Seiten

Freitag, 28. November 2008

Dum spiro, spero – Eine kurze Geschichte der Hoffnung


Dieser Tage erreichte mich ein Text vom Fritsch. Ihn kennt ihr durch den Blog des
Hobokollektivs, das ich neulich verlinkt hatte. Es ist ein Text, der von einem vergangenem Spiel handelt und so scheinbar gar nichts mit heute zu tun hat. Oder doch?

Lest selbst:



Es war ein klarer und schöner Maitag des Jahres 1999. Ich erinnere mich genau: Es war der 29. Mai 1999. An diesem Tag lernte ich etwas über Hoffnung, unbedingten Willen, die Diva und hundert kleine Tode, die man überlebt.

Es gibt Tage, an denen wacht man auf und weiß, es wird ein ganz besonderer Tag werden. Früh schien die Sonne und die Luft war klar und voller Frühling. Läge Berlin im Süden, würde man sagen, man kann die Berge sehen. An diesem Tag sollte der große Bruce Springsteen mit der wiedervereinigten E-Street Band in der Berliner Wuhlheide spielen. Eine Tatsache, die jeden Tag golden erscheinen läßt, zumindest meinen Tagen einen tieferen Sinn gibt. Vorher galt es das Überleben der Diva – der Eintracht aus Frankfurt, die nicht nur im Herzen Europas spielt, sondern seit den seligen Tagen eines Jay-Jay Okocha und Uwe Bein auch mein Herz eroberte und die Seele dieses Exil-Hessens mitregiert, zu sichern. Auch und gerade aus dieser Entfernung!

Um 15 Uhr waren alle Einkäufe erledigt, das Gesamtwerk des Bruce Springsteen gehört und die Spannung stieg, je näher die Radioübertragung der Bundesligakonferenz aus den Stadien dieser Republik rückte. Es war und blieb ein enge Kiste, dieser Klassenerhalt, den es am letzten Spieltag der Saison zu sichern galt. Die Tordifferenz sollte am Ende entscheiden. Diese Vorahnung ließ die Hände schon vor Anpfiff schwitzen.

Die Spannung des Körpers, die Anstrengungen der Seele waren nicht auszuhalten. Selbst der schnellste Radiokommentator hätte niemals mit der Geschwindigkeit meines Herzschlages und dem Wunsch nach aktuellen Informationen mithalten können. Im Fernsehen, verschlüsseltes Bild der Premierekonferenz ohne Dolby Surroundsound. Der Videotext mit Tabellen ständig aktualisiert und im Radio die beruhigende Meldung über das erste Tor der Eintracht. Etwas über zwanzig Minuten später folgt sogleich die Ernüchterung: Der Ausgleich. In Sekunden fiel das fragile seelische Gebilde in sich zusammen. Doch nur eine Minute später die erneute Führung. Was passiert auf den anderen Plätzen? Was machen die direkten Konkurrenten?

Hier schwindet die Erinnerung auf Grund der tiefen inneren Wechselbäder, dem nicht mehr sitzen können, dem Fingernägel kauen und der Schweißausbrüche. Immer wieder Verzweiflung und Hoffnung, Leere und Hoffnung. Zwanzig Minuten sollten es noch dauern, bis Jan-Aage Fjörtoft diese bereits aufgegebene Seele retten würde. Mit dem Schlusspfiff und dem legendären Satz: „Von der Bank kam das Signal, dass wir noch ein Tor brauchen. Also habe ich noch eins gemacht.“ Eintracht 5, Kaiserslautern 1. Gerettet! So lange ich atme, hoffe ich.

Ein Sieg für die Geschichtsbücher und doch habe ich keine Zeit für die Fernsehbilder. Es geht gleich ab ins Auto und hinaus zur Wuhlheide. Die halbe Stadt später strebt ein schöner Maitag der Vollendung zu: Bruce Springsteen betritt die Bühne und eröffnet ein grandioses Konzert mit My Love Will Not Let You Down. Treffender kann man es fast nicht formulieren.

Duplizität der Ereignisse: Jahre später werde ich mir Christoph Preuß Traumtor zum 1 zu 0 Sieg meiner Eintracht über den FC Bayern München nicht im Fernsehen ansehen können, da ich in die Passionskirche zum Konzert des Großmeisters Bonnie „Prince“ Billy gehen will. Jahre später werde ich meine Instrumente auf einer Bühne aufbauen, auf der kurz zuvor auf einer Großbildleinwand die demütigende 5 zu 1 Niederlage meiner Eintracht gegen Nürnberg gezeigt wird.

Diese Diva und ich führen eine Wochenend- und Fernbeziehung über knapp 600 Kilometer: You Can Look (But You Better Not Touch). Und diese Wochenenden sind selten Spaziergänge. Nein, sie sind der sprichwörtliche Ritt auf der Thunder Road: Unberechenbar, deprimierend, beflügelnd, immer anstrengend und manchmal auch grandios. Wiedervereinigt mit den alten Freunden und Kollegen singt, spielt und arbeitet der Meister der ehrlichen Hymnen und Geschichten der kleinen Leute auf der Bühne. Jedes Lied an diesem Abend spricht tief aus der eigenen Seele: „Now I believe in the love that you gave me / I believe in the faith that could save me / I believe in the hope and I pray that some day / It will raise me above these / Badlands... „ Lektionen in Sachen Hoffnung. Langsam weicht die Anspannung unglaublicher Freude und der Erkenntnis, daß manchmal etwas geht, wenn man zusammen arbeitet und füreinander einsteht. „Well the night's busting open / These two lanes will take us anywhere“. Noch ein Bier und eine Zigarette, denn der nächste Ritt wird sicher schwieriger werden und diese verdammten Täler wollen uns doch nur beweisen, daß es immer einen Weg hinaus gibt.

Ein Tag, ein Abend, der nicht zu Ende gehen sollte und dieses doch unweigerlich tut. Musik ist ein Mannschaftsspiel und so treten Sie alle nach einander an das Mikrophon und singen über Solidarität an den guten und den schlechten Tagen:

„We swore we’d travel darlin’ side by side
We’d help each other stay in stride
But each lover’s steps fall so differently
But I’ll wait for you
And if I should fall behind
Wait for me“

Morgen wird ein langer Tag, denn die Nacht wird kurz. Doch er sollte nicht allzu lange auf sich warten lassen, denn dieser überlebte Tod ist wie Benzin im Blut und lässt einen laufen und träumen. Spät abends, Berlin liegt schemenhaft im Mondlicht und der weit entfernte Liebhaber gelobt immer zu warten, denn selten befinden wir uns im Gleichschritt, doch treffen wir uns immer wieder in Eintracht. Und die verdammten Täler sind für eine kleine Ewigkeit ganz weit weg.

Gute Nacht & viel Glück auf der Straße!

2 Kommentare:

  1. "Morgen wird ein langer Tag, denn die Nacht wird kurz."

    Meine Nächte sind immer kurz, zu kurz. Das mag daran liegen, dass ich die Nacht liebe. Schade nur, dass ich mir meine nächtlichen Begleiter nicht aussuchen kann. Sie kommen wie ungebetene Gäste und bleiben oft bis zum Morgengrauen:

    "those memories come back to haunt me
    they haunt me like a curse
    is a dream a lie if it don't come true
    or is it something worse"
    ("the river", Bruce Springsteen)

    In einer Nacht, in der Erinnerungen wie ein Echo meiner Vergangenheit den Raum füllen, bin ich froh, auch an Momente denken zu können, an die ich mich gerne erinnere.

    Danke, Fritsch.

    AntwortenLöschen
  2. Bitte, Kid.

    "And I'm driving a stolen car
    On a pitch black night
    And I'm telling myself I'm gonna be alright
    But I ride by night and I travel in fear
    That in this darkness I will disappear"
    ("stolen car", Bruce Springsteen)

    Auch für mich sind die Nächte zu kurz & die Begleiter häufig ungebeten. Es sind wenige Träume, die wirklich wahr werden. Und so vergrabe ich mich in der Dunkelheit, suche zwischen Textzeilen den Trost, die Solidarität und die Aufforderung weiter zu suchen. Unendlich viele Bilder im Kopf trete ich den ungebetenen Gästen gegenüber und verteidige mich mit meinen frohen Erinnerungen.

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.