jahre eine verlässliche Größe bei der Eintracht - und sein Zorn nach dem nicht gegebenen Elfmeter in der Partie bei Hansa Rostock am letzen Spieltag der Saison 91/92 ist ebenso legendär, wie der Tritt gegen eine Fernsehkamera nach Spielende.

Ralf Weber und Rostock. Ein kleines bisschen Horrorshow war bezeichnenderweise der Titel der Veranstaltung im Museum anlässlich des 17. Jahrestages jener denkwürdigen Ereignisse im Mai 1992. 12.000 Frankfurter hatten sich in Richtung Ostsee aufgemacht, um den ersten Meistertitel nach 1959 zu feiern, Tausende trafen sich in Frankfurt am Paulsplatz zur Live-Übertragung - übrig blieb ein Tränenmeer - und Ralfs Tritt gegen die Fernsehkamera von Klaus Thermann, der sich zudem noch dabei ein blaues Auge einhandelte. Es war der Moment, in dem Ralf Weber in Frankfurt angekommen war.

Er, der lange Zeit als der Offenbacher im Team galt und immerhin 50 Zweitligaspiele für die Kickers gemacht hatte, spielte in der Jugend zusammen mit Uwe Bindewald auf der anderen Mainseite. Zico begriff schnell und wechselte noch in der A-Jugend zur Eintracht, Ralf folgte zwei Jahre später. Er sollte seine Entscheidung nicht bereuen.

An die 80 Eintrachtler fanden sich am 15.05.2009 im Museum der Frankfurter Eintracht ein, um mit Ralf Weber vor allem jenen dramatischen und traumatischen Tag im Mai 1992 zu beleuchten. Pia verteilte vorsorglich Baldrianpillen unter den Gästen und Matze bereitete uns schonend auf die Ereignisse vor: Es begann mit einem von Frank Wagner zusammengestellten und mit dem Song der Toten Hosen untermalten Zusammenschnitt der wichtigsten Szenen des Spiels: Möller fällt, Hoffmann hält, Dowe trifft, Weber flankt, Kruse trifft, Böger foult, Berg pfeift nicht, Weber tobt, Manni hält ihn zurück, Edgar trifft den Pfosten, Böger trifft, Berg pfeift ab, Weber verzweifelt, Entsetzen.

Ralf hatte sich die Bilder (im Gegensatz zu Uwe Bindewald) bislang hunderte Male angesehen, und es hatte lange gedauert, bis er ansatzweise darüber hinweggekommen ist - heute arbeitet er als Spielbeobachter bei der Eintracht, die charakteristische Lockenmähne ist einer flotten Kurzhaarfrisur gewichen und er präsentierte sich im Museum locker und schlagfertig, Fan-nah sowieso.

Die Nähe zu Schiedsrichter Alfons Berg aus Konz, der den wohl klarsten Elfer der Bundesligageschichte nicht gepfiffen hatte, hatte er auch später nie gesucht - mit Klaus Thermann, dem Kameramann, hingegen gab es eine Aussprache - und Jahre später hatte eine Versicherung sogar den Schaden ersetzt. Ein Schlussstrich allerdings wird unter Rostock 1992 nie gezogen werden, zu dicht war die Eintracht am Titel, zu groß die Enttäuschung.

Hatte es die Eintracht eine Woche zuvor nicht geschafft, Europapokalsiegestrunkene Bremer zu besiegen, (ein klarer Elfer, verursacht von Eilts an Bein, wurde nicht gepfiffen) so hatten sie es in Rostock dennoch in ihren eigenen Händen, den Titel an den Main zu holen, da auch der VfB Stuttgart am vorletzten Spieltag gegen Wattenscheid nicht über ein Remis hinausgekommen war. Somit standen am letzten Spieltag drei Teams punktgleich an der Spitze: die Eintracht, der VfB und Borussia Dortmund.

Viel ist spekuliert worden, weshalb es nicht geklappt hat. Der Ausnahmefußballer Andreas Möller stand seit Wochen zusammen mit Manager Gerster in Verhandlungen mit Juventus Turin (es drang die Nachricht durch, dass die Siegprämie für den Titel 40.000 D-Mark betragen sollte, alleine Möller hätte 200.000 Mark bekommen); Uwe Bein spielte seit Wochen unter Schmerzen, Andersen wurde vor der Partie auf die Tribüne verbannt (was auch Weber nicht verstehen konnte) und für den verletzten Heinz Gründel, den zuvor wieder aufgenommenen Rebellen, rutschte der junge und überforderte Frank Möller in die Anfangsformation.

Andreas Möller und Uwe Bein waren Totalausfälle, Weber und Falkenmayer rannten sich die Lungen aus dem Leib und der VfB Stuttgart bekam in Leverkusen einen Elfmeter geschenkt; Elfmeter, welche Weber in den letzten Spielen mehrmals verweigert wurden; und das Original der Meisterschale, die traditionell beim Spiel des Titelaspiranten Nummer eins (Tabellenführer war vor der Partie Eintracht Frankfurt) auf die feierliche Übergabe wartete, blickte in Leverkusen auf den VfB Stuttgart. Rostock, die übrigens während der Saison beide Konkurrenten der Eintracht im Ostee-Stadion besiegt hatten (Dortmund mit 5:1 und die Stuttgarter mit 2:0) waren entgegen vieler Annahmen vor Spielbeginn noch nicht abgestiegen - bei entsprechenden Ergebnissen auf den anderen Plätzen hätten sie die Liga halten können. Und sie begannen die Saison als letzter DDR-Meister mit Spielen in der Championsleague gegen Barcelona, die sie zuhause mit 1:0 schlagen konnten.

Öri, der zusammen mit Matze Thoma im Buch: Das Rostock-Trauma die Ereignisse jener Zeit aufgearbeitet hatte, schilderte noch den ein oder anderen Aspekt, der den Glauben an eine Verschwörung gegen die Eintracht nährte. So war die Schiedsrichteransetzung des letzten Spieltages ebenso dubios, wie die eidesstaatliche Erklärung eines unterklassigen Schiedsrichters, der im Krankenhaus von einem Linienrichter des Rostock-Spiels erfahren haben wollte, ... dass die Eintracht gar nicht Meister werden könne. Eine Boulevardzeitung nahm sich der Sache an, titelte nach dem Tag der Entscheidung mit Der neue Bundesligaskandal - und doch verliefen die Recherchen, weshalb auch immer, im Sand.

Erstaunlicherweise versagte Schiedsrichter Hans Peter Dellwing der Eintracht beim Spiel gegen Stuttgart nach einem Foul an Weber einen glasklaren Elfer. Jener Dellwing, der dem VfB Stuttgart am letzten Spieltag einen Elfer schenken sollte. Dellwing kommt aus Trier. Alfons Berg, der nach Studium der Fernsehbilder des Rostock-Spiels sichtlich mitgenommen zugab, dass Bögers Foul an Weber ein Elfer war, stammt aus Konz. Bei Trier.

Zu jener Zeit allerdings sollten weitere zwei Jahre folgen, zunächst mit Stepanovic (der laut Weber durch das Team zum Erfolg kam und nicht umgekehrt) später mit Toppmöller, in welchen die Eintracht am Titel kratzte: Vor allem der Saisonstart 93/94, der mit 20:2 Punkten einen Sturmlauf an die Spitze brachte nährte die Hoffnung auf den Titel - bis sich Yeboah schwer verletzte - und die Eintracht nach Toppmöllers Bye-Bye Bayern einbrach - und am Ende ohne Titel, ohne Toppmöller und ohne Stein dastand.

Eine Entwicklung, an der Ralf Weber nicht ganz unschuldig war, wollte er sich doch die Attacken des legendären Torhüters nicht gefallen lassen und hatte sich zusammen mit Manni Binz beim Präsidium beschwert; es kam zur Einzelbefragung der Spieler, welche die Entlassung Steins zur Folge hatte und den Abschied von Toppmöller, der sein Schicksal an das von Uli Stein knüpfte. Weber, der sich selbst heute für damals eine gewisse Naivität bescheinigte, konnte die dramatischen Folgen nicht absehen - und wurde dennoch zum Buhmann bei den Fans.

Im ersten Heimspiel Webers ohne Stein gegen den HSV wurde er seitens der Kurve als Offenbacher Arschloch betitelt - als Reaktion darauf schoss er den Ausgleich für die Eintracht und reckte beide Mittelfinger in die Luft, die Kurve tobte.

Eine Woche später reiste die Eintracht nach Köln, der letzte Spieltag der Saison. Weber war natürlich das Feindbild - und für ihn war klar: es ist sein letztes Spiel für die Eintracht. Prompt erzielte er einen Treffer und bereitete zudem ein Tor vor. Als er dann in der 87. Minute mit einem Nasenbeinbruch ausgewechselt wurde, war die Kuve wieder versöhnt: Raaalf Weeeber schallte es von den Rängen - und Weber blieb der Eintracht erhalten.

In der Abstiegssaison 95/96 konnte er verletzungsbedingt kein einziges Spiel bestreiten, auch im ersten Zweitligajahr sollte er nur in den beiden letzten Partien zum Einsatz kommen. Immerhin. Hatte Weber zwischen 1994 und 1995 neun Länderspiele für Deutschland gemacht (und keines davon verloren) so kosteten ihn jene Verletzungen vor allem am Sprunggelenk auch die Karriere im DFB-Dress.

Vielleicht haben wir erst mit dem ersten Abstieg der Eintracht realisiert, welche Chance in Rostock vergeben wurde - Das Trauma wurde fleischgewordene Wirklichkeit.

Erst im der Saison 97/98, als sich die Eintracht unter Horst Ehrmantraut zurück in die Bundesliga spielte, war Weber wieder richtig mit an Bord. Weber, Bindewald, Schur, Nikolov, Zampach, Brinkmann, Ehrmantraut - noch heute zaubern diese Namen fast jedem Eintrachtler ein Lächeln ins Gesicht - und dies, obwohl die meisten von ihnen nicht an die Klasse etlicher anderer Kicker heranreichten. Aber sie waren Typen, gaben alles und wurden belohnt. Dem Aufstieg folgte der sensationelle Klassenerhalt im Jahr drauf, den Ehrmantraut allerdings nicht als Trainer der Eintracht erlebte. Ihm folgten Reinhold Fanz und Jörg Berger, der das Wunder vom Main realisierte.

Auf Berger folgte Magath - und die Meinung der Spieler über ihn ist einhellig, Respekt vor der Leistung und dem Klassenerhalt 99/00 aber völlige Zustimmung zu Bachirou Salous Satz: Der letzte Diktator Europas.

Magath nahm später Webers bevorstehende Operation achselzuckend zur Kenntnis und verweigerte ihm auch die Kapitänsbinde: Das Spiel gegen Schalke am 26.03.2000 war das letzte Spiel von Ralf Weber im Trikot der Frankfurter Eintracht; mehere Operationen zwangen Ralf dazu, im Sommer 2001 seine Karriere zu beenden. Der Kapitän ging von Bord.

Verabschiedet wurde der passionierte Angler mit großem Applaus im strömenden Regen in Wetzlar bei seinem Abschiedsspiel im Sommer 2002 - und auch bei seinem Besuch im Eintracht-Museum im Frühling 2009. Noch lange blieb er nach dem offiziellen Teil im Museum, unterhielt sich mit den Fans und schrieb Autogramme - und mir bleibt nichts anderes übrig, als Ralf und euch für den wieder einmal gelungenen Abend zu danken.

Weiter geht's am 28.05., wenn die Erinnerungen an den letzten Spieltag der Saison 98/99 geweckt werden - damals, als Jan Aage Fjörtoft mit seinem Übersteiger das 5:1 gegen den 1.FC Kaiserslautern erzielte - und die Eintracht in der Liga hielt. Natürlich mit Ralf Weber.


Das Foto von Ralf Weber stammt von Stefan Krieger. Danke.

5 Kommentare:

  1. Danke, Beve. So war ich ja doch noch irgendwie dabei. :-)

    Waren es also sogar beide Mittelfinger, ich hatte nur einen in Erinnerung. Na ja, ist lange her, Schwamm drüber.

    Aber der Rauswurf von Uli Stein tut mir heute noch weh. Wie immer er auch intern gewesen sein mag: Er war auch ein "Typ".
    Vielleicht vom Ehrgeiz besessen oder gar zerfressen, aber auch deswegen mir nahe: Ich kann (mittlerweile) zwar verlieren, aber ich will nicht.

    Niederlagen müssen dir weh tun. Und wenn du mit dieser Einstellung auf den Platz gehst, tust du alles, um diesen Schmerz zu vermeiden.

    Gruß vom Kid

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  2. Moin Kd,

    Mich schmerzt der Rauswurf von Stein heute auch noch. Aber Weber würde die Sache heute wohl anders angehen.

    "Niederlagen müssen weh tun" - das gilt auch für Fans

    schön, dass du doch dabei warst und viele Grüße

    Beve

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  3. Ein klasse Abend!
    Die Maus und das Shirt der Therapiegruppe sind kultig -fehlt nur noch der Zement!
    Ich freue mich auf Uli Stein im Museum 8)

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  4. Danke für den Bericht und die sympathischen Eindrücke von Ralf Weber (den ich sehr, sehr schätze und mag!). Das bisschen Horrorshow im Museum wird im Moment leider übertrumpft von mehr als einem bisschen Horrorshow im Stadion selbst. Wer hätte das gedacht, dass selbst der Blick zurück auf diesen schrecklichsten aller Eintracht-Tage aus heutiger Sicht fast etwas… idyllisches hat.

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  5. "... fast etwas idyllisches hat ..."

    wartet, wie ihr die heutige zeit rückblickend betrachtet :-)

    auf uli stein freut sich die maus auch ;-)

    bis bald

    beve

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