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Sonntag, 21. September 2008

Heimspiel auf Schalke - September 2008

Grau der Morgen, früh die Zeit. Kurzfristig hatten wir uns überlegt, auch ohne Tickets dann doch nach Gelsenkirchen zu fahren, allein beim Aufwachen kränkelte Pia – doch sie war tapfer und kam mit.

Gegen halb elf tuckerten wir auf die Autobahn, The Gaslight Anthem und die Foo Fighters begleiteten uns durch den anbrechenden Herbst, im Beutel eine Thermoskanne mit Tee und die leise Hoffnung auf den ersten Dreier in dieser Saison – immerhin stand das dritte Auswärtsspiel hintereinander auf dem Programm.

Die Autobahn war noch relativ leer, ab und zu sauste ein PKW mit Eintracht-Anhängern an uns vorbei, die Busse sind wohl alle später gestartet, wir sahen keinen einzigen. Bäume und Wälder zogen vorüber und einmal sah eine durch Sturm geschlagene Schneise so aus, als hätte der liebe Gott einen überdimensionalen Fußabdruck im Wald hinterlassen.

Wir fuhren am Motto des heutigen Tags vorbei (Siegen) und bei Olpe überholte uns die Sonne, und beschien den fortan Tag freundlich und mild.

Lüdenscheid, Herne, Wanne, Eickel, Gelsenkirchen.

Wir parkten unser Auto wie beim letzten Mal in Gelsenkirchen-Erle, holten uns am Büdchen ein letztes-Mal-Gedächtnis-Radler und marschierten an einem Laden vorbei, der Basecaps mit dem Aufdruck „Rassekaninchenzuchtverein“ anbot. Es lag eine unaufgeregte Stille über der Stadt, viele Läden hatten geschlossen und peu a peu trudelten die ersten Schalker ein, wie gehabt: gerne im blauen Trikot.

Wir marschierten durch einen Park, trafen auf knutschende Bären - und über Parkplatz und Schulhof ging’s in Richtung Turnhalle.




Am Eingang für Gäste mit Sitzplatz trafen wir auf Gerold, ein großer Eintrachtfans der auf seine Käthe wartete, die wir prompt am Bernie-Klodt-Weg trafen. Dort, wo der Hermann Eppenhof Weg abgeht. Nachdem uns zuvor schon Sitzplatzkarten angeboten wurden - die wir jedoch ablehnten - hielt uns bald ein erster Frankfurter einen Packen Stehplatzkarten entgegen. Wir erstanden zwei Tickets (es hätten noch zig weitere sein können, wenn es hier etwas gab, dann Stehplatzkarten) und hockten uns chillig auf den grünen Hügel vor dem Gästeeingang und betrachteten den Einzug der Eintracht-Fans. Direkt hinter uns war wohl der Vip-Eingang, Großlimousine nach Großlimousine rollte an, Freunde von Kevin und Jermaine mit spitzen Bärtchen und wummernden Boxen passierten den Einlass, während Sonderbusse aus Gelsenkirchen anrollten und die Eintracht-Fans vom Bahnhof ausspuckten. Mit den Bussen kam es zu einer Rangelei mit der schwergepanzerten Polizei, Eintracht-Fans beschwerten sich und die Ordnungsmacht formierte sich, bildete Ketten und vertrieb uns provokant von unserem Hügelchen. Ohne Sinn, ohne Grund – einzig ein Dokument der Stärke der Staatsknechte. Da liegst du friedlich in der Sonne, babbelst mit bekannten Gesichtern – und wirst einfach fortgeschickt. Die Cops bewachten nun den Hügel und blieben einen Schritt hinter den Eintracht-Fans stehen, die sich nicht verjagen lassen wollten, meine Laune war für’s erste im Keller und Pia zog mich sanft von der Polizeikette, denn ich hatte mittlerweile begonnen, meine grünen Freunde ... – ach lassen wir das, es führt zu nichts.

Rudi und Marc liefen ein, später Matze, Hilde sowie Tristan - und Tube machte uns darauf aufmerksam, dass am gesamten Stadion zwar jede Menge Reklame angepappt war – aber eigentlich kein Hinweis auf Schalke 04 direkt am Gebäude zu finden war.

An der Kasse wollte niemand unsere Karte sehen, niemand checkte die Taschen und so marschierten wir durch den Tunnel zu den Stehplätzen. Pünktlich zum Anpfiff blickten wir aufs Grün – neidisch, denn der Rasen war im Gegensatz zum heimischen Madonna-FSV-Stadion ein solcher.

Die Eintracht trat mit Viererkette und Doppelsechs an, Libero verkümmerte im Sturm, der von Fenin, Toski und Meier gefüttert werden sollte. Was Toski auf Außen macht, wird des Trainers Geheimnis bleiben – und prompt rollte Angriff auf Angriff auf das von Nikolov mal wieder hervorragend gehütete Tor. Galindo und Ochs kassierten bald gelb vom Konzertpianisten Fandel, der nur wenig später unsere Nummer 29, Chris, nach einem Rempler am theatralisch fallenden Westermann vom Platz stellte. Unser Trainer reagierte, brachte Bellaid für Toski und mit einer gefühlten Sechserkette ging's weiter. Ochs grätschte den Ball ins eigene Netz, die Eintracht versuchte, das 0:1 über die Zeit zu retten, was auch gelang. Immerhin hätte es in den letzten paar Minuten beinahe einen Schuss aufs Schalker Tor gegeben. Nach 85.Minuten lautete das Eckenverhältnis 0:10 aus Frankfurter Sicht – und hätte Libero nicht aus 40 Metern beinahe einen Treffer erzielt, hätte der Schalker Torhüter keinen Ball halten müssen. Bei der Eintracht mag vielleicht taktisch vieles gestimmt haben – aber es gab keine Bewegung, so Oka einen Abschlag machte, es war kein Feuer auf dem Platz zu sehen, keine Attacken und kein Pressing. Nie war es einfacher, mit zehn Mann Schalke unter Druck zu setzen – allein, es passierte viel zu wenig. Die Schalker Fans wiederum pfiffen ihr Team trotz Führung und Tabellenführung aus, und außer ein paar Jungs, die hinter deren Torhüter ein bisschen sangen und hopsten, war die Stimmung gleich Null, was wir mit einem und das soll euer Mythos sein trefflich besangen.

Am Ende verlor die Eintracht mit 0:1. Das muss kein Beinbruch sein – aber die Bilanz seit dem Leverkusenspiel lautet nach gespielten 12 Partien: 1 Sieg, 3 Unentschieden und 8 Niederlagen. 14-25 Tore und sechs Pünktchen. Und wir sahen einen Fußball, der mit Rasse und Klasse und Spielintelligenz und Leidenschaft irgendwie so gar nichts mehr zu tun hat.

Wir beeilten uns, die Turnhalle zu verlassen und marschierten in Richtung des alten Parkstadions. Von weitem konnte man schon zwei Flutlichtmasten erkennen – und nach einigen Irrwegen standen wir vor der Schüssel, die knapp 30 Jahre die Heimat der Schalker war. Es war eine einzige Baustelle, die Kurven abgerissen oder bewachsen, die Haupttribüne abgerissen, einzig die Bänke der Gegengrade standen noch, Autos parkten auf der Laufbahn direkt am Rasen, der gleichfalls um Längen besser war, als das Geläuf im heimischen Tempel. Victoria und Gazprom-Reklame-Banden waren das Neueste in diesem verfallenden Hort der Geschichte. Und die beiden Fluchtlichtmasten waren auch die einzigen, die übrig geblieben waren.
Ich rief meinen Schalker Kumpel Thomas an, der schon seit Jahren in Berlin sitzt, um ihm diese traurige Mitteilung zu machen - aber er wusste schon Bescheid.




Auf dem Rückweg gab es ein Herbsteis zu fünfzig Cent die Kugel, erneut knutschende Bären und bald darauf rollte ein silberner Golf durch die Nacht.

Irgendwann in Hessen schalteten wir das Radio an, ein neuer Sender fiel uns auf, Radio Bob. Über den Äther tönte Black Sabbath` Paranoid, Don Henleys Boys of Summer oder Foreigners Juke Box Hero, Pop-Rock Hits der Sieziger bis heute und ich meinte zu Pia: Pass auf, gleich kommt bestimmt Love is a battlefield von Pat Benatar. Kaum hatte ich’s gesagt tönte aus den Lautsprechern: Love is a battlefield. Hätte ich mal besser Lotto gespielt.

Gegen halb zehn waren wir wieder zu Hause, die Bayern hatte gegen Bremen im Schlauchboot mit 2:5 verloren und das ZDF begann seinen Bericht Schalke – Frankfurt mit einem unsäglichem Beitrag über Frankfurter Fans, die wie immer schön asozial seien. Bloß Bilder zu den Behauptungen blieben uns die Mainzer schuldig – aber es passte zu diesem Tag, der wohl einer der letzten Sonnentage in diesem Jahr war. Der Herbst kommt. Ganz sicher.





1 Kommentar:

  1. Als wäre ich dabei gewesen. Das schaffst nur du.

    Don Henleys "Boys Of Summer" liebe ich übrigens allein für diese Zeile:
    "Out on the road today, I saw a Deadhead sticker on a Cadillac."

    Und Dons "Dirty Laundry" ist ohnehin unerreicht.

    Kid

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