Am 13. November 2008 fand im Eintracht Frankfurt Museum die vierte Auflage der von der Fan- und Förderabteilung und dem Museum gemeinsam organisierten Veranstaltungsreihe Tradition zum Anfassen statt. Unter dem Motto United Colors of Frankfurt, ausländische Spieler bei Eintracht Frankfurt waren drei ehemalige Spieler der Eintracht geladen, die aus ganz unterschiedlichen Generationen stammen und beim Stichwort Heimat nicht zwangsläufig an Rippsche mit Kraut denken: Istvan Sztani, Du-Ri Cha und Lajos Detari.
Während ich mich am Nachmittag um die Verkabelung der Anlage kümmerte, wollte sich Matze gegen vier Uhr auf den Weg zum Airport machen, um Detari dort abzuholen. Welcher Eingebung auch immer folgend, checkte unser Museumschef noch einmal seine Mails – und blickte wenig später etwas bedröppelt aus der Wäsche, dabei entsponn sich folgender kleiner Dialog:
Beve, er kommt nicht.
Wer?
Detari.
Quatsch.
Doch.
Ohje.
Wir versuchten noch auf die Schnelle, über alle möglichen Kanäle Ersatz aufzutreiben, so etwa unseren derzeit verletzten Mannschaftskapitän Ioannis Amanatidis, aber letztlich scheiterten alle gut gemeinten Versuche, und so blieb uns nichts anderes übrig, als uns den enttäuschten Erwartungen zu stellen; immerhin hatten Sztani und Cha ihre feste Zusage gegeben.
Da ich wieder einmal die große Ehre hatte, die Veranstaltung zu moderieren, machte mir die Absage Detaris einen gewaltigen Strich durch die Vorbereitung. Gerade auf die Gemeinsamkeiten – aber auch Unterschiede – der beiden Ungarn Detari und Sztani hatte ich einen Gutteil des Abends ausrichten wollen – aber gut, wir sind bei Eintracht Frankfurt und demzufolge das Improvisieren gewohnt.
Zu unserer großen Freude trafen dann auch unsere beiden Gäste pünktlich ein und wurden zunächst von Billy betreut, bis sie sich unter Applaus und DuDuDuDuDuuu...-Gesängen den Weg durch 180 Zuschauer bahnten, darunter langjährige Eintrachtler wie der Tennis-Ehrenspielführer Alexander Loulakis oder Riederwald-Architekt Karl Heinz Fleckenstein, die schon in den Dreißigern erstmals zur Eintracht gingen. Sztani, hessisch-mondän im Anzug inklusive Stiefeletten und blauer Sonnenbrille, Du-Ri lässig in Jeans und Chucks. Ich wackelte hintendrein und wusste immer noch nicht so genau, wie ich den Ausfall unseres Pokaltorschützen von 1988 kompensieren sollte; eine überflüssige Denkerei, wie sich im Verlauf des Abends zeigen sollte.
Matze verkündete zunächst die Hintergründe des Fernbleibens von Lajos Detari. Dieser war nämlich von seinem bisherigen Club als Trainer gefeuert worden und weilte nun irgendwo in Europa, um über einen neuen Job zu verhandeln. Alsbald begrüßte FuFa-Abteilungsleiter Stefan Minden unsere Gäste, und schon befanden wir uns auf einer Zeitreise in die Fünfziger Jahre.
Sztani spielte Ende 1956 mit der ungarischen Jugendnationalmannschaft in Europa, als in seiner Heimat der Aufstand losbrach. Zunächst war der Rückweg versperrt, und so tingelte das Team durch Europa, bis etliche Spieler bei westeuropäischen Teams unter Vertrag standen und zu guter Letzt auch Sztani, der eigentlich nach Ungarn zurück wollte. Nachdem sich schon zwei andere Spieler der Eintracht angeschlossen hatten (Janos Hanek und Tibor Lörinc), fragte auch er, ob Platz für ihn sei. Der damalige Trainer der Eintracht, Adolf Patek, ein gebürtiger Österreicher verpflichtete ihn quasi mit den Worten: Gemma, Gemma. Nicht zuletzt die Aussicht auf einen PKW der Marke Karmann-Ghia bewog den lebenslustigen Ungarn, im Westen zu bleiben.
Die einjährige Sperre nutzte er, um durch Kinobesuche Deutsch zu lernen und spielte dabei in der Amateurmannschaft der Eintracht, in welcher er etliche Tore schoss. Erst ab Januar 1958 war Sztani für die Eintracht spielberechtigt – und schaffte auch gleich den Sprung in die erste Mannschaft. Außerhalb des Fußballs fand er sich in der Nachkriegsbundesrepublik leicht zurecht, zunächst auch ohne Sprachkenntnisse – innerhalb des Teams musste er sich, wie jeder andere Jungspund, durchsetzen.
Sztani erinnerte sich an das verlorene Regensburgspiel im April 1958, in dem Pfaff einen Elfmeter verschossen hatte – oder wie seinerzeit Alfred selbst anmerkte: Ich habben net verschosse, der hadden gehalde. Die Mannschaft sei trotz der Niederlage, welche die Teilnahme an der Endrunde zur deutschen Meisterschaft verhindert, von jubelnden Fans empfangen worden. Ein richtiger Fan steht auch bei Niederlagen zu seinem Team verkündete er unter dem Beifall der Zuschauer.
Seinen größten Auftritt hatte er im Endspiel um die deutsche Meisterschaft 1959, bei dem er nicht nur zwei Tore zum 5:3 gegen die Kickers beisteuerte, sondern auch das erste Mal seit seinem Wechsel zur Eintracht seinen Vater sehen konnte. Der ungarische Fußballverband hatte das Hundertfache eines ungarischen Monatslohnes im Wäscheschrank seiner Mutter gebunkert, um Sztani zur Rückkehr nach Ungarn zu bewegen – doch dieser entschied sich für einen Wechsel zum belgischen Spitzenclub Standard Lüttich. Zwar wusste man auch im Gulaschsozialismus (Zitat Sztani) Ungarns zu leben, die Vorteile des Westens sprachen jedoch für sich. Annähernd fünf Jahre sollte es dauern, bis das Einzelkind Sztani, der um das Leid des verlorenen Sohnes seiner Eltern wusste, wieder in Ungarn weilen sollte.
Sztani, der Fußball lieber spielen als kämpfen sehen möchte, (von Bruder zu Bruder un zurigg) erinnerte wie vor kurzem Dietrich Weise an die Vorzüge des Kopfballpendels und erklärte gut gelaunt die Taktikbesprechung des Meistertrainers Paul Osswald vor dem Spiel gegen den OFC.
Osswald: Wenn der Berti Krauß da hin geht, übernimmst du ihn; wenn er dorthin geht, übernimmst du ihn; wenn er hier hingeht du und wenn er wiederum da lang geht dann ... lasse mern laafe sei ihm Alfred Pfaff ins Wort gefallen.
Überhaupt, die Trainer mögen heute mehr das technische Spiel lehren – und was machen sie? Waldläufe. Er selbst habe mit dem Schäferhund Osswalds trainiert, der stets nach dem Ball schnappte (ohne jedoch zu beißen) und somit die eigene Ballbehandlung geschult.
Angebote vom AC Milan und Barcelona musste Sztani in Diensten von Lüttich ablehnen, der Verein brauchte kein Geld, sondern Spieler. In Frankfurt sei dies anders gewesen, dort hätte man häufiger den Spruch gehört: Für des Geld fahr ischn mim Schubbkarrn dahin.
Weitaus zurückhaltender erzählte Du-Ri Cha seinen eigenen Lebensweg. In Frankfurt geboren, aufgewachsen ebendort sowie in Leverkusen ist er im Alter von neun Jahren von Deutschland anch Südkorea gezogen, als die großartige Karriere seines Vadders Bum-Kun Chas in Deutschland zu Ende gegangen war. Du-Ri, der als Kind nur deutsch gesprochen hatte, fragte sich unter dem Gelächter der Anwesenden, wie er eigentlich in jenen Jahren mit seinem Vadder kommuniziert hätte, der bekanntermaßen bis heute mehr schlecht als recht deutsch spricht. Aber Väter und Söhne verstehen sich halt. Irgendwie.
Du-Ri, der in jungen Jahren in Südkorea sehr wohl ans Kopfballpendel musste, wechselte nach der für ihn und sein Land sehr erfolgreichen WM 2002 auf Anraten von Reiner Calmund nach Deutschland, zunächst nach Leverkusen. Bayer verlieh ihn aber sofort nach Bielefeld, bevor er 2003 zur Eintracht kam. Ebenfalls nur ausgeliehen wurde er später verpflichtet und hatte maßgeblichen Anteil am direkten Wiederaufstieg in der Saison 2004/05.
Das darauffolgende Bundesligajahr brachte für den äußerst sympathischen Cha Höhen und Tiefen; großartig das gewonnene Halbfinale im DFB-Pokal gegen Bielefeld oder das Hammertor aus 30m in Dortmund, welches den vorzeitigen Klassenerhalt bedeuten sollte (und im Museum noch einmal gezeigt wurde), bitter natürlich die Nichtberücksichtigung beim Pokalfinale selbst und vor allem die Nichtnominierung für den Kader Südkoreas bei der WM 2006. Cha verpasste dadurch sogar ein WM-Spiel in der Frankfurter Arena – traurig für einen Frankfurter Bub. Diese Erlebnisse bewogen ihn dazu, trotz eines erneuten Vertragsangebotes der Eintracht einen Neuanfang zu wagen und zu Mainz 05 zu wechseln, ein Fehler wie Du-Ri selbstkritisch zugab.
Den schon häufiger zitierten Satz: Ich möchte lieber ein guter Mensch sein als ein guter Fußballer bestätigte Cha. Die Fußballzeit ist manchmal schneller vorbei als man denkt – und er möchte auf die Zeit danach vorbereitet sein. Im Umfeld seines Vaters habe er des Öfteren ehemalige Fußballer abstürzen sehen können, und auch Jungprofis seien davor nicht gefeit. Aber prinzipiell könne man auch ein guter Mensch sein – und ein guter Fußballer.
Ähnlich wie die Eintracht ist auch die TUS Koblenz, Du-Ris jetziger Verein, vom Verletzungspech verfolgt. Auf die Frage, woran so etwas liegen könne, wusste auch er keine endgültige Antwort, vielleicht sei bei jungen Leuten auch ein wenig die Einstellung oder die Ernährung ein Faktor – aber davon bricht so schnell kein Fuß.
Auf die Frage, was für ihn Heimat bedeute, antwortete er mit dem Gefühl der Sicherheit. Die Tendenz legte sich ein wenig in Richtung Seoul, dort leben seine Freunde, aber auch in Frankfurt fühle er sich heimisch. Istvan Sztani warf ein, dass seine Heimat Ungarn sei. Aber wenn er Ungarn verlässt, fährt er nach Hause, nach Frankfurt – wohin auch Du-Ri Cha gerne zurückkommt, auch ins Museum - SMS genügt.
Interessant ist, dass Sztani seinerzeit ein Angebot Sepp Herbergers zur Einbürgerung abgelehnt habe. Er müsse ja dann auch im Länderspiel gegen Ungarn spielen, dies könne er nicht.
Im Aufstiegsjahr 2004/2005 spielte die Eintracht eine grottige Vorrunde und rutschte den Abstiegsplätzen näher als den Aufstiegsrängen – und holte dafür in der Rückrunde sage und schreibe 13 Punkte auf. Am Trainer, damals wie heute Friedhelm Funkel, wurde von Bruchhagen auch in jener Zeit festgehalten, und er wurde belohnt. Cha (der gelernt hat, grundsätzlich keine Trainer zu kritisieren) wusste auf die Wellentäler auch keine rechte Erklärung, am ehesten mag es am Selbstbewusstsein liegen – aber weshalb an manchen Tagen jeder Ball in den Winkel geht und an manchen ins eigene Tor, dafür gibt es keine finale Antwort. Er machte dies am Beispiel Koblenz fest: Eben noch hatten sie das Spitzenteam aus Kaiserslautern mit 5:0 besiegt und eine Woche später sind sie in Rostock mit 0:9 baden gegangen. Das ist Fußball sprach er und gab uns damit ein schönes Schlusswort.
Letztlich verging die Zeit, wie im Flugkopfball und bei näherer Betrachtung war eigentlich gar kein Raum für Lajos Detari geblieben, der aber sicherlich bei einer der nächsten Veranstaltungen im Museum zu Gast sein wird. Zum Abschied überreichte Matze Du-Ri Cha noch das Buch von Henni Nachtsheim und Istvan Sztani bekam einen Stein vom Gebäude des alten Riederwaldes – in dem er nicht nur Fußball spielte, sondern sogar einst seine Hochzeit gefeiert hatte.
Cha und Sztani mussten noch für etliche Fotos und Autogramme herhalten und sorgten so für einen freundlichen Abschluss einer überaus gelungenen Veranstaltung, die unter dem prasselndem Applaus der Anwesenden zu Ende ging.
Der Text erschien erstmals in der Fan geht vor Nr. 170. Die Fotos sind von Stefan Krieger, der auch den Blog-G im Online-Angebot der FR betreut.
Das Warten auf deinen Bericht hat sich gelohnt, Beve. Ich habe ihn bereits in der letzten Woche in der "Fan geht vor" gelesen und bedanke mich hier bei Istvan Sztani, Du-Ri Cha, dem Moderator eines wunderbaren Abends und dem Autor, der wie immer die richtigen Worte gefunden hat.
AntwortenLöschendanke lieber kid.
AntwortenLöscheneben noch haben wir dort gesessen - und nun ists schon vergangene vergangenheit. mal schauen wie es sich liest, wenn die ganzen erlebnisse wirklich geschichten von früher geworden sind. ob diese dann auch jemand archiviert?
Nach uns kommen andere. Sie werden (auf)bewahren, was es zu bewahren gilt.
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