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Mittwoch, 12. Mai 2010

Ihr Eintrachtler, lasst euch nicht zerbrechen - Teil 2


Anlässlich der Stolpersteinverlegung in Gedenken an den Eintrachtler Hans Rosenbaum und dessen Eltern David und Frieda veranstaltete das Museum der Eintracht einen Abend unter dem Motto Ihr Eintrachtler, lasst euch nicht zerbrechen. Eberhard Schulz von der Versöhnungskirche im KZ Dachau erinnerte an den ermordeten Nationalspieler Julius Hirsch - im ersten Teil meines Berichtes im Blog hatte ich mich damit beschäftigt. Im weiteren Verlauf des Abends berichteten Helga Roos und Bertan Tufan vom Sportkreis Frankfurt von den Ergebnissen der Geschichtswerkstatt Schlappeschneider – Schlappekicker, in der sich Schüler aus dem Gallusviertel 2008 mit der Geschichte der Schuhfabrik I.C.A.S. Schneider auseinandersetzten.

1908 gründeten John und Carl August Schneider die Frankfurter Spezialfabrik für Babyschuhe in der Merianstraße. 1911 wird die Fabrik von Lothar und Ludwig Adler übernommen, 1914 erfolgte der Umzug ins Gallus, in die Mainzer Landstraße. Nach dem ersten Weltkrieg, in dem J.&C.A. Schneider vorwiegend Zeltplane und Tornister produzierten, trat der Cousin der Adlers, Walter Neumann, später genannt Schlappe-Stinnes, in die Fabrik ein. J.C.A.S entwickelte sich zu einem prosperierendem Unternehmen exportierte Hausschuhe in alle Welt und unterstützte zudem die Frankfurter Eintracht; das Profitum war in Deutschland noch weitgehend unbekannt, die Eintracht rangelte mit dem Fußballsportverein, dem FSV Frankfurt, der 1925 als erste Frankfurter Mannschaft das Endspiel um die deutsche Meisterschaft erreichte (und im neuen Waldstadion unglücklich gegen den 1.FC Nürnberg unterlegen war) um die Vormachtstellung im hessischen Fußball und so führte das Mäzenentum der Schuhfabrik dazu, dass etliche Eintrachtler eine Anstellung beim Schlappeschneider erhielten - und somit für ihr Auskommen gesorgt war. Frau Schütz, damals hochbetagte Witwe des Eintracht-Spielführers Franz Schütz und mittlerweile verstorben, gab Matze Thoma bei dessen Recherchen zu seinem Buch Wir waren die Juddebube vor einigen Jahren zu Protokoll, dass etliche Eintrachtler nicht all zu oft bei ihrem Arbeitsplatz anzutreffen waren; sie mussten trainieren. Doch nicht nur die Fußballer, auch der Schatzmeister der Eintracht, Hugo Reiss, - wie die Inhaber der Fabrik jüdischen Glaubens - arbeitete beim Schlappeschneider - und feierte die süddeutsche Meisterschaften 1930 und 1932. Im Endspiel um die deutsche Meisterschaft unterlag die Eintracht im selben Jahr unglücklich gegen Bayern München in Nürnberg mit 0:2.

Neben Hugo Reiss waren die Spieler Ehmer, Gramlich, Leis, Kellerhoff, Kron, Möbs, Mantel, Schaller, Schütz und Stubb bei der Schuhfabrik JCAS angestellt. So wurde aus der Eintracht im Sprachgebrauch die Juddebube und ein weiterer Begriff aus der damaligen Zeit prägt die Eintrachtler bis heute: Die Schlappekicker. Denn jeder Frankfurter weiß: Hausschuhe, das sind Schlappe. Wer hat ihn nicht in seiner Kindheit gehört, den Satz: Bub, zieh dei Schlappe aa, du holst dir sonst'n Bipps.

Auf den bis dato größten Erfolg der Vereinsgeschichte folgte die Machtübernahme der Nazis. Schatzmeister Hugo Reiss ahnte die dräuende Gefahr und verließ Deutschland in Richtung Italien um später nach Chile auszuwandern; Reste seines Silberbesteckes sind heute im Museum zu bewundern - stumme Zeugen einer Flucht, die aus einem wohlhabenden Mann einen Heimatlosen machte. Hugo Reiss gelang es, sich in Chile eine neue Existenz aufzubauen; mindestens 20 jüdische Eintrachtler wurden nachweislich von den Nazis ermordet; wie Millionen andere in den KZs vergast und elendig umgebracht.

Fußballweltmeisterschaft Italien 1934. Im Kader der deutschen Mannschaft steht mit Rudi Gramlich ein Eintrachtler - er bestreitet ein Spiel beim 2:1 gegen Schweden im Viertelfinale, nachdem Deutschland zuvor Belgien mit 5:2 besiegt hatte. Im Anschluss an das Spiel gegen Schweden reist Gramlich zurück nach Deutschland, ein Vorgehen, das in der Öffentlichkeit misstrauisch beäugt wurde; Gerüchte rankten sich darum, dass Gramlich, der als Ledereinkäufer beim Schlappeschneider angestellt war, in die Heimat fuhr, um seinen bedrängten jüdischen Chefs bei zu stehen. Gramlich selbst erklärte in einem Interview mit der Rundschau 1968: Die jüdische Schuhfabrik, für die ich tätig war, bekam 40% ihres Kontingents gestrichen, so dass ich als Ledereinkäufer dringend gebraucht wurde. Die Öffentlichkeit war natürlich sauer, vor allem die Parteipresse. (Wir waren die Juddebube, Seite 76)

Klaus Gramlich, der Sohn Rudis und Präsident der Eintracht von 1983-1988 erklärte während der Veranstaltung, dass sein Vater entgegen der These, die Eintrachtler hätten beim Schlappeschneider zwar einen Schreibtisch besessen, seien dort aber selten anzutreffen gewesen (siehe Teil 1) sehr wohl aktiv gearbeitet habe.

1936 war Rudi Gramlich Olympiateilnehmer in Berlin; einem 9:0 gegen Luxemburg folgte ein überraschendes 0:2 gegen Norwegen - und damit das Aus. Gramlich erklärte seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft - spielte aber bis 1939 für die Eintracht und zudem 1942/43.

Obgleich die weitere Geschichte Rudi Gramlichs während der Veranstaltung keine Rolle spielte, möchte ich an dieser Stelle den Werdegang des heutigen Ehrenpräsidenten kurz beleuchten.

So schreibt die FAZ im Juni 2008 anlässlich der Ausstellungseröffnung Schlappeschneider - Schlappekicker: Der wohl bekannteste Riederwälder, der sein Geld bei Jcas verdiente, war Nationalspieler Rudolf „Rudi“ Gramlich. Es ist eine traurige Geschichte, dass der einstige Ledereinkäufer in der Nazi-Zeit in die Waffen-SS eintrat und mit Billigung des Gauleiters die Eintracht-Führung übernahm, während der Betrieb seines ehemaligen Arbeitgebers „arisiert“ wurde.

1938 übernahm Gramlich die Ledergroßhandlung Jakob Schönhof, deren Inhaber der jüdische Lederkaufmann Herbert Kastellan war. Gramlich, der Ende 1938 Vereinsführer der Eintracht wurde, organisierte die Feierlichkeiten zum 40jährigen Bestehen der Eintracht; im Juni 1939 wurde aus diesem Anlass eine Sonderausgabe der Vereins-Nachrichten herausgegeben. Matthias Thoma schreibt dazu in den Juddebuben: Und beim genauen Betrachten der Festschrift erkennt man, dass zum 40. Geburtstag auch die Eintracht arisiert war. Damnatio memoriae, die völlige Auslöschung des Andenkens an eine Person durch die Nachwelt, fand auch bei der Eintracht Anwendung: Im zweiseitigen Rückblick auf die Historie der Eintracht, in dem die Namen der Sportpioniere, Förderer und Funktionäre noch einmal ins Gedächtnis gerufen werden, fehlen viele Namen: Keine Rede ist mehr von Walter Bensemann, dem Gründervater des Vorgängervereins Frankfurter Kickers. Keine Rede von Hugo Reiss, dem ehemaligen Schatzmeister, ebenso wenig von den Gebrüdern Adler oder Walter Neumann. Auch Dr. Paul Blüthenthal, der Förderer der Leichtathletik, taucht nicht mehr auf. Und mit Arthur Cahn wurde sogar der ehemalige Vorsitzende eines Vorgängervereins unter den Tisch gekehrt. (Wir waren die Juddebube, Seite 141)

Und weiter: Das Tilgen der Namen ehemaliger jüdischer Sportler, Funktionäre und Sponsoren, das selbst in der gleichgeschalteten Sportpresse bis 1942 nicht konsequent durchgeführt wurde, wurde am Riederwald mit einer großen Sorgfalt betrieben. Und dies geschah unter der Mitverantwortung Rudi Gramlichs, der viele Jahre seines Berufslebens bei Adler, Neumann und Reiss in der Mainzer Landstraße verbrachte: bei denen, die jetzt von der Eintracht verleugnet wurden. (Ebd. S. 142)

Gramlich wurde im Mai 1945 von den Alliierten verhaftet und mit schweren Vorwürfen konfrontiert. So veröffentlichte die Frankfurter Rundschau im August 1945 einen Artikel, der besagt, dass in der Privatwohnung Gramlichs Fotografien gefunden wurden, die angeblich den mit einem Gewehr bewaffneten Gramlich in Krakau vor Zivilisten - teilweise mit weißen Armbinden - die an einer Hauswand standen, zeigen. Das Foto stammte von einem Einsatz des 8. SS-Totenkopfregimentes, dem Gramlich von 1939 und 1940 angehörte. (Ebd. S. 189 ff)
Gramlich wurde der Teilnahme an Kriegsverbrechen verdächtigt und als Hauptschuldiger eingestuft; auch stand der Vorwurf im Raum, dass Gramlich während des Krieges in einer Acht-Zimmer-Wohnung lebte, die einem jüdischen Mitbürger von der Gestapo beschlagnahmt wurde. Widersprüchliche Aussagen seiner Stubenkameraden entlasteten ihn, auch rassistisch Verfolgte und tschechische Sportler sagten für ihn aus - sein ehemaliger Arbeitgeber, Walter Neumann, aber habe keine Entlastungserklärung für ihn abgegeben. Thoma schreibt: Neumann bezeichnete Rudolf Gramlich nach dem Krieg an anderer Stelle als führenden Nazi. (S. 91)

Letztlich verbrachte Gramlich zweieinhalb Jahre in Haft und erhielt eine zweijährige Bewährungsstrafe nebst 10.000 Mark Geldstrafe; nach Berufung wurde die Bewährungsstrafe gestrichen, die Geldstrafe auf 5.000 Mark reduziert. 1948 nahm er wider an einer Vorstandssitzung der Eintracht teil, wurde 1949 Spielausschussvorsitzender und letztlich von 1955 bis 1970 Präsident der Frankfurter Eintracht; verstorben 1988 ist Gramlich bis heute Ehrenpräsident der Eintracht - und auch wenn die Geschichte bis heute nicht ins Detail aufgearbeitet wurde, so verweisen viele Details zumindest auf die Fragwürdigkeit dieser Personalie.

Die Schuhfabrik J. & C.A. Schneider wurde 1938 arisiert; die Gebrüder Adler gezwungen, die Fabrik weit unter Wert zu verkaufen - Lothar und Fritz Adler, die Nachfolger von John und Carl August hatten keine Wahl, zumal Fritz Adler in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verhaftet und ins KZ Buchenwald verbracht wurde; eine Entlassung ging Hand in Hand mit der abgepressten Zustimmung zum Verkauf, die Fritz Adler nach 14 Tagen erbrachte. Im Dezember 1938 wurde die Fabrik verkauft, vom eigentlichen Wert von 15 Millionen Reichsmark verblieben 4,5 Millionen als Kaufpreis; letztlich erhielten die Gebrüder Adler 196.000 Reichsmark - die Differenz ergab sich aus Zwangsabgaben, die an den Staat fielen - so mussten die quasi enteigneten Juden ihre eigene Vernichtung finanzieren.

Walter Neumann vom Schlappeschneider emigrierte nach Großbritannien, nannte sich fortan Newman und verstarb 1948, nachdem er sich auch im Exil eine Existenz als Schuhfabrikant aufgebaut hatte. Lothar und Fritz Adler flüchteten nach New York und erhielten nach Kriegsende Wiedergutmachungszahlungen für die erlittenen Verluste; auch die Firma J. & C.A. Schneider ging wieder in ihren Besitz über. Ihren Lebensmittelpunkt aber behielten sie in New York.

Teil III folgt; dann wird die Geschichte von Hans Rosenbaum beleuchtet, einem Eintrachtler, der 1942 im KZ Lodz ermordet wurde; das Todesdatum seiner Eltern ist nicht bekannt. Auch folgt ein kleiner Bericht über die Stolpersteinverlegung vor der Unterlindau 74, bei der nicht nur Eintracht-Präsident Peter Fischer nebst Vize Axel Hellmann anwesend war, sondern auch Dr. Thomas Pröckl von der Eintracht Frankfurt Fußball AG sowie das Fanprojekt nebst vielen Fans.


2 Kommentare:

  1. Wirklich herzlichen Dank für die Berichterstattung. Kann zur Zeit nicht ins Museum und dann ist das doch sehr schön das so mitzuerleben.

    Also Danke auch schonmal für den dritten Teil.

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