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Sonntag, 26. Oktober 2008

Heimspiel in Cottbus - 25.10.2008


Samstag Morgen, 4:20 Uhr. Ich quäle mich nach einer viel zu kurzen Nacht aus dem Bett, tapse planlos durch die Wohnung und nippe an meinem ersten Kaffee, rauche und suche meine Siebensachen zusammen, während Pia mein Care-Paket packt: Brot, Wurst, Apfelwein, Tee und Schokolade - der Weg nach Cottbus ist weit, und nur Tabak wäre zu wenig.

Todmüde werde ich zum Treffpunkt am Riederwald gefahren. Erst gestern Mittag hatte ich mich für die Fahrt bei der Fan- und Förderabteilung angemeldet, für 40 Euro sollte es in die Lausitz und zurückgehen und um 5:00 entlässt mich Pia in die Dunkelheit des Tages, leider kann sie nicht mitkommen, im Museum warten drei Kindergeburtstage auf Betreuung.

Müde schleppe ich mich in den Bus, treffe auf Roland, der wie immer dabei ist und erkenne sonst relativ wenig bekannte Gesichter. Vor mir sitzt Eric, daneben die Wäller Adler, ganz vorne Gerold nebst Käthe, Eintracht-Urgesteine, die auch im Alter es sich nicht nehmen lassen, die Eintracht durch die Republik zu begleiten.

Als Petra, die den Bus organisiert, alle Schäfchen beisammen hat, rollen wir Richtung Bahnhof und weiter zum Waldstadion, wo die letzten Zusteiger ihren Platz im Bus finden. Und dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Keulenschlag: Ich befinde mich in einem Nichtraucherbus. Nächster Halt: Eisenach. Zwei Stunden ohne Cigarette, das Leben ist hart für Auswärtsfans.

Müde schaue ich aus dem Fenster, im MP3 Player läuft das neue Judas Priest Album, die Dunkelheit rauscht an uns vorbei, viele schlafen und bald zähle ich die Kilometer zur nächsten Kippe. Gambacher Kreuz, Herleshausen, Raststätte Eisenach.

Wir halten. Ich rauche. Und gehe anschließend in die Gaststätte, um einen Kaffee zu trinken. Roland, Käthe und Gerold sitzen beisammen, alte Geschichten machen die Runde. Eine freundliche Bedienung bringt meinen Kaffee und Käthe erzählt, dass sie seinerzeit in Madrid beim Europapokal-Spiel der Eintracht gegen Atlético Madrid den Bus der Fans ins Stadion verpasst hatte. Dies hörte zufällig der damalige Eintracht-Präsident Achaz von Thümen und versprach ihr, dass sie mit ihm ins Stadion fahren könne. Als es soweit war, rollte ein Mercedes 600 vor und in ihm saßen nicht nur von Thümen sondern auch der Präsident von Atlético und ein Chauffeur rollte sie ins Stadion. Die anderen Eintrachtler staunten nicht schlecht, als sie sahen, wer dort aus dem Wagen krabbelte. Sogar den Heimweg musste Käthe im 600er antreten, Atléticos Präsident hatte darauf bestanden.

Wir fuhren nicht in einem Mercedes 600 sondern kletterten wieder in unseren Reisebus und starteten gegen neun Richtung Ostosten. Langsam taute die Besatzung auf, draußen war's hell und peu a peu erklangen die ersten Lieder, ploppten die Korken.

Ich unterhielt mich eine ganze Weile mit Eric über die Eintracht, die Zeit sauste vorbei und bald folgte eine zweite Pause. Ich rauchte, treffe RedZone, der mit den Sossenheimern unterwegs ist, wir plaudern, rauchen und schon läutetet der imaginäre Gong zur Weiterfahrt.

Der Gesang im Bus wird lauter, an Unterhaltung ist nicht zu denken und so schaue ich aus dem Fenster, an dem ein sonniger und herbstlicher Tag vorbeizieht. Leuchtend rot-orange-grün-braun die Blätter der Bäume.

Alle Bremer stinken, alle Bremer stinken, weil sie aus der Weser trinken.

Jetzt werden etliche Fußballclubs beschmäht, die Wäller sind gut drauf, lassen die Eintracht hoch leben und stellen über Dortmund fest: Schwarze Füße, gelbe Zähne, BVB.

Ich grinse, rauche bei der nächsten Pause eine Cigarette und schon verlassen wir die Autobahn und fahren über die Bundesstraße nach Chośebuz. In den Gärten wird Laub geharkt, sandige Landschaften mit Kiefern- und Birkenwäldchen wechseln sich mit kleinen Ortschaften ab, schmucke Häuschen mit unrestaurierten Hüttchen aus der Vorwendezeit, 30 Kilometer bis Hoyerswerda, Brandenburg. Die Orte heißen Allmosen oder Lindchen, die zweite Sprache hier ist sorbisch.

Die Wäller geben alles: Eine Straße, ohne Bäume, ja das ist keine Allee - Allez, allez, allez ...

Vier Kilometer vor Cottbus halten wir noch kurz an einem Getränkemarkt, versorgen uns für die Rückfahrt und rattern dann durch die Stadt Richtung Stadion, die letzten Kilometer fährt ein Polizei-Corsa vorneweg.

Direkt vor dem Stadion der Freundschaft halten wir und purzeln aus dem Bus, hier treffe ich Ina, Rudi und Roger und schon sehe ich meinen alten Kumpel Andi, der sich mit Carola und einigen anderen via Eisenbahn aus der Hauptstadt auf den Weg gemacht hatte. Ich bin überzeugt, dass wir gewinnen, 6:5 lautet mein Tagestipp - ohne die verletzten Spieler und angesichts der Tatsache, dass Energie bislang erst drei und die Eintracht gerade mal sieben Tore geschossen hat, sind solche Voraussetzungen ideal für Überraschungen.

Währen die beiden an der Kasse anstehen, erstehe ich ein Stadionmagazin und erkenne den kleinen Pulk von Eintracht-Fans am Eingang. Obgleich wir wenige sind, dauert der Einlass relativ lange - als wir dran sind, weiß ich auch weshalb: Jeder von uns wird akribisch abgetastet, in meinen Taschen befinden sich zwei Feuerzeuge - eines davon muss ich wegwerfen, später muss ich die Schuhe ausziehen. Die Ordner sind geduldig und freundlich, machen ihern Job. Sie wissen, dass durch solche Aktionen die Agressionen geschürt werden - aber was sollen sie machen?

Die alte Kurve ist weg, auch die Getränkebude dahinter. Statt dessen stehen wir in einem kleinen, vergittertem Block, links daneben die Sitzplätze, rechts, im Freien ein weiterer Gästeblock, metallne Stufen, metallne Abtrennung - ungastlich, zumal die Absperrung ebenso die Sicht behindert, wie ein Pfosten, der das Tribünendach trägt. Dahinter fährt ein Bimmelbähnchen, wohin auch immer.

Wir treffen Arne und Tobi, ich erkenne Siggi und Sabine, maobit aus Belin ist auch hier - und unten laufen sich unsere Jungs warm - Fenin und Korkmaz in langen Hosen, Caio und Kreso in kurzen - das wird ja interessant. Viele Fans aus dem Osten sind hier und unterstützen die Adler mit den Hessen von Beginn an. Die Stimmung ist gut, aber: Cottbus macht das Spiel.

9. Minute 0:1 Rangelov.

Schock.

Egal. Weiter geht's.

15. Minute 0:2 Rangelov.

Schock.

Egal. Weiter geht's. Andi meint, er habe seiner Frau versprochen, gutgelaunt nach Hause zu kommen und holt ein Bier. Die Unterstützung ist auch jetzt noch da, Cottbus steht vor dem 3:0, Oka hält.

Urplötzlich ist irgendwas anders. Der Vorsänger Martin greift zum Megafon, Tränen schießen ihm ins Gesicht, ich verstehe nur St. Tropez Bar und abgestochen.

Stille.

Fahnen werden eingepackt, Supportversuche werden im Keim erstickt. Was ist los, die Eintracht braucht uns - aber grundlos wird kein Support in dieser Situation eingestellt, zumal sich die Eintracht ein wenig berappelt hat. Wir müssen punkten, um mich herum weiß niemand genaues, Fink zieht aus knapp 20 Meter ab, 1:2 - verhaltener Jubel im Block.

Stille.

Ich treffe Minnie, auch er weiß nichts genaues - ich bin überzeugt, dass wir gewinnen.

Mit dem Halbzeitpfiff verlasse ich den Block, treffe RedZone und Tristan mit Tränen in den Augen in einer Ecke, Freunde, was ist passiert?

Und dann weiß ich, was passiert ist. Carsten, Mitarbeiter in der St. Tropez Bar, Kumpel und Freund vieler von uns, ist in der Nacht auf Samstag auf dramatische Art ums Leben gekommen, getötet worden. Fassungslosigkeit. Hilde kommt hinzu, erzählt genaueres.

Schock.

Ich rufe Rudi an, er weiß schon Bescheid, hat die Eintracht-Führung informiert, dass die Stille im Block nicht gegen das Team gerichtet ist. Etliche verlassen nicht nur den Block, sondern auch das Stadion - trauern, zweifeln, verstehen es nicht.

Hatte ich nach dem letzten Heimspiel die Meldung erhalten, dass Steffen schwer verunglückt war (und heute Gott sei Dank über den Berg ist) so folgte nun die nächste Katastrophe.

Ich laufe zurück in den O-Block, kläre ein paar Leute auf und kapiere nicht wirklich. Bilder schießen mir durch den Kopf, Carsten am Riederwald mit seiner Kleinen. Wenn ich ihn sehe lache ich immer: Hey, the beauty and the beast - grinse ihn an und sage: die Beauty bist du nicht. Er lacht, freut sich für die Kleine.

Nie mehr.

Unten spielt die Eintracht der Support der übrig gebliebenen beginnt zaghaft, steigert sich - ich bin zwanzig Minuten wie gelähmt. Surreal das Ganze. 2:2 Fenin. Jubel. Trauer.

Ich gebe mir einen Ruck, Carsten hätte gewollt, dass die Eintracht gewinnt - also geben wir dafür alles. Jetzt erst recht. Eintracht, Eintracht schallt es durchs Stadion. Ochs geht und wird vom jungen Tsoumou ersetzt, offensiv für defensiv, wie oft hatten wir uns gewünscht, genau dies zu sehen. Hier regiert die SGE und die Jungs danken es uns, der Ball saust ins Netz, wer das Tor geschosen hat, wissen wir nicht: aber es war eins für uns, für Carsten. 3:2, ein Spiel gedreht, aussichtslos zurück gelegen und wieder dabei. Die S G E ist wieder da. Wir liegen uns in den Armen, brüllen es aus uns heraus. Jaaaaaaa. Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaa. Geil. Trauer. Abpfiff. Auswärtssieg.

Seltsam diese Melange aus Begeisterung und Leid; es gibt Gefühle, für die es kein Wort gibt, die auch im älterwerden erst entdeckt werden müssen, emotionaler Rausch in Tiefen des Lebens, die schwarze Sonne des Lichts, ich weiß nicht.

Andi und Carola sind Richtung Bahnhof geeilt, ich sitze im Bus, wir fahren zurück, unterhalten uns über Gott und die Welt, Roland, Minnie, der nun auch dabei ist und ich. Gemeinsam singen wir mit anderen für Carsten Im Herzen von Europa, lassen den Osten hinter uns, machen Pause, rauchen, kaufen Bierdosen und bald sind wir wieder in Frankfurt. Anders als wir losgefahren sind. Ich steige aus, bedanke mich für die Orga und sehe Pia, die schon am Riederwald auf mich wartet, und mich abholt. Aufgeregt schildere ich ihr den Tag - bis lange in die Nacht unterhalten wir uns; aber dennoch wird es noch eine Zeitlang dauern, bis ich den Tag verarbeitet habe, den 25. Oktober 2008.

Der Tag, an dem wir einer weniger wurden. Es ist unser Leben, machen wir das beste daraus.


6 Kommentare:

  1. Das Layout ist stimmig und die Einträge, große Klasse.

    Insbesondere für Deinen Bericht von der Abrißparty, die Fotos und die zahlreichen Anekdoten meinen herzlichsten Dank.

    Natürlich ist auch das Heimspiel wieder sehr gelungen aber durch Carstens sinnlosen Tod, ist halt auch eine Menge Traurigkeit dabei.

    Nochmals kurz zu Weise. Ich habe gerade sehr genau seinen Gesichtsausdruck vor meinem inneren Auge, wie er sagt "wahrscheinlich können die das heute schon alles" und dabei den Rasen am Pendel beobachtet.

    Ich würde wetten, dass sich da ein pffifig, verschmitzter Gesichtsausdruck mit einem kleinen bisschen Wehmut paarte.

    Danke für den schönen neuen Blog, ich werde gerne öfter reinschauen, wenn ich darf.

    Gruß
    Uli

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  2. Hallo Beve!

    Klasse Blog. Ich werde mal versuchen nicht den gleichen Fehler wie bei Kids Blog zu machen, als ich nur begeistert mitlas und wenig kommentierte bis es zu spät war.

    Deine Auswärtsfahrt-Berichte gehören ja seit langem zu den perümten Perlen... Schön, sie jetzt in geballter Form abrufen zu können.
    Der aktuelle ist natürlich zwiespältig. Ich kannte den Verschiedenen nicht, aber trotzdem fährt einem bei solchen Geschichten der Schreck in die Knochen.

    Hoffen wir, dass uns derartige Nachrichten bei Deinen künftigen "Heimspiel" Beiträgen erspart bleiben dürfen.

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  3. @ concordia

    klar darfste reinschauen, dafür ist er da - jedoch bin ich nicht so produktiv wie kid :-)

    bei weises gesichtsausdruck liegst du richtig.

    gruß zurück

    beve

    @ haddekuche

    danke, ich werde mal versuchen, die alten heimspiele hier peu a peu rein zu stellen.

    viele grüße

    beve

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  4. Hallo Beve,
    wenn Miso das Heimspiel nicht im Eintrachtforum verlinkt hätte, hätte ich es nicht gefunden.
    Ich fand es immer grandios, wie dieses Mal auch wieder + den Rückzug sehr,sehr schade.
    Aber vlt. verschickst Du ja auch Links, sonst muss ich halt nach jedem "Heimspiel" mal kurz hier vorbeischauen...
    Cottbus war schon sehr besonders...
    Die ganzen heulenden starken Jungs..
    Ich habe mir heute Nacht die gesammelten Alben von Carsten angeschaut: die liebevollen Bilder von seiner Kleinen.
    Im Leben habe ich ihn nur ab + an mal gesehen + brauchte die Pages, um überhaupt zu wissen wer er ist.
    Dann noch die Emotionen auf dem Platz, die Freude der Spieler + der Trainer nach dem Sieg...
    Und dann unsere Rückfahrt, das war auch ein Erlebnis der besonderen Art.
    Auf drei Punkte gg. die Bayern..
    wib

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  5. Servus Beve!

    War tatsächlich irgendwie ein komisches Auswärtsspiel.

    Vom Spielverlauf her einfach nur geil und trotzdem war die Gemütslage ziemlich ambivalent, auch wenn kurz nach Spielschluss, zumindest bei mir, der Jubel keine Grenzen kannte.
    Ich muss, allerdings auch gestehen, dass ich mit dem Namen des Getöteten erst mal kein "Gesicht" in Verbindung bringen konnte.
    Da fällt es dann doch irgendwie leichter, sich, wenn auch zögerlich, trotzdem dem Fußball zu zu wenden. Wie schwer das für die anwesenden Jungs gewesen sein muss, die ihn wirklich persönlich kannten, ihn vielleicht sogar Freund nennen konnten.. das will ich mir gar nicht ausmalen.

    Bin gespannt, wie sich dein blog entwickelt. Werde hier sicher "mindestens" lesen. :)

    Gruß
    Tobi

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  6. Hallo Beve,

    im "Mutter-Forum" *nur* Geniesser und klammheimlicher Mitleser. Aber eines sollst Du wissen, deine *Berichte* sind das Sahnehäuptchen auf der Adlertorte. Schön, dass Du jetzt einen eigenen Blog dafür eingerichtet hast.

    I gonna watch you.

    Adlergrüße aus Hamburg

    Uwe

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