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Donnerstag, 10. Juni 2010

Eine Woche im Juni - Teil I: Herr Dr. Lottermann


Manchmal passiert gar nichts. Dieser Satz ist eigentlich grundfalsch, denn irgendwas passiert ja schließlich immer - aber manchmal passiert nichts, was in nachhaltiger Erinnerung bleibt und zudem Blogrelevanz besitzt; zumindest nach meinem bescheidenen Dafürhalten. Dann aber folgen Erlebnisse Schlag auf Schlag und ein Erlebtes ist eben noch Gegenwart und wird durch ein darauf folgendes Erlebnis in den Hintergrund gedrängt, welches sich ebenso bald im gleichen Hintergrund befinden wird. Um genau zu sein befindet sich alsbald alles im Hintergrund - und vorne lauert der Tod. Dann ist man selbst im Hintergrund, irgendjemand liest die Todesanzeige im Netz und klickt anschließend auf den Button: Gefällt mir. Aber das sind Überlegungen die trübsinnig machen und von daher widmen wir uns der justament vergangenen Gegenwart.

Und die beginnt letzten Mittwoch, so unglaublich das angesichts des Zeitenlaufs klingen mag. Zehn, fünfzehn Besucher tummelten sich im Museum der Frankfurter Eintracht, um an der von der Kirche im Stadion und dem Museum organisierten Veranstaltungreihe Anstoß teilzunehmen; zu Gast war der ehemalige Eintrachtspieler Dr. Stefan Lottermann, der 97 Liga-Spiele für die Eintracht absolvierte, zudem studierte und ein streitbarer Geselle war und ist. Das ist auch gut so, denn schließlich stand die Veranstaltung unter dem Motto: Sich einmischen.

Im Stadion selbst wurde das für den nächsten Tag geplante Länderspiel vorbereitet, statt Eintrachtfahnen wehten jene eines bekannten Automobilherstellers, während Lottermann im Gespräch mit Matze Thoma und Eugen Eckert äußerst unterhaltsam aus seiner aktiven Zeit berichtete. Über Burgsolms kam Lottermann nach Offenbach und kickte dort an der Seite von Rudi Völler, den damals noch niemand Tante Käthe nannte und als die Kickers mal wieder klamm waren, verließen Lottermann und Völler gezwungener Maßen den Verein; der eine landete ablösefrei bei 1860; der andere bei der Eintracht. Für Westgeld. Das war im Jahr 1979; am Ende der Saison hielt Lottermann den Uefa-Cup in den Händen, ein Jahr später den DFB-Pokal. Seine bekannteste Szene auf dem Platz war sicherlich sein Treffer zum 3:0 gegen Rotterdam im Uefa-Cup, das Spiel endete 4:1 und die Eintracht spielte in ... Grün.

Zwischen Training und Spiel pendelte er in Richtung Universität; dort studierend trug er auch im Team den Spitznamen "Der Student" - und so bei Auslandreisen ein Interviewpartner mit Englischkenntissen gesucht wurde, ward der Student der Mann bei der Eintracht für solche Fälle. Begehrt bei seinen Kommilitonen war er nicht zuletzt deshalb, da er in der Tiefgarage der Uni parken konnte und so für kurze Wege sorgte.

Es war eine wilde Zeit, die Proteste gegen die Startbahn West befanden sich auf dem Höhepunkt und auch Lottermann war von der Notwendigkeit des Baus nicht überzeugt. Von daher zögerte er nicht lange, als der Asta der Universität anfragte, ob er einen Beitrag und ein Foto für die Unizeitung beisteuern könne. Als Foto wurde eine Autogrammkarte verwendet - mit Unterschrift - und so erschien jene Zeitung; in überschaubarer Auflage. Als wenig später die Organisatoren des Widerstands eine Broschüre in weitaus höherer Auflage unters Volk brachten, hatten diese kurzerhand Foto und Beitrag aus der Unizeitung übernommen - und so wurde Lottermann über die universitären Grenzen hinaus prominente Symbolfigur für den Widerstand gegen die Startbahn West. Die Höchst AG, Sponsor der Eintracht, aber auch die Eintracht selbst zeigten sich wenig begeistert; er wurde zum Rapport bestellt, wobei sich die Höchst AG durchaus auch darüber freute, dass der Name Infotec (damals eine Tochter der Höchst AG) nun auch außerhalb der üblichen Reichweite von Trikotwerbung zur Kenntnis genommen wurde. Alles in allem wurde aber auch einem Fußballprofi eine eigenständige politische Meinung zugestanden; die Konsequenzen waren also zu vernachlässigen. Falls jemand, der diesen Text liest besagte Broschüre besitzt, so meldet euch - wir suchen sie.

1983/84 wechselte Lottermann nach Nürnberg zum Club - und stieg unter Trainer Heinz Höher sang und klanglos ab. Zum Entsetzen der Spieler wurde der Vertrag mit dem ungeliebten Trainer jedoch verlängert; Höhepunkte seines Wirkens war die Abseitsfalle auf Zuruf; genauer gesagt auf Zuruf des Trainers. Als dies im Spiel gegen Oberhausen gründlich in die Hose ging und da die Oberhausener (mit Wolfgang Kleff im Tor und Manni Burgsmüller im Sturm) die skurrile Variante durchschaute und Allig nach missratener Abseitsfalle in der letzten Minute zum Ausgleich traf, kochte das Fass über. Trotz mehrfacher Aufforderung seitens der Spieler sich mit der Vereinsführung zu einem Gespräch zu treffen, lehnten dies die Vereinsoberen ab. Somit wählten die Spieler (darunter Udo Horsmann, Rudi Kargus und Stefan Lottermann) den Weg über die Presse. Dieses Ansinnen machte schnell die Runde; Drohungen seitens des Vereins wurden ausgesprochen und diese gipfelten trotz bestreiktem Training und vermeintlicher Geschlossenheit der Mannschaft in der Kündigung der sechs vermeintlichen Rädelsführer. Da der Pressetext auf Lottermanns Schreibmaschine verfasst wurde, gehörte dieser ebenso wie Horsmann und Kargus dazu. Der Club aber stieg anschließend souverän auf.

Meinungsfreiheit und Recht; zwei Schuhe, die nicht immer zusammenpassen. Nicht zuletzt nach den Vorkommnissen beim Club leierten engagierte Spieler wie Stefan Lottermann oder Benno Möhlmann eine Art Gewerkschaft an; sie trafen sich mit den Spielführern der Mannschaften und aus anfänglicher Skepsis entstand ein großes Interesse bis 1987 die VDV gegründet wurde, deren Vorsitz zunächst Möhlmann und später Lottermann übernahm.

Lottermann, der seine Profikarriere nach einer Verletzung bei Darmstadt98 1987 beenden musste, unterstützte und beriet Spieler auch gegen den DFB, was ihm naturgemäß nicht nur Freunde einbrachte - so sorgte die VDV dafür, dass Nationalspieler auch an Werbeeinnahmen des DFB profitieren, heute eine Selbstverständlichkeit. Nur einer erwies sich als beratungsresistent; Dieter Eckstein, Raucher. Dieser wohnte zu Nürnberger Zeiten in einem schönen Haus - ohne Brandschutzversicherung. Einen Rat diesbezüglich schlug er in den Wind; selbst als ein Feuerchen den Teppich versengte, wollte er sich nicht versichern. Kurz darauf lebte er in einem Wohnwagen vor dem Haus; ein Feuer hatte dieses tatsächlich nun völlig zerstört.

6 Kommentare:

  1. Vielen Dank für den Bericht. Ist über die Startbahn-West Broschüre genaueres bekannt? Herausgeber, Titel, Erscheinungsdatum? Wer waren denn die "Organisatoren des Widerstands"? Ich suche gerne mit.

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  2. ich habe die beschreibung extra vage gehalten, da ich auch nicht mehr weiß; es muss seinerzeit eine zeitung/broschüre gegeben haben, die über die vorgänge informierte, schätze die gesuchte augabe erschien um 1981-1983, die infotec-zeit der eintracht.

    danke für die hilfe und viele grüße

    beve

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  3. Danke für den Bericht, Beve. Ich wäre gerne dabei gewesen, wie so oft. Schön, dass ich durch deinen Blog dennoch immer etwas mitbekomme. Gruß vom Kid

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  4. Als aktiver Zeitzeuge kann ich dir sagen, daß zwischen 81 und 83 mal dermaßen viele Broschüren und Flugblätter erschienen und von so vielen verschiedenen Gruppen, das man da nichts genaues zu sagen kann. Daß Lottermann eine prominente Symbolfigur gewesen sein soll kann ich aus meiner Erinnerung jetzt so nicht bestätigen.

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  5. Ja, es passiert immer etwas. Und meistens passiert zu viel. Und wenn sich im Sommer die Zeit zumindest ein wenig verlangsamt (was ich aus eigener Erfahrung im Moment leider nicht bestätigen kann), scheint es zum guten Ton zu gehören, dass man sich gegenseitig versichert wie fad alles ist. Auch eine Art, den Augenblick noch mehr zu entwerten, als das ohnehin – wusch und weg – schon der Fall ist. (Damit meine ich jetzt gewiss nicht dich, aber es passte grad so schön zu deinem Einstieg ins Thema)

    Nochmal ja: Der Tod lauert überall, der Gefällt mir-Button auch und Todesanzeigen im Internet gibt es auch schon. Vorsicht ,-) – es könnte sein, dass jemand deine „Idee“ tatsächlich aufnimmt *g.

    Ansonsten: „Keine Startbahn-West und Nachtflugverbot“ (seufz) - Danke für den Bericht!

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  6. Yep, Nachtflugverbot. Schön wäre es.

    Danke euch und schöne WeEmm© wünsche ich. Fanartikel gibt es ja zuhauf. Fanplunder sozusagen.

    Viele Grüße

    Beve

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