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Freitag, 24. Oktober 2008

Ein letzter Rundgang


Einen Tag vor der Eintracht-Partie in Cottbus findet die Riederwald-Abriss-Party statt.
Ein großes Medienaufgebot filmte schon am Nachmittag das Gelände, fotografierte und notierte emsig all die kleinen und großen Anekdoten, die der Riederwald seit 1952 erlebt hatte. Zu diesem Anlass hatte Eintracht Frankfurt das teilweise arg heruntergekommene Gebäude für seine Verhältnisse optisch herausgeputzt oder auch herausputzen lassen - man hätte sich gewünscht, diese Idee wäre schon Jahre früher in die Tat umgesetzt worden, jetzt am letzten Tag nutzt es nicht mehr denen, die den Riederwald belebten und vor allem sportlich nutzten, sondern eher jenen, die sich heute Abend feiern lassen. Ich werde nicht dazu gehören, aber dies ist eine andere Geschichte.

Gegen 14:00 quälten sich Pia und ich durch den freitagnachmittaglichen Verkehr, zöckelten im Stopp and Go durch die stets überlastete Straße Am Erlenbruch und bogen auf das Riederwaldgelände ein. Auf der kleinen Wiese parkten wir und durchschritten das Willkommensschild der Frankfurter Eintracht.


Zu unserer Überraschung wurde das seit ein paar Jahren weiß daherkommende Verwaltungsgebäude in den letzten Tagen mit großflächigen Grafittis besprüht, die Sprayerfraktion der Ultrás durfte sich verewigen und die Bilder werden uns sicher medial begegnen. Zum Beispiel hier im Blog:


Schön, gell - wie gesagt, man fragt sich, weshalb dies nicht schon vor Jahren geschehen ist.

Ein großes Zelt vor der alten Hütte, die in den letzten Jahren als Ersatz für die schon lange geschlossene Gaststätte gedient hatte, harrte der Dinge und vor allem der Menschen, die sich im Laufe des Tages hier einfinden werden. Einer, der auf jeden Fall da ist, ist Matze Thoma. Das muss er auch, denn Matze ist nicht nur der Leiter des Eintracht-Museums im Waldstadion (welches heute auf Grund des abendlichen Zweitliga-Spiels des FSVs sowieso geschlossen war) sondern auch unser Führer für die heutigen finalen Führungen durch den Riederwald.

Pünktlich um 14:30 trafen wir am Treffpunkt ein, Matze war schon da, auch Billy Ott (der selbst hier Ende der Sechziger bei den Amateuren gespielt hat) sowie dessen Herzallerliebste Karin (welche einst mit Kinderwagen dem jungen Billy zuschaute) sind anwesend und auch Roland Gerlach, der schon 1965 hier als kleiner Bub Autogramme gesammelt hat; Loy, Höfer, Lindner trainierten hier zur damaligen Zeit und der junge Roland, der morgen auch in Cottbus sein wird, so wie er immer anwesend ist, wenn die Eintracht spielt, himmelte seine Helden an, noch bevor er im Waldstadion zu Gast war. Wir waren ein munterer Trupp, Ultrás und Rentner, alte Hasen und neue Gesichter und marschierten zu den rückwärtigen Eingängen an der Pestalozzi-Schule, um auf dem Wall einen Blick über das Stadiongelände zu erhaschen.


Wir wurden daran erinnert, dass der ganz alte Riederwald von 1920 bis 1943 noch an anderer Stelle lag, nämlich am heutigen Metro-Gelände.


1936 brannte die Holztribüne nieder. Im Krieg zerstört, wurden Trümmer auf ihm abgeladen - er ward nicht mehr nutzbar und so zog die Eintracht 1952 zum derzeitigen Platz, dessen Attraktion zunächst ein selbsttragendes Spannbeton-Tribünendach war. Keine tragenden Säulen störte den Blick auf das Spielfeld, jedoch schaffte es Eintracht Frankfurt zunächst nur den Mittelteil des Daches zu finanzieren, die enorme Spende von 50.000 $ aus der Amerikareise 1951 reichte nicht zu mehr. Erst durch hohe Zuschauereinnahmen aus den Endrundenspielen 1953 füllten sich die Kassen, so dass die Dachanbauten links und rechts finanziert werden konnten. Vom Flutlichtpokalsieg 1957 über hunderte Oberligaspiele bis hin zum endgültigen Abriss der einstmals so stolzen Tribüne 1989 sah der Riederwald eines nicht: Die ganz großen Spiele der Eintracht. Die gingen im Waldstadion über den Rasen, die Endrundenspiele 1959 und die Europapokalpartien 1960. Auch die Bundesliga war hier nie zu Gast; mit deren Einführung 1963 wanderten die Profis ins Waldstadion. Trainiert wurde jedoch bis 2001 hier.


Während Matze kenntnisreich die Historie erläuterte, näherte sich uns leise ein älterer Herr, den ich sogleich als ehemaligen Eintracht-Trainer Dietrich Weise erkannte. Freude öffnete mein Herz, da ich Herrn Weise bei einer der schönen Veranstaltungen im Museum kennengelernt hatte, wo er sich als ebenso leidenschaftlicher wie liebenswerter und kluger Mensch präsentierte.

Dietrich Weise - Billy und Karin Ott

Der Pokalsieger-Trainer von 1974 und 1975 sowie Vater der Weise-Bubis begleitete uns fortan auf dem Rundgang und ließ es sich nicht nehmen, aus seiner Vergangenheit zu erzählen, damals als Dr. Peter Kunter noch regelmäßig und vor allem freiwillig seine wöchentlichen Sprungübungen in der Sandgrube machte, ohne die er nicht spielen wollte.

Dort, wo heute die U-Bahnen der Stadt Frankfurt rangieren, lagen zu seiner Zeit die Plätze des damaligen Hockey-Bundesligisten Eintracht Frankfurt, unantastbar für die Fußballer, deren Trainigsbedingungen schon damals eines Fußball-Bundesligisten nicht würdig waren. Die Reste der Stehpätze sind noch auf der Rückseite der Kurve zu erkennen. Und so kam es, dass die Fußballer der Frankfurter Eintracht sich morgens in aller Frühe auf die Hockeyplätze schlichen und aufpassten nicht beim Training erwischt zu werden.

Der junge Armin Kraaz trainierte am Kopfballpendel verbissen seine Kopfballstärke und dieser Aufwand wurde belohnt, Armin wurde von Weise in die Bundesliga beordert, nicht zuletzt ob seiner Kopfballstärke. Trainer Weise meinte, dass dies heute wohl nicht mehr so trainiert würde: Die können das wohl alle, sagte er nachdenklich. Als wir über die Laufbahn in Richtung Hauptgebäude marschierten, nahm mich Herr Weise beiseite: Von Zeit zu Zeit gehe er noch ans Kopfballpendel, um zu sehen, ob der Rasen darunter abgenutzt sei, ein untrügliches Zeichen für dessen Benutzung; allein: der Rasen sei stets grün.


Wir liefen zurück zur Vorderseite und gingen in die ehemaligen Kabinen. Alte Fußballschuhe lagen umher und an der Tür hing ein Foto der Seele des Riederwaldes, wie Kid den langjährigen Stadionsprecher und Schiedsrichterbetreuer Kurt Schmidt einst benannte.

Hinter den Kabinen lagen die Entmüdungsbecken, schon lange unbenutzt. Wurden die Trikots der Eintrachtler in frühen Jahren Jahren noch von den Spielern selbst gepflegt, so hat Zeugwart Toni Hübler später hier die Bekleidung gewaschen.


Blitzlichter flammten auf, auch als wir in den hinteren Teil Richtung Sauna marschierten; marode und vergammelt das ehemalige Kleinod, wo sich die Herren Pfaff und Kreß erhitzten. Noch heute war es derart warm hier unten, dass man hätte meinen können, ein letzter Meisterspieler schlurfe gleich mit einem Handtuch an uns vorüber.


Hochmodern war auch dieser Teil des Riederwaldes zu Beginn seiner Ära. Damals, als die Spieler noch genau zwei Paar Fußballschuhe besaßen: Noppen für den harten Platz und Stollen für den tiefen Rasen. Heute bräuchte man mindestens noch ein paar Handschuhe, wollte man das kalte Wasser in die Becken laufen lassen.


Es war schon recht schaurig in den Kabinen und dem sportlichen Bereich, in dem sich die U23 noch bis zum heutigen Tag bewegte. An den Wänden hingen Motivationssprüche für die Spieler, in den Spinden das notwendige Haargel - und es ist schier unvorstellbar, was sich Gastmannschaften in den letzten Jahren für ein Bild von Eintracht Frankfurt e.V. machen mussten, immerhin von 1945-63 durchgängig Oberligist und anschließend Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga. Verfall in allen Steinen. Dietrich Weise betonte, dass auch bei seinem zweiten Engagement bei der Eintracht etliche Ostblockvereine daran interessiert gewesen seien, in Deutschland, dem kapitalistischem Vorzeigeland, Erfahrungen zu sammeln, was den West-Fußball anginge. Da der DFB in Frankfurt sitzt, lag es nahe, den Riederwald zu besichtigen, was für die Eintracht (mit dem Wissen um den Verfall) zu Peinlichkeiten führte. Anders dürfte es in Sofia oder Tirana auch nicht ausgesehen haben.



Matze erzählte noch die Geschichte des Karlchen Schildger, einem kleinen, etwas korpulenten Eintrachtunikums, der quasi von Beginn an zum Inventar gehörte. Karlchens Vorstellung von seinem Ableben bestand darin, dies am Riederwald zu tun - und der liebe Gott hatte ihn erhört. Eines Tags im Jahr 1960 legte sich Karlchen auf eine Liege und verlor seine Kräfte. Toni Hübler wollte noch einen Arzt rufen, jedoch es war zu spät. Karlchen Schildgers letzter Wunsch wurde Wahrheit und er starb nur wenige Momente später auf der Liege im Riederwald.

Wir verließen den Kabinentrakt und wanderten hoch zur Geschäftstelle. Dort, wo Ute Hering als Assistenz der Geschäftsleitung Jahrzehnte lang den Machenschaften zusehen musste, welche die Eintracht in schöner Regelmäßigkeit in die Schlagzeilen brachte. Detari-Millionen, Klofensterkündigungen und seltsame Abgänge von Trainer und Kurzzeit-Präsidenten. Zuvor erläuterte Matze, dass die ehemalige Gaststätte bei Baubeginn tiefer gelegt werden musste, da die geplante Höhe der Räume nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprach. Nebenan der Presseraum; er erfuhr neben vielem anderen dass mit Trainer Heynckes die Uhren anders gehen würden.

Das Heiligtum war das Präsidiumszimmer, schwer holzgetäfelt mit Blick über die jetzigen Hockeyplätze und Aktenversteckkammer. Hier saßen sie, Gramlich Senior, Gramlich Junior, von Thümen, Ohms, Heller und zuletzt Peter Fischer, jener allerdings ohne Kompetenz für die Bundesliga Mannschaft, die ab 2001 der Eintracht Frankfurt Fußball AG zugehörig war.


Hier mussten Spieler und Trainer zum Rapport, hier wurden Verträge unterzeichnet - oder aufgelöst, je nachdem. Dietrich Weise betonte, dass die jetzigen Trainings- und Hockeyplätze noch vor gar nicht allzulanger Zeit Schrebergärten gewesen seien. Zehn Jahre hätte der Kampf der Eintracht um diese Plätze gedauert - und hätte der mächtige Präsident Rudi Gramlich dies noch erlebt, er hätte den Schreibtisch drehen lassen, um aus dem Fenster die Mannschaft zu beobachten.


Die alten Bäume, welche Toni Hübler gepflanzt hatte, sind als erste den Umbaumaßnahmen zum Opfer gefallen. Weise betonte, dass eben Toni Hübler einer der letzten sei, der die Geschichte des Riederwaldes in allen Facetten erzählen könne - mehr als jemand zuvor gehört hat, dessen sei er sicher.

Der letzte Teil der Führung brachte uns zum Ehrenmal der Toten von Eintracht Frankfurt, einige Buchstaben fehlten, und dennoch war ich erstaunt, dass es so etwas überhaupt gab. Aufgefallen ist es mir bislang noch nicht, versteckt an den Büschen hinter der Geschäftsstelle.


So endete die Führung durch den Riederwald. Wir bedankten uns bei Matze und Dietrich Weise und wanderten noch einmal ums Gelände, um Abschied zu nehmen.



Pia - Ursula

Und wir waren nicht alleine.

Jens -

Später hatten wir hatten wir noch das Glück, einen Blick in die ehemalige Kegelbahn werfen; zu können - nunja, es war stockfinster, so dass wir mit Feuerzeugen bewaffnet nur wenig erkennen konnten. In einer Ecke moderten alte Stadionmagazine, in einer anderen Aufkleber oder Turnmatten und der gesamte Bereich wurde durch Deckenstützen vor dem Zusammenbruch bewahrt, hier wohnte Verwesung. Aber spannend war's dennoch - und von irgendwo hörte man das Klackern der Kegelgeister, die vor Jahrzehnten hier zu Hause waren.


Nach einigen Kletterübungen erblickten wir wieder das Licht der Welt und nach einem Schoppen verließen wir den Riederwald, wir hatten gut daran getan, heute hierher zu kommen, es war ein schöner Nachmittag. Herbstlich wohl, doch sonnig.

Im Juni 2010 soll der neue Riederwald eröffnet werden, schauen wir dann, wenn's soweit ist. Aber selbst dann wird keine höherklassige Eintracht-Mannschaft mehr hier Fußball spielen. Zuschauertribünen sind nicht geplant.







Alle Fotos (bis auf eines) sind von Pia Geiger. Danke dafür.

3 Kommentare:

  1. sehr schön, dass ich durch den heutigen geburtstag von dietrich weise nochmal an diesen wunderbaren rundgang am riederwald erinnert wurde :-)

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  2. sehr schön, ich auch. und ich hab die letzte kegelkugel...

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  3. Was für ein wunderbar leiser, melancholischer Bericht, der von den stillen, unprätentiösen Fotos so fein eingerahmt und untermalt wird. Sowohl den Bericht wie auch den Rundgang und damit den letzten Blick auf den alten Riederwald habe ich im vergangenen Jahr leider verpasst. Vorbei, vorbei. Danke!

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