2. Runde im DFB-Pokal
Mittwoch, 13:00 – Die Sonne beschien die Autobahn A5 aufs herbstlichste, aus den Lautsprechern rockte Phillip Boa Drinking and belonging to the sea und wir fuhren gemächlich Richtung Gambacher Kreuz.
Seit Wochen grüßen uns die braun-orange-grünen Blätter der Bäume entlang der Schnellstraßen, ab und an steigt leichter Nebel aus den Tälern – und aus der Distanz betrachtet wirkt dieses Land wie ein Nachbau aus der Märklin-Modell-Landschaft. Wetterau, Siegerland, Sauerland – wenn du auf der Autobahn dahinsaust und in die Wälder blickst, kommt schon der Wunsch auf, sich in diesen Wäldern zu versenken und sich einem romantisierendem Weltbild hinzugeben, das nicht von den Wirklichkeiten des Alltages dominiert wird, sondern von erhabenen Naturgefühlen aus einer Zeit, in der die Waldgeister noch lebendiger waren als die Spiele der Frankfurter Eintracht, die seit Wochen keine Träume mehr zulassen.
Bei Hagen standen wir in einem Stau, der sich nach wenigen Kilometern auflöste und so rollten wir nach etwas über zwei Stunden an den Westfalenhallen vorbei in Dortmund ein. In einem Wohngebiet zwischen City und Stadion fanden wir schnell einen Parkplatz und marschierten frohen Mutes Richtung Innenstadt, vorbei am Fanshop der Borussia, vorbei an zu vermietenden Ladengeschäften und wunderten uns über die Ampeln, die nicht nur rote und grüne Männchen präsentierten, sondern auch einen bei rot blinkenden Schriftzug: Warte.
In der Innenstadt war Mittelaltermarkt, Händler in mittelalterlicher Kleidung boten nicht nur Hüte aus der Zeit der Waldläufer an, sondern auch Lebensmittel und Schmuck, die sie sich in Talern oder Goldstücken bezahlen ließen, auch getrocknete Wildlilien (orange) und die Rose von Jericho, ein getrocknetes Etwas, dass sich bei Wasserberührung grün färbt und wie eine lebendige Pflanze aussieht, wurde feil geboten. Eine Musikkapelle rockte zu Schalmeienklängen, in einem Gatter tummelte sich eine Wollsau, daneben schnatterten einige Gänse und weiter hinten lag eine schwarz-weiße Sau, an deren Zitzen sechs schwarz-weiße Ferkel um die Wette nuckelten. Direkt daneben gab es die Einzelteile einer anderen Sau zu kaufen. Fische wurden nach alter Art auf Buche geräuchert und an einem weiteren Stand wurde demonstriert, wie aus Flachs gesponnenes Garn produziert wurde. Riffeln, rotten, schäben, hecheln, spinnen. So wurde geflachst. Ein Mann raunte mir (der einen schwarz-roten Schal trägt) zu: Hautse weg, die schwarz-gelben und der Verkäufer der getrockneten Pflanzen verspricht Pia bei einem Sieg der Eintracht einen Fünf-Euro-Gutschein – so ganz scheint selbst Dortmund nicht in schwarz-gelben Händen zu sein.
Irgendwann ruft es Beve, und im Glauben, mich verhört zu haben drehte ich mich um – und erkannte tatsächlich Andy und Dirk, meine ehemaligen Mitstreiter von eintrachtfans.tv, an der Trambahnhaltestelle, die mit einem Prospekt der Dortmunder Fan- und Förderabteilung wedelten. Geboren am Borsigplatz heißt das neue Vereinslied des BVB, für welches geworben wurde und so machten wir uns auf, die Spuren der Geschichte der Dortmunder Borussia zu atmen. Auf zum Borsigplatz.
Die Straßenbahn 404 ruckelte durch die Straßen, der Blick aus dem Fenster gemahnte an Offenbach und ein Fahrgast, der einer Mutter samt Kinderwagen in die Bahn geholfen hatte, gab sich als Aachener zu erkennen und stieg mit uns am Borsigplatz aus. Direkt am Eck entdeckten wir die Kneipe Big Boss und sahen aus den Augenwinkeln durch den offenen Eingang zu Schlagermusik tanzende ältere Menschen – na, wenn das nicht das Herz Dortmunds ist. Wir marschierten hinein, orderten vier Bier, die von der freundlichen Bedienung mit osteuropäischem Akzent sofort gezapft wurden und sahen uns um.
Am Stammtisch saßen einige Leute, Männlein wie Weiblein, allen war das gelebte Leben ins Gesicht geschrieben und alle strahlten ein gleiches aus, nämlich: Das Leben beißt – und wir lassen uns dennoch nicht die Lust verderben, und wenn es nur ein paar Stunden in unserer Kneipe sind, bei Bier und Zigarettenrauch und Schlagern, die von Heimat und Paradies handeln – und manchmal auch davon, dass du schön bist, wenn ich voll bin.
Durch den Raum waren die Fähnchen der WM - Teilnehmer von 2006 gespannt, gehäkelt von den anwesenden Damen während des Sommermärchens, vier weitere kleine Bier und wir kamen mit dem ein oder anderem ins Gespräch und es schien, als hätte der liebe Gott uns einen Platz gezeigt, in dem der Text des alten Peter Alexander-Schlagers Die kleine Kneipe erfunden wurde. Hier fragt dich keiner, was du hast oder bist.
Auf dem Herrenklo hing neben den Urinalen ein weiteres Becken an der Wand, zu hoch, zum pieseln, ohne Wasserhahn und Dirk und ich kamen überein, dass es sich um ein Kotzbecken handeln muss – dieser Gedanke hüpfte einem geradezu ins Hirn und entlockte uns ein breites Grinsen. Nach weiteren vier Bier drängte die Zeit, doch als wir uns grad zum Aufbruch bereit machten, erklärte uns ein freundlicher Dortmunder, dass rund um den Borsigplatz nicht nur Messingplatten mit den Namen verdienter Sportler in die Bürgersteige eingelassen waren, sondern sich nur wenige Meter davon entfernt das Gründungshaus der Borussia befindet. Da wo jetzt die Bude „Pommes Rot-Weiß“ ist.
Wir zahlten sechzehn Euro für sechzehn Schöppchen und dackelten hinaus in die Borussenwelt und fanden einige Messingplatten – unter anderem von der Leichtathletik-Ikone Annegret Richter und von Hans Jürgen Bäumler und Marika Kilius. Marika Kilius? In Dortmund? Hallo, Marika Kilius ist ein Frankfurter Mädchen – da gibt’s mal gar keine Diskussionen. Aber was willst du erwarten in einer Stadt, die sogar eine Möllerbrücke hat.
Die Verkäuferin bei Pommes rot-weiß war nett und bewies Humor. Auf die Frage, wieso es denn hier Essener Pommes gibt, antwortete sie: ich kann sie auch ein bisschen länger drin lassen, dann habter schwarz-gelbe. Wir lachten und lehnten dankend ab.
Neben der Pommes-Bude hing am Haus eine gravierte Metallplatte, durch welche auf die Gründung der Borussia im Gasthaus Wildschütz im Jahre 1909 durch 18 Männer, darunter der Gastwirt Heinrich Trott, hingewiesen wurde.
Dunkel war es derweil geworden, mit der Straßenbahn 404 ging’s zurück in die City und die U-Bahn Linie 42 brachte hunderte Dortmunder und uns Frankfurter Richtung Stadion. Dort kostete das Bier dann drei Euro dreißig, ausgeschenkt vom nächsten Massencaterer und ich fragte mich, wie die Menschen, die am Borsigplatz die Stellung halten, jemals so viel Geld für nen lauwarmen Schoppen aufbringen sollen – gerade in Dortmund, einer Stadt, die lange durch Kohle und Hoesch geprägt wurde, und noch immer im Gegensatz zu München oder Frankfurt als Arbeiterstadt gilt. Ich weigerte mich, eins zu kaufen und werde dies auch fürderhin so handhaben. Egal ob Karte oder bar – ich lass mir doch nicht von den großen Institutionen die paar Märker aus der Tasche ziehen, die so mühsamverdient werden.
Während Dirk und Andy noch zu deren Auto mussten, marschierten Pia und ich zu den Gästeeingängen. Hier ein Hallo, dort ein Guude und bald standen wir im Block 61 und blickten auf die Gelbe Wand. Auf dem Platz wurden große Fahnen geschwenkt, aus den Lautsprechern dröhnte – weshalb auch immer - You’ll never walk alone und wir nahmen zur Kenntnis, dass weder Meier noch Inamoto von Beginn an spielen sollten, dafür Takahara und der wieder genesene Spycher.
Flott ging es los und prompt köpfte Amanatidis nach schöner Vorarbeit durch Spycher in der 10. Minute das 1:0 für unsere Eintracht, die in der Folgezeit noch zwei Chancen hatte. Zudem wurde ein ziemlich eindeutiger Elfmeter für uns verweigert, wie Öri im Stadion deutlich behauptete – und später im TV bestätigt wurde. Pröll musste einmal in höchster Not klären, Kyrgiakos rette auf der Linie und schon in der ersten Hälfte zeichnete sich ab, was später Gewissheit werden sollte. Dede und Tinga rannten, als ging es um ihr Leben, während die Eintracht für meinen Geschmack einen Tuck zu schablonenhaft spielte.
Sekunden nach dem Anpfiff zur zweiten Hälfte fiel der Ausgleich, Pröll hatte einen Ball auf Brzenska abgeklatscht und von diesem hoppelte der Ball ins Netz. Irgendwie fühlte ich mich an das Spiel in Istanbul erinnert – bis auf den gravierenden Unterschied, dass unser Support in der Türkei das Wörtchen anfeuern verdient hatte. Hier feuerte gar nichts – weder auf dem Platz, noch auf den Rängen. Die Dortmunder suchten den Sieg und die Eintracht spielte nicht wirklich so, als stünde der Einzug in die nächste Runde auf dem Spiel und die damit verbundene Hoffnung auf ein erneutes Endspiel in Berlin. Da war kein unbedingter Wille zu erkennen, kein Aufbäumen, keine Leidenschaft, kein auf geht’s, da war nur ein laues Spiel der SGE, das Petric nach etwas über einer Stunde mit einem Distanzschuss entschied, nachdem er sich schon den Ball zehn Meter vorgelegt hatte und kein Frankfurter sich daran störte oder gar eingriff.
Was ebenfalls überhaupt nicht funktionierte, war die Kommunikation zwischen dem Spiel und den Rängen. Lieder singen ist ja gut und schön – von mir aus, wenn wir dreieins führen, auch die Pipi Langstrumpf ist ne prima Sache. Bei einer netten Führung in der zweiten Halbzeit. Aber doch nicht in einem Spiel, dass auf Messers Schneide steht, da will ich Eintracht, Eintracht hören oder Kämpfen und Siegen oder die Hurensöhne, von mir aus Pfiffe gegen den BVB oder einfach nur Eintracht Frankfurt. Ich bin hier nicht beim Arbeitergesangsverein, oder bei der Theatergruppe „Choreographie fürs Auge des Gegners“ – und schon gar nicht will ich mir die Spannung des Spiels nehmen lassen, indem meine Aufmerksamkeit auf das nächste Lied gerichtet wird. Und wenn wieder jemand hinter mir rummault, dass ein paar Leute nicht supporten werde ich grantig.
Wenn ihr Liedchen singen wollt, dann fahrt mit dem Kirchenchor. Unser Support muss gerade bei einem Pokalspiel Einfluss auf dass Spielgeschehen nehmen, muss unsere Jungs pushen und den Gegner verunsichern. Da scheiße ich darauf, dass im Nachhinein irgendjemand was von sah toll aus, wie die Kurve gehüpft ist faselt. Wie kann man bei einem Eckball für uns damit beschäftigt sein, die Arme in der Luft zu koordinieren? Wir sollten den Ball ins Tor blasen, fertig ab.
Weshalb dann Meier für Weissenberger kam und nicht Thurk, dessen beherztes Spiel möglicherweise irgendwann einmal auf seiner Wunschposition hinter den Spitzen für Belebung sorgen wird, bleibt Noch-Trainer Funkels Geheimnis. Es war einfach nur ärgerlich.
Naja, aus der schweigenden gelben Wand wurde gegen Spielende, genauer gesagt: nach deren Führung durchaus eine lautere Wand, der wir wenig entgegen zu setzen hatten, genau wie die Eintracht auf dem Platz – und somit zog der BVB durch dieses 2:1 verdient in die nächste Runde ein – und wir haben leichtfertig ein Spiel und Berlin aus der Hand gegeben, weil Feuer und Leidenschaft fehlten.
Zurück ging es mit der U-Bahn zur Haltestelle Saarlandstraße und zum Auto. Von dort fuhren wir flugs Richtung Autobahn, standen eine dreiviertel Stunde im Stau und sausten dann mit den Klängen der neuen Platte von And also the trees durch die Dunkelheit und stellenweise Nebel nach Frankfurt, vorbei an den Bussen der Griesheimer und Per sempre und landeten müde aber unglücklich im Herzen von Europa.
Schön war der Ausflug – sieht man einmal vom Fußball ab. Und von der Tatsache, dass die violetten Farben des Dortmunder Hauptsponsors im Verhältnis zum dortigen Gelb einfach nur grausam aussehen. Nächste Woche spielt die Eintracht bei den Bayern. Das macht sie dann ohne mich. Da bin ich dann wirklich im Wald. Aber das ist eine andereGeschichte.
Mittwoch, 13:00 – Die Sonne beschien die Autobahn A5 aufs herbstlichste, aus den Lautsprechern rockte Phillip Boa Drinking and belonging to the sea und wir fuhren gemächlich Richtung Gambacher Kreuz.
Seit Wochen grüßen uns die braun-orange-grünen Blätter der Bäume entlang der Schnellstraßen, ab und an steigt leichter Nebel aus den Tälern – und aus der Distanz betrachtet wirkt dieses Land wie ein Nachbau aus der Märklin-Modell-Landschaft. Wetterau, Siegerland, Sauerland – wenn du auf der Autobahn dahinsaust und in die Wälder blickst, kommt schon der Wunsch auf, sich in diesen Wäldern zu versenken und sich einem romantisierendem Weltbild hinzugeben, das nicht von den Wirklichkeiten des Alltages dominiert wird, sondern von erhabenen Naturgefühlen aus einer Zeit, in der die Waldgeister noch lebendiger waren als die Spiele der Frankfurter Eintracht, die seit Wochen keine Träume mehr zulassen.
Bei Hagen standen wir in einem Stau, der sich nach wenigen Kilometern auflöste und so rollten wir nach etwas über zwei Stunden an den Westfalenhallen vorbei in Dortmund ein. In einem Wohngebiet zwischen City und Stadion fanden wir schnell einen Parkplatz und marschierten frohen Mutes Richtung Innenstadt, vorbei am Fanshop der Borussia, vorbei an zu vermietenden Ladengeschäften und wunderten uns über die Ampeln, die nicht nur rote und grüne Männchen präsentierten, sondern auch einen bei rot blinkenden Schriftzug: Warte.
In der Innenstadt war Mittelaltermarkt, Händler in mittelalterlicher Kleidung boten nicht nur Hüte aus der Zeit der Waldläufer an, sondern auch Lebensmittel und Schmuck, die sie sich in Talern oder Goldstücken bezahlen ließen, auch getrocknete Wildlilien (orange) und die Rose von Jericho, ein getrocknetes Etwas, dass sich bei Wasserberührung grün färbt und wie eine lebendige Pflanze aussieht, wurde feil geboten. Eine Musikkapelle rockte zu Schalmeienklängen, in einem Gatter tummelte sich eine Wollsau, daneben schnatterten einige Gänse und weiter hinten lag eine schwarz-weiße Sau, an deren Zitzen sechs schwarz-weiße Ferkel um die Wette nuckelten. Direkt daneben gab es die Einzelteile einer anderen Sau zu kaufen. Fische wurden nach alter Art auf Buche geräuchert und an einem weiteren Stand wurde demonstriert, wie aus Flachs gesponnenes Garn produziert wurde. Riffeln, rotten, schäben, hecheln, spinnen. So wurde geflachst. Ein Mann raunte mir (der einen schwarz-roten Schal trägt) zu: Hautse weg, die schwarz-gelben und der Verkäufer der getrockneten Pflanzen verspricht Pia bei einem Sieg der Eintracht einen Fünf-Euro-Gutschein – so ganz scheint selbst Dortmund nicht in schwarz-gelben Händen zu sein.
Irgendwann ruft es Beve, und im Glauben, mich verhört zu haben drehte ich mich um – und erkannte tatsächlich Andy und Dirk, meine ehemaligen Mitstreiter von eintrachtfans.tv, an der Trambahnhaltestelle, die mit einem Prospekt der Dortmunder Fan- und Förderabteilung wedelten. Geboren am Borsigplatz heißt das neue Vereinslied des BVB, für welches geworben wurde und so machten wir uns auf, die Spuren der Geschichte der Dortmunder Borussia zu atmen. Auf zum Borsigplatz.
Die Straßenbahn 404 ruckelte durch die Straßen, der Blick aus dem Fenster gemahnte an Offenbach und ein Fahrgast, der einer Mutter samt Kinderwagen in die Bahn geholfen hatte, gab sich als Aachener zu erkennen und stieg mit uns am Borsigplatz aus. Direkt am Eck entdeckten wir die Kneipe Big Boss und sahen aus den Augenwinkeln durch den offenen Eingang zu Schlagermusik tanzende ältere Menschen – na, wenn das nicht das Herz Dortmunds ist. Wir marschierten hinein, orderten vier Bier, die von der freundlichen Bedienung mit osteuropäischem Akzent sofort gezapft wurden und sahen uns um.
Am Stammtisch saßen einige Leute, Männlein wie Weiblein, allen war das gelebte Leben ins Gesicht geschrieben und alle strahlten ein gleiches aus, nämlich: Das Leben beißt – und wir lassen uns dennoch nicht die Lust verderben, und wenn es nur ein paar Stunden in unserer Kneipe sind, bei Bier und Zigarettenrauch und Schlagern, die von Heimat und Paradies handeln – und manchmal auch davon, dass du schön bist, wenn ich voll bin.
Durch den Raum waren die Fähnchen der WM - Teilnehmer von 2006 gespannt, gehäkelt von den anwesenden Damen während des Sommermärchens, vier weitere kleine Bier und wir kamen mit dem ein oder anderem ins Gespräch und es schien, als hätte der liebe Gott uns einen Platz gezeigt, in dem der Text des alten Peter Alexander-Schlagers Die kleine Kneipe erfunden wurde. Hier fragt dich keiner, was du hast oder bist.
Auf dem Herrenklo hing neben den Urinalen ein weiteres Becken an der Wand, zu hoch, zum pieseln, ohne Wasserhahn und Dirk und ich kamen überein, dass es sich um ein Kotzbecken handeln muss – dieser Gedanke hüpfte einem geradezu ins Hirn und entlockte uns ein breites Grinsen. Nach weiteren vier Bier drängte die Zeit, doch als wir uns grad zum Aufbruch bereit machten, erklärte uns ein freundlicher Dortmunder, dass rund um den Borsigplatz nicht nur Messingplatten mit den Namen verdienter Sportler in die Bürgersteige eingelassen waren, sondern sich nur wenige Meter davon entfernt das Gründungshaus der Borussia befindet. Da wo jetzt die Bude „Pommes Rot-Weiß“ ist.
Wir zahlten sechzehn Euro für sechzehn Schöppchen und dackelten hinaus in die Borussenwelt und fanden einige Messingplatten – unter anderem von der Leichtathletik-Ikone Annegret Richter und von Hans Jürgen Bäumler und Marika Kilius. Marika Kilius? In Dortmund? Hallo, Marika Kilius ist ein Frankfurter Mädchen – da gibt’s mal gar keine Diskussionen. Aber was willst du erwarten in einer Stadt, die sogar eine Möllerbrücke hat.
Die Verkäuferin bei Pommes rot-weiß war nett und bewies Humor. Auf die Frage, wieso es denn hier Essener Pommes gibt, antwortete sie: ich kann sie auch ein bisschen länger drin lassen, dann habter schwarz-gelbe. Wir lachten und lehnten dankend ab.
Neben der Pommes-Bude hing am Haus eine gravierte Metallplatte, durch welche auf die Gründung der Borussia im Gasthaus Wildschütz im Jahre 1909 durch 18 Männer, darunter der Gastwirt Heinrich Trott, hingewiesen wurde.
Dunkel war es derweil geworden, mit der Straßenbahn 404 ging’s zurück in die City und die U-Bahn Linie 42 brachte hunderte Dortmunder und uns Frankfurter Richtung Stadion. Dort kostete das Bier dann drei Euro dreißig, ausgeschenkt vom nächsten Massencaterer und ich fragte mich, wie die Menschen, die am Borsigplatz die Stellung halten, jemals so viel Geld für nen lauwarmen Schoppen aufbringen sollen – gerade in Dortmund, einer Stadt, die lange durch Kohle und Hoesch geprägt wurde, und noch immer im Gegensatz zu München oder Frankfurt als Arbeiterstadt gilt. Ich weigerte mich, eins zu kaufen und werde dies auch fürderhin so handhaben. Egal ob Karte oder bar – ich lass mir doch nicht von den großen Institutionen die paar Märker aus der Tasche ziehen, die so mühsamverdient werden.
Während Dirk und Andy noch zu deren Auto mussten, marschierten Pia und ich zu den Gästeeingängen. Hier ein Hallo, dort ein Guude und bald standen wir im Block 61 und blickten auf die Gelbe Wand. Auf dem Platz wurden große Fahnen geschwenkt, aus den Lautsprechern dröhnte – weshalb auch immer - You’ll never walk alone und wir nahmen zur Kenntnis, dass weder Meier noch Inamoto von Beginn an spielen sollten, dafür Takahara und der wieder genesene Spycher.
Flott ging es los und prompt köpfte Amanatidis nach schöner Vorarbeit durch Spycher in der 10. Minute das 1:0 für unsere Eintracht, die in der Folgezeit noch zwei Chancen hatte. Zudem wurde ein ziemlich eindeutiger Elfmeter für uns verweigert, wie Öri im Stadion deutlich behauptete – und später im TV bestätigt wurde. Pröll musste einmal in höchster Not klären, Kyrgiakos rette auf der Linie und schon in der ersten Hälfte zeichnete sich ab, was später Gewissheit werden sollte. Dede und Tinga rannten, als ging es um ihr Leben, während die Eintracht für meinen Geschmack einen Tuck zu schablonenhaft spielte.
Sekunden nach dem Anpfiff zur zweiten Hälfte fiel der Ausgleich, Pröll hatte einen Ball auf Brzenska abgeklatscht und von diesem hoppelte der Ball ins Netz. Irgendwie fühlte ich mich an das Spiel in Istanbul erinnert – bis auf den gravierenden Unterschied, dass unser Support in der Türkei das Wörtchen anfeuern verdient hatte. Hier feuerte gar nichts – weder auf dem Platz, noch auf den Rängen. Die Dortmunder suchten den Sieg und die Eintracht spielte nicht wirklich so, als stünde der Einzug in die nächste Runde auf dem Spiel und die damit verbundene Hoffnung auf ein erneutes Endspiel in Berlin. Da war kein unbedingter Wille zu erkennen, kein Aufbäumen, keine Leidenschaft, kein auf geht’s, da war nur ein laues Spiel der SGE, das Petric nach etwas über einer Stunde mit einem Distanzschuss entschied, nachdem er sich schon den Ball zehn Meter vorgelegt hatte und kein Frankfurter sich daran störte oder gar eingriff.
Was ebenfalls überhaupt nicht funktionierte, war die Kommunikation zwischen dem Spiel und den Rängen. Lieder singen ist ja gut und schön – von mir aus, wenn wir dreieins führen, auch die Pipi Langstrumpf ist ne prima Sache. Bei einer netten Führung in der zweiten Halbzeit. Aber doch nicht in einem Spiel, dass auf Messers Schneide steht, da will ich Eintracht, Eintracht hören oder Kämpfen und Siegen oder die Hurensöhne, von mir aus Pfiffe gegen den BVB oder einfach nur Eintracht Frankfurt. Ich bin hier nicht beim Arbeitergesangsverein, oder bei der Theatergruppe „Choreographie fürs Auge des Gegners“ – und schon gar nicht will ich mir die Spannung des Spiels nehmen lassen, indem meine Aufmerksamkeit auf das nächste Lied gerichtet wird. Und wenn wieder jemand hinter mir rummault, dass ein paar Leute nicht supporten werde ich grantig.
Wenn ihr Liedchen singen wollt, dann fahrt mit dem Kirchenchor. Unser Support muss gerade bei einem Pokalspiel Einfluss auf dass Spielgeschehen nehmen, muss unsere Jungs pushen und den Gegner verunsichern. Da scheiße ich darauf, dass im Nachhinein irgendjemand was von sah toll aus, wie die Kurve gehüpft ist faselt. Wie kann man bei einem Eckball für uns damit beschäftigt sein, die Arme in der Luft zu koordinieren? Wir sollten den Ball ins Tor blasen, fertig ab.
Weshalb dann Meier für Weissenberger kam und nicht Thurk, dessen beherztes Spiel möglicherweise irgendwann einmal auf seiner Wunschposition hinter den Spitzen für Belebung sorgen wird, bleibt Noch-Trainer Funkels Geheimnis. Es war einfach nur ärgerlich.
Naja, aus der schweigenden gelben Wand wurde gegen Spielende, genauer gesagt: nach deren Führung durchaus eine lautere Wand, der wir wenig entgegen zu setzen hatten, genau wie die Eintracht auf dem Platz – und somit zog der BVB durch dieses 2:1 verdient in die nächste Runde ein – und wir haben leichtfertig ein Spiel und Berlin aus der Hand gegeben, weil Feuer und Leidenschaft fehlten.
Zurück ging es mit der U-Bahn zur Haltestelle Saarlandstraße und zum Auto. Von dort fuhren wir flugs Richtung Autobahn, standen eine dreiviertel Stunde im Stau und sausten dann mit den Klängen der neuen Platte von And also the trees durch die Dunkelheit und stellenweise Nebel nach Frankfurt, vorbei an den Bussen der Griesheimer und Per sempre und landeten müde aber unglücklich im Herzen von Europa.
Schön war der Ausflug – sieht man einmal vom Fußball ab. Und von der Tatsache, dass die violetten Farben des Dortmunder Hauptsponsors im Verhältnis zum dortigen Gelb einfach nur grausam aussehen. Nächste Woche spielt die Eintracht bei den Bayern. Das macht sie dann ohne mich. Da bin ich dann wirklich im Wald. Aber das ist eine andereGeschichte.
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