Seiten

Freitag, 13. März 2009

Der Kopf stinkt vom Fisch her


Warum hab ich bloß den Bullen erschossen
er hat mir doch gar nichts getan
ich war weder stoned, noch war ich besoffen
das Grün brachte mich so in Wahn
...

... sang Marius Müller Westernhagen im Jahr 1982 im Song Ich hab keine Lust mehr im Regen zu steh'n; am 13. März 2009 tönten die Worte aus dem offenen Fenster des silbernen Golfs, der durch die ersten zaghaften Frühlingssonnenstrahlen durch Frankfurt tuckerte. Die Mädchen auf den Straßen trugen Sonnenbrillen und die ersten Krokusse schoben sich aus der Erde, als Pia und ich in Niederrad nahe unseres Lieblingsimbiss parkten. Die Besitzerin grüßte freundlich wie immer und wir orderten vier Burger inclusive Getränke und futterten bald zufrieden auf Bierbänken sitzend gut gelaunt unsere Frühlingsburger. Ein kleiner Lieferwagen bog um die Ecke und hupte kurz auf, wir erkannten am Steuer Tristan, im wahren Leben Eintrachtfan und - Schornsteinfeger, wir winkten zurück und freuten uns zum einen über die kleine Begegnung und zum anderen über das kleine Symbol des Glücks, welches uns der liebe Gott mirnichtsdirnichts vorbei geschickt hatte.

Pappsatt marschierten wir zum Golf und rollten durch Niederrad in Richtung Stadion, vorbei am Union-Sportplatz und schon fuhren wir durch Tor 3 und parkten vor dem Museum. Auf dem Trainingsplatz erkannten wir unseren Kapitän Ioannis Amanatidis, der zusammen mit Reha-Trainer Farbacher und vor allem mit einem Ball trainierte, vorbei die Zeit, als er mit Krücken an der Seite stand. Im Museum packte die Praktikantin Geburtstagspäckchen für anstehende Kindergeburtstage; wir sagten Hallo, tranken einen Kaffee, begrüßten Stefan, der mit seinem uralten Golf samt nagelneuer TÜV-Plakette und funktionierender Fahrertür angerollt kam und während Pia und Stefan bei einer Zigarette unserem Captain bei der Arbeit zusahen, fidelte ich kurzerhand Matze im Tischfußball mit 10:6 ab. All zu oft darf ich dies nicht machen, ich müsste mir sonst einen anderen Job suchen. Aber Matze nahm's sportlich.

Wir verließen vorerst das Museum, denn die Jungs unserer Eintracht trudelten peu a peu auf dem Trainingsplatz ein. Auch Peter war schon anwesend - und hatte vorgehört. Es scheint hoffnungslos, ein Teil der Kibitze war sich sicher, dass die Eintracht morgen mit 0:5 untergeht und überhaupt, der Fisch stinke vom Kopf her, spätestens zum Jahresende müssen alle weg und so weiter und so fort; manchmal stellt sich ja durchaus die Frage, wie es so mancher Zeitgenosse über die Runden schafft, so ohne einen Funken Selbstironie, ohne Spaß an der Sache; aber just diesen wollten wir uns nicht nehmen lassen. Auch wenn das Leben manchmal kompliziert ist, die deutsche Sprache ist es sowieso. Die Mehrzahl von Globus lautet bekanntlich Globen. Und die Mehrzahl von Krokus? Mitnichten Kroken, nein, es sind die Krokusse. Ähnlich wie bei Bus; auch dort heißt es nicht Ben sondern Busse. Oder aber Kuh - Kühe. Wer jetzt denkt die Mehrzahl von Schuh würde Schühe lauten ist ebenso schief gewickelt wie derjenige, der denkt Mühe wäre der Plural von Muh. Nunja, zurück zum Sport.

Während sich Pia ob der Waden von Kweuke gar nicht mehr einkriegen sollte, gesellten sich die beiden Ulis zu uns und gemeinsam stellten wir fest, was nur emsigen Trainingsbeobachtern auffällt. Pröll hatte sich die Haare gefärbt und Spycher neue Strähnchen, sah für Fußballer recht flott aus - ein wenig unpassend finden wir generell nur die Stutzen, durch welche die Waden leicht durchschimmern, das hat sowas von Nylonsocken für Männer - eher uncool.

Andi Menger wummste den Torhütern Pröll und Nikolov ein paar Bälle um die Ohren, dass man glauben konnte, unser Torwarttrainer sei der beste Standard-Schütze der Eintracht - vielleicht sollte er mal mit den Buben Ecken üben. Weiter hinten stand ein Mann mit verschränkten Armen und bewegte sich nicht; nein es war nicht Bellaid sondern unser erster Übungsleiter, der beiläufig den ganz in schwarz gekleideten jungen Männer beim Spiel zuschaute. Nein, nicht unseren Ultras, unserer ersten Mannschaft, die heute ohne Liberopoulos und Ochs trainierte. Auch die Herren Toski, Preuß und Vasoski fehlten schriftlich entschuldigt, während Krük und Zimmermann wohl bei der U23 weilten. Der Herr Caio trug Handschuhe bei frühlingsmilden Temperaturen und der Herr Kweuke ganz kurze Socken zu roten Kickschuhen. Ümit Korkmaz bevorzugte laubfroschgrünes Schuhwerk und Zlatan Bajramović eine schwarze Mütze. Überhaupt Bajramović , er lachte während des gesamten Trainings ein ums andere Mal, ob dies allerdings an den Handschuhen von Caio lag, ist nicht übermittelt.

Es folgte eine Trainingseinheit, die wir Spielzug nannten. Einzelheiten verrate ich hier nicht, nicht dass es morgen gegen 17:20 heißt, ich hätte unserem Gegner intimste Geheimnisse ausgeplaudert - und sei fortan Schuld für Geheimtraining ohne Zuschauer. Am Rand des Platzes standen einige Vertreter der schreibenden Zunft, die wir mit einem herzlichen deutsche Presse halt die Fresse begrüßten.

Nein, machten wir natürlich nicht, wir beobachteten eine wunderschöne Choreografie unserer Mannen, diesmal aus der Disziplin Synchrontorschleppen. Jeweils vier Spieler an einer Seite trugen im Gleichschritt ein Tor zu einer Linie, drehten sich formvollendet und setzten das Tor punktgenau auf die Linie, das macht uns so schnell keiner nach; die Bewegungen gingen derart geschmeidig ineinander über, da merkt man erst die Handschrift des langjährigen Trainers, der sich später tatsächlich bewegte.


Es folgte ein munteres Trainingsspielchen, wo zunächst ich selbst durch ein butterweiches Ballzurückspiel auffiel, nur wenig später schaffte Stefan ein gleiches noch eleganter, was ihm spontanen Szenenapplaus einbrachte, den er huldsam wie eine Königin entgegen nahm.

Fink schoss einen wunderbaren Treffer, der uns zu wahren Begeisterungsstürmen hinriss, Kweuke guckte doof, wenn Pröll "Leo" rief und Sebastian Jung schleppte später die gelben Männchen übers Grün, während sich Chris einen Ball unter sein Leibchen steckte derweil er noch ein paar Flanken schlug; sage einer, die Buben hätten den Ernst der Lage nicht begriffen.

Unser Trainer hatte sich im Laufe des Tages nicht nur bewegt, nein: er hatte sogar gesprochen. Nah bei nah stand er mit Nikolov beisammen und plauderte mit ihm, wir können nur raten, was er gesagt hat, vielleicht sowas wie: Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass du morgen spielst. Wenig später legte er jovial den Arm auf die Schulter unserer Nummer 11 und zeigte Menschlichkeit, wie sonst nur im Kölner Karneval. Was er zu Korkmaz sprach ist ebensowenig überliefert, wie die Worte zu Oka. Könnte es gewesen sein, dass er zu unserem Außenflitzer gesagt hat: Österreicher von Beginn an? Nicht solange ich Trainer bei Eintracht Frankfurt bin. Und könnte Ümit geantwortet haben: Naja, die zwei, drei Wochen kann ich es verschmerzen.

Nein, das ist bloß erfunden, lasst euch nicht veräppeln.

Später wollte der freundliche Zlatan Bajramović unbedingt noch ein Bild mit uns machen; selbst wenn wir geschlaucht vom Training sind, müde vom sich zum Abend neigenden Tag finden wir immer noch ein Minütchen, um auf die Wünsche der Spieler einzugehen; Pia knipste und ist also gedanklich dort zu finden, wo im Moment eure Augen sind.


Kurz danach kam sogar noch Kid vorbei, er hatte dem Museum einen kurzen Besuch abgestattet und wir unterhielten uns ein bisschen über die wenig erfreuliche Situation des Internetforums der Frankfurter Eintracht und über den Ausblick für das morgige Spiel. Sehr erbaulich war dabei die Information, dass Trainer Rangnick seinerzeit wegen der Trennung AG-e.V. nicht zur Eintracht wollte, da er keinerlei Verfügungsgewalt über den Nachwuchs haben sollte. Also, am Geld hat es damals nicht gelegen. Niemals.

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.

Kid will morgen unbedingt gewinnen - und da ich der gleichen Ansicht bin, kann ja nun nichts mehr schief gehen. Während Uli telefonisch noch eine Karte erstehen konnte, machte sich der andere Uli vom Acker, auch Stefan verließ uns und so marschierten Pia, Kid und ich zurück ins Museum, wo Matze und Billy gerade dabei waren diverse Exponate an der Wand zu verdübeln, jener Matze der unlängst von Henni Nachtsheim zum Trainer der Eintracht geadelt wurde.

Matze legte eine DVD ein, welche Filmaufnahmen unserer Kurve während des Pokalendspiels in Berlin 2006 zeigte, jener Höhepunkt der letzten Jahre, der heute in dieser Art undenkbar ist; zuviel ist geschehen, zuviele tummeln sich im vierten Jahr der Erstklassigkeit der Eintracht im Umfeld, deren Ansprüche weit über das bestehende hinausgehen; der Zusammenhalt, der uns über Jahre hinweg mehr oder weniger auszeichnete, ist passé.

Für Kid hatten die Szenen natürlich eine besondere Bedeutung, sah er dieses Spiel doch mit seinem Neffen Marcus, der tragischerweise im letzten Jahr gestorben ist; ihm gingen die Bilder sichtlich nahe und er verabschiedete sich traurig von uns.

Als der Auftritt Tankards gezeigt wurde, durchliefen mich nicht nur Schauer der Erinnerung sondern mir flossen tatsächlich einige Tränen die Wangen hinab. Die Erinnerung an die Tage in Berlin, die Traurigkeit Kids und der erlebte Tag forderten ihren Tribut.

Nebenbei gewannen wir dann doch noch den DFB Pokal und verabschiedeten uns von Matze, der morgen wie wir alle im Stadion sein wird, wenn die Eintracht souverän und in dieser Höhe auch verdient die Emporkömmlinge der TSG Hoffenheim mit 4:1 nach Hause schickt.

Auf dem Rückweg konnten wir aus den Augenwinkeln den Mannschaftsbus der Mannschaft entdecken, die in meinen Augen sozusagen die Silikonbrüste des deutschen Fußballs sind.

Im CD-Player lief ein Lied des leider auch schon verstorbenen Georg Danzer mit dem Titel Weiße Pferde; es begleitet mich schon etliche Jahre und es ist ein wunderbarer Song, der mich immer wieder zu Tränen rührt. Irgendwie passte er zur Heimfahrt, Berufsverkehr auf der A3, Pendler, Handwerker, das wirkliche Leben. Kühl ist es geworden. Aber morgen scheint die Sonne, da bin ich sicher.


5 Kommentare:

  1. Tränen trocknen schnell, singt Fendrich. Das stimmt aber nur, wenn sie irgendwann aufhören zu fließen. Erinnerung is nua a Rafenspur im Sond, der Wind waht´s zua und vü zu fruah, host´as nimma in da Hand, singt Fendrich weiter und irrt. Die Erinnerung ist und bleibt das Paradies, aus dem mich keiner vertreiben kann. Auch ein trauriges Paradies bleibt nun mal ein Paradies.

    Heute musste ich weinen, morgen will ich es. Es sollen Tränen der Freude sein: Ich will gewinnen.

    Daran glaube ich noch. Und an meinen Hinterhofkinderinstinkt. Daran, an den Kampf, an die Liebe und die Freundschaft.

    Danke, Beve.

    Kid

    AntwortenLöschen
  2. Klasse Bericht. Muss ich doch gleich mal verlinken.

    AntwortenLöschen
  3. Ffm60ziger:

    Waren toller Eindrücke beim Training und eingebundenen Synchrontorschleppen , . Die Hoppenheimer Kiebitze hatten bestimmt viel zu berichten

    AntwortenLöschen
  4. Als Hesse in der fernen Pfalz kommen einem doppelt die Tränen. Ob der Distanz zu diesem Geschehen. Wenn man doch schon Rentner wäre mit Zeit !
    Aber heute !! SGE !!

    AntwortenLöschen
  5. Danke für diesen Bericht, Beve & auch aus Berlin alle Unterstützung beim Zubereiten der heutigen Fischsuppe. Wenn auch mit einer Träne im Auge. Aber nur ob der Entfernung & dem Nicht-dabeisein-können.

    Viele Grüße aus dem Exil & Heimsieg!,
    Fritsch.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.